Zeitschrift 

Globalisierung

Aspekte einer Welt ohne Grenzen

Globalisierung: Aspekte und Dimensionen 

Kulturelle Globalisierung 

Weltweites Regieren: 
Institutionen und Akteure 

Die Globalisierung der Wirtschaft

Globalisierung in der Kritik: 
Konzepte und Perspektiven 

 

Heft 4/2003 
Hrsg.: LpB

 

Inhaltsverzeichnis

 

 

 

Globalisierung

 

Aspekte einer Welt ohne Grenzen

  Einleitung

 


Bei der Auseinandersetzung mit der Globalisierung geht es um die aktuelle Debatte zu den zentralen Zukunftsfragen, denen sich Politik und Bildung zu stellen haben. Die politische, wirtschaftliche, gesellschaftliche und ökologische Diskussion zu Beginn des 21. Jahrhunderts wird vom Begriff der Globalisierung dominiert. Dennoch vermag kaum jemand das zwar junge, aber mittlerweile fast inflationär gebrauchte Schlagwort klar zu umreißen.

Der Begriff wird vor allem von Politikern gerne gebraucht - je nach Bedarf entweder als "größte Chance für die deutsche Wirtschaft" oder als "Arbeitsplatzvernichter". Jenseits dieser plakativen Zuspitzung ist die Globalisierung von tagespolitischer Brisanz und großer Bedeutung als Fächer übergreifendes Thema in den Schulen. Es ist aber auch eine Herausforderung an die politische Bildung und ihre Träger. Denn manche Frage, die auf den ersten Blick als banal erscheint, entpuppt sich beim genaueren Hinsehen als ausgesprochen vielschichtig: Was ist Globalisierung eigentlich? Wo ist sie - auch und gerade ganz konkret vor Ort - zu erfahren? Welche Lebensbereiche sind betroffen? Welche Vorteile bringt sie mit sich und wo liegen die möglichen Schattenseiten?

 

Ein nicht abgeschlossener Prozess

Der Globalisierungsbegriff wird unterschiedlich verwandt. Zuallererst ist zu betonen, dass das Zusammenwachsen der Welt im Sinne einer immer leichteren und schnelleren Erreichbarkeit von Menschen, Ideen, Waren und Finanzen ein seit Jahrhunderten zu beobachtender Prozess ist. Dieser Prozess, der vorwiegend auf bahnbrechenden Innovationen in der Kommunikations- und Transporttechnologie beruht, verlief zwar nicht gleichmäßig, aber doch kontinuierlich. Die Erfindungen von Eisenbahn, Dampfschiff, Verbrennungsmotor und Düsenflugzeug auf der einen sowie Telegraf, Telefon und Telefax auf der anderen Seite haben seit dem Zeitalter der Entdeckungen und dann vor allem seit der Industrialisierung die Welt immer enger zusammenwachsen lassen. Insofern lassen sich die jüngsten Entwicklungen als Fortführung dieser langen Tradition sehen. Doch vor allem die Informationstechnologie und das über sie realisierte und rasant wachsende Internet hat den Prozess in Intensität, Qualität und Dynamik beschleunigt. Und es ist ein offener und noch nicht abgeschlossener Prozess.

 

Ursachenbündel

Der Globalisierungsprozess beruht auf einem grundlegenden Strukturwandel, der sich anhand von fünf Punkten umreißen lässt. Jeder dieser fünf Punkte würde für sich allein genommen schon einen tief greifenden Wandel bedeuten. In ihrer Gleichzeitigkeit und ihrem Ineinandergreifen bedeuten sie aber mehr als bloß eine Periode rascher Veränderungen:

  1. Nach dem Ende des Kalten Krieges hat sich rund ein Drittel der Menschheit der liberalen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung angeschlossen. Ökonomisch betrachtet bedeutete dies einen radikalen Wandel im weltweiten Handel und in der weltweiten Industrie- und Dienstleistungsproduktion.

  2. Eine grundlegende Veränderung betrifft den Übergang von Industrien, die auf natürlichen Rohstoffen basieren, zu "künstlichen" Industrien und Dienstleistungen, die auf Wissen basieren. Während früher Wohlstand immer im Zusammenhang mit Besitz von Land oder Naturschätzen stand, basiert Reichtum nun zumindest zu einem guten Teil auf wissenschaftlichen Innovationen.

  3. Die Weltbevölkerung wächst, wandert und altert. Der dritte Strukturwandel ist also demografischer Natur und hat weit reichende Konsequenzen darauf, wie unsere Gesellschaften aussehen bzw. schon in wenigen Jahrzehnten aussehen werden.

  4. Erstmals in der Geschichte der Menschheit stehen den Menschen alle für eine globale Wirtschaft notwendigen Transport- und Kommunikationsmöglichkeiten zur Verfügung. Neben die nationalen Ökonomien tritt schrittweise eine globale Wirtschaft. Im 19. Jahrhundert wurden lokale und regionale Wirtschaften von Volkswirtschaften abgelöst. In aller Regel stärkte dies die Macht der Nationalstaaten. Heute tritt eine Globalökonomie an die Stelle der Nationalökonomien und schwächt die Einflussmöglichkeiten der Nationalstaaten. Eine Weltwirtschaft ohne regulierende Weltregierung also?

  5. Und zum ersten Mal seit zweihundert Jahren gibt es in der Welt keine eindeutig dominierende Wirtschaftsmacht mehr, wie sie im 19. Jahrhundert das britische Empire oder im 20. Jahrhundert die USA darstellten. Im 21. Jahrhundert beteiligen sich vor allem zwei Staatengruppen aktiv an der Weltwirtschaft, die vor drei Jahrzehnten nur eine marginale Rolle im Welthandel spielten: die neu industrialisierten Staaten Ost- und Südostasiens und neuerdings auch Lateinamerikas sowie die Transformationsländer Osteuropas und die Staaten der ehemaligen Sowjetunion (GUS).

 

Ursachen der Ursachen der Globalisierung

 

In der Summe resultieren aus diesen grundlegenden Veränderungen die entscheidenden Impulse, die dem Globalisierungsprozess zum Durchbruch verhalfen. Der beschleunigte Trend zur Globalisierung der Wirtschaft lässt sich aus ökonomischer Sicht zusammenfassen als

  1. die Zunahme transnationaler Wirtschaftsbeziehungen und -verflechtungen;

  2. das Zusammenwachsen von Märkten für Güter und Dienstleistungen über die Grenzen einzelner Staaten hinweg;

  3. die Zunahme internationaler Kapitalströme und die weltweite Verbreitung neuer Technologien.

 

Globalisierung

 

Globalisierung bedeutet also die Zunahme der Intensität und der Reichweite transnationaler wirtschaftlicher Austauschbeziehungen und dadurch auch die Intensivierung des Wettbewerbs durch eine Vergrößerung der Märkte bis hin zum Entstehen globaler Märkte. Der Globalisierungsprozess wurde dabei durch die neuen Kommunikationsmöglichkeiten gefördert und beschleunigt, vor allem aber auch durch politische Entscheidungen ermöglicht. Genannt seien hier nur die weltweit durchgesetzten Maßnahmen für Freihandel, ungehinderten grenzüberschreitenden Kapitalverkehr und die Schaffung großer und größer werdender Binnenwirtschaftsräume. Ursachen sind hier von Auswirkungen oft kaum mehr zu trennen. Eine der charakteristischen Auswirkungen der Globalisierung ist jedoch die rasche Zunahme des Welthandels. Innerhalb von 25 Jahren hat sich der Anteil des weltweiten Warenexports an der Weltgüterproduktion mehr als verdoppelt. Ähnlich ist die Entwicklung bei den weltweit gehandelten Dienstleistungen (z.B. Versicherungen und Kreditgewährung).

 

Auswirkungen

Die in der aktuellen Debatte in Deutschland am stärksten diskutierte Auswirkung der Globalisierung ist die Frage der Standortkonkurrenz. Die Gefahren liegen auf der Hand: Bei einer verzögerten Anpassung an die neuen Bedingungen der globalen Wirtschaft ist das Abwandern von Produktionsstätten aus dem "Hochlohnland" Deutschland in weitaus billiger produzierende Länder abzusehen, ohne dass sich bisher ein adäquater Ersatz in Form neuer und innovativer Wirtschaftsbereiche entwickelt hätte. Aus der Sicht des Verbrauchers liegen darin auch Vorteile, denn zahlreiche Produkte werden dadurch günstiger. Gesamtgesellschaftlich gilt es dagegen, die Zukunft der deutschen Wirtschaft durch forschungsintensive Güterproduktion und entsprechende Dienstleistungsangebote zu gestalten. Das ist eine Herausforderung an die Menschen und ihre Ausbildung im Land - und eine Chance zugleich.

 

Gesellschaft und Kultur (vgl. Baustein B): 

Die Auswirkungen der Globalisierung auf die Gesellschaft zeigen ein ambivalentes Bild, bei dem sich (vermeintliche) Gewinner und Verlierer des Globalisierungsprozesses gegenüberstehen. Während die eine Seite darauf verweist, der Globalisierungsprozess baue Armut ab und zeige im Ergebnis eine Nivellierung der Weltgesellschaft zu Gunsten aller durch die Steigerung von Wohlstand und Wohlfahrt, betonen die Kritiker, die Globalisierung bewirke sowohl in den Industrienationen als auch in den Entwicklungsländern eine Spaltung der Gesellschaften in Gewinner und Verlierer.

Die Auswirkungen der Globalisierung zeigen sich auch in der Herausbildung multikultureller Gesellschaften, vor allem in den großen Städten, den so genannten "Global Cities". Hier entstehen ganz neue Formen gesellschaftlichen Zusammenlebens. Zugleich umfasst die Globalisierung die zunehmende Vereinheitlichung der Lebensstile, Werte, Essgewohnheiten, der Musik und der Mode. Mit der globalen Präsenz der vom Westen dominierten Einheitskultur ("McWorld-Kultur", "Cocacolization") droht der Verlust kultureller Traditionen. Vielerorts resultiert daraus aber auch eine Rückbesinnung auf lokale kulturelle Werte, Traditionen und Autonomien. Die Begriffe "globales Dorf" und "Glokalisierung" stehen für diesen Zusammenhang von weltweiter Perspektive und lokalem Gegenbezug.

 

     
 

Globalisierung: Definitionen

Der Ausdruck Globalisierung wird zur Bezeichnung verschiedener, positiver wie negativer Phänomene verwendet. Einerseits hat die Revolution im Bereich der Kommunikation zu einer raschen Überwindung von Entfernungen geführt, andererseits haben die neuen Technologien aber auch zur Entwicklung eines Wirtschaftssystems beigetragen, das von der Herrschaft des Kapitals gekennzeichnet ist. Dabei hat das Finanzkapital das ebenfalls globalisierte Industriekapital als leitenden Akteur im globalen Wirtschaftsprozess abgelöst.

Erklärung des "Colloquiums 2000", zitiert nach: Glaubensgemeinschaft und soziale Bewegungen im Streit mit der Globalisierung. In: epd-Entwicklungspolitik 13/2000, S. 45.

Der Terminus Globalisierung ist seit den 1990er-Jahren in aller Munde. Ursprünglich im ökonomischen Bereich verwendet, um die zunehmende globale Verflechtung der Ökonomien und insbesondere der Finanzmärkte auf den Begriff zu bringen, bezeichnet er auch Prozesse, die von dieser als qualitativ neu angesehenen Entwicklung ausgehen und inzwischen etliche weitere Bereiche fortschreitender Modernisierung wie Kommunikation, Produktion von Wissen und Gütern, Transport umfassen, aber auch Problemfelder internationaler Sicherheit wie Organisierte Kriminalität, Drogen-, Waffen- und Menschenhandel, Krieg und Migration. Bedingt durch die breite Verwendungspraxis ist der Begriff nicht einheitlich zu definieren. Im Kern besagt er die rapide Vermehrung und Verdichtung grenzüberschreitender gesellschaftlicher Interaktionen, die in räumlicher und zeitlicher Hinsicht die nationalen Gesellschaften immer stärker miteinander verkoppeln.

Dieter Nohlen: Globalisierung. In: Ders. (Hrsg.): Kleines Lexikon der Politik. München (Beck) 2001, S. 181.

Globalisierung meint die über territorial definierte Räume hinaus gehende, tendenziell weltweite Ausweitung von wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Praktiken.

Historisch werden mehrere Wellen der Globalisierung unterschieden: Einer ersten Welle der Migration, des Kapitalexports und der Handelsausweitung von 1870 bis 1914 folgte ein Rückfall in Nationalismus und Protektionismus. Ein zweiter Globalisierungsschub nach 1945 bescherte den Industrieländern außerordentliche Wachstumsraten. Um 1980 setzte eine dritte Welle der Globalisierung ein, die durch liberalisierte Finanzmärkte und eine "neue internationale Arbeitsteilung" charakterisiert wird: Erstmals erringen die sich globalisierenden Entwicklungsländer bedeutende Anteile am Welthandel mit Industriegütern.

Klaus Müller: Globalisierung. Frankfurt/M. (Campus) 2002, S. 175 f.

 
     

 

Dimensionen der Globalisierung

 

Politik (vgl. Baustein C):

Die Auswirkungen der Globalisierung auf die Politik bestehen insbesondere in der Verschiebung der Kräfteverhältnisse zugunsten der Wirtschaft. In der globalisierten Welt kommt den Staaten in immer stärkerem Maß die Aufgabe zu, durch die Schaffung investitionsgünstiger Standortbedingungen international agierende Unternehmen für Investitionen und damit für die Schaffung von Arbeitsplätzen zu gewinnen. Neben diesen primär wirtschaftspolitischen Auswirkungen der Globalisierung steht die Strategie des "Global Governance", d.h. die demokratisch legitimierte, sozial und umweltverträgliche Gestaltung des aktuellen Globalisierungsprozesses. Dahinter steht der pragmatische Ansatz, dass eine globalisierte Welt mit den Instrumentarien Welthandelsorganisation, Weltumweltordnung, internationale Wettbewerbsordnung, Weltsozialordnung, Weltwährungs- und Finanzordnung sowie einer Weltfriedensordnung regiert werden kann.

 

Ökonomie (vgl. Baustein D): Die Vielschichtigkeit des Globalisierungsprozesses verbietet es geradezu, ihn auf die ökonomische Sicht zu verengen, auch wenn die Globalisierung der Wirtschaft als treibende Kraft des Gesamtprozesses im Vordergrund steht und die Lebensverhältnisse von Menschen in allen Teilen der Welt prägt. Die Auswirkungen der Globalisierung finden auf verschiedenen Ebenen zeitgleich, jedoch in unterschiedlicher Intensität Niederschlag und werden - je nach subjektiver Perspektive - positiv oder negativ wahrgenommen und interpretiert.

 

Umwelt und Natur: Die Bedeutungslosigkeit politischer Grenzen für die Folgen der Umweltzerstörung führt dazu, dass die Auswirkungen der Umweltbelastungen nicht nur an den Orten ihrer jeweiligen Verursachung, sondern global wirksam werden. Die Globalisierung hat damit auch zu einem gestiegenen Bewusstsein über die Folgen der weltweiten Umweltbelastungen geführt. Auf der Ebene der Politik wird versucht, durch internationale Abkommen wie dem Kyoto-Protokoll entgegenzuwirken. Seit den 1980er-Jahren hat sich die Zahl der internationalen Umweltschutzabkommen mehr als verdoppelt. Zentrales Mittel dieser Gegenkonzeption ist der auf dem Prinzip der Nachhaltigkeit basierende Agenda 21-Prozess, der 1992 in Rio de Janeiro beschlossen, allerdings vielfach nur punktuell und schleppend - zudem in manchen Staaten gar nicht - umgesetzt wurde.

 

Ängste und Kritik - Chancen und Visionen

Die vielfältigen sozialen, politischen und kulturellen, vor allem aber auch die ökonomischen Entwicklungen im weltweiten Zusammenhang bringen Veränderungen und Ungewissheiten mit sich. Manche dieser Globalisierungsprozesse führen zu diffusen Ängsten und berechtigter Kritik, auch und gerade im Alltag Jugendlicher. Über Chancen, Visionen und über die Gestaltbarkeit des Globalisierungsprozesses wird dagegen nur selten gesprochen. Von zentraler Bedeutung ist, dass es sich bei der Globalisierung nicht um einen Zustand und schon gar nicht um eine Naturkatastrophe handelt, sondern um einen gestaltbaren Prozess, der Chancen und Gefahren birgt.

Die positiven Auswirkungen der Globalisierung wie die Schaffung einer Weltöffentlichkeit ("Gemeinschaft der Völker", "Weltgewissen"), die ungehinderte Mobilität von Menschen und Informationen und die damit steigende Informationsfreiheit werden oft als selbstverständlich hingenommen - auch von Jugendlichen, die beispielsweise rund um den Globus chatten, im Netz einkaufen, weltweite Musiksender wie MTV sehen oder mit "Billigfliegern" als Globetrotter um die Welt "bummeln".

Aber Globalisierung polarisiert auch und eröffnet Kontroversen. Während die einen die vollständige Liberalisierung des Handels befürworten, kritisieren die anderen wiederum das demokratische Defizit und die Asymmetrie des Globalisierungsprozesses. Während die einen mit dem raschen Tempo der Veränderungen in den Informationstechnologien Schritt halten, fühlen sich die anderen eher überfordert statt umfassend informiert. Während es die einen genießen, zwischen heimischer, ostasiatischer oder südamerikanischer Küche wählen zu können, die ganze Bandbreite von Rock und Ethno-Pop hören und beim Lesen das internationale Angebot einer "Weltliteratur" schätzen, empfinden die anderen dies als Verlust nationaler Bindungen und als bedrohliches Anwachsen "fremder" Einflüsse.

Aber die Ängste und Sorgen gehen noch weit darüber hinaus: Im Zuge der Globalisierung wird immer deutlicher, dass weltweit gemeinsames Handeln notwendig ist, um globalen Gefährdungen entgegentreten zu können: sei es bei der Umweltproblematik, bei der weltweiten Verbreitung von Atomwaffen oder angesichts von Krieg und globalem Terrorismus. Ängste und Bedrohungsgefühle sind jedoch problematische Reaktionen auf Veränderungen. Ihre bewusste oder unbewusste Instrumentalisierung ist aber noch weitaus gefährlicher, weil sie Intoleranz und Aggressivität fördert. Viel wichtiger ist es, Chancen für alle Beteiligten zu betonen und Handlungsmöglichkeiten zu diskutieren.

 

     
 

Orte mit Bedeutung

"Davos": Seit seiner Gründung 1971 hat sich das jährlich tagende World Economic Forum in Davos von einem Management-Seminar zu einem Forum der weltwirtschaftlichen Diskussion entwickelt. Alljährlich treffen sich in Davos die Eliten der wichtigsten Wirtschaftsbranchen sowie aus den Bereichen Politik und Kultur, um die globalen Probleme aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft zu diskutieren. Alljährlich provoziert das Treffen auch Demonstrationen der Globalisierungskritiker. Neuerdings sind auch Vertreter von Nicht-Regierungsorganisationen zu dem Forum eingeladen. "Seattle": Beim Ministertreffen der Welthandelsorganisation WTO im amerikanischen Seattle (1999) demonstrieren 50.000 Menschen gegen die negativen Auswirkungen der Globalisierung. Die Tagung muss abgebrochen werden. "Seattle" gilt als Auftakt einer weltweiten Anti-Globalisierungsbewegung. "Genua": Im italienischen Genua findet im Sommer 2001 der G 8-Gipfel der führenden Industrienationen statt. Dabei kommt es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und einem Teil der Demonstranten. Ein 23jähriger Mann wird von der Polizei erschossen. Entsetzen macht sich breit und "Genua" wird zum Scheitelpunkt der Anti-Globalisierungsproteste. "Porto Allgre": Die brasilianische Metropole ist seit 2001 Tagungsort des "Weltsozialforums", das von Nicht-Regierungsorganisationen vorbereitet und durchgeführt wird. An dem "Gipfeltreffen der Alternativen" nehmen im Januar 2003 rund 100.000 Menschen teil, die sich weltweit "für eine neue Gesellschaft" engagieren. "Florenz": Im November 2002 treffen sich Hunderttausende zum "Europäischen Sozialforum" der Nicht-Regierungsorganisationen und demonstrieren gewaltfrei gegen Armut und Krieg. "Evian": Beim G 8-Gipfeltreffen des "Clubs der Reichen" im französischen Evian protestieren mehrere zehntausend Globalisierungskritiker zum Teil gewaltsam gegen den Irak-Krieg und für einen Schuldenerlass der ärmsten Länder der Welt. "Cancùn": Nach fünftägigen Verhandlungen scheitert die WTO-Ministerkonferenz an den tief sitzenden Gegensätzen zwischen den reichen und armen WTO-Mitgliedstaaten. Der Streit um milliardenschwere Agrarhilfen und Schutzzölle bei landwirtschaftlichen Produkten ist ein zentraler Konfliktpunkt der Tagung. Auch bei dieser Konferenz gibt es heftige Krawalle. Der Freitod eines koreanischen Bauernführers überschattet die Tagung. Erstmals sind bei der Konferenz Vertreter zahlreicher NGOs als Beobachter zugelassen. Zusammengestellt und erweitert nach: Uli Jäger: Globalisierung - Ängste und Kritik. Themenblätter im Unterricht Nr. 28 (2003), hrsg. von der Bundeszentrale für politische Bildung.

 
     

 

Die Themen dieses Heftes

Das vorliegende Heft greift ganz bewusst drei Aspekte des Globalisierungsprozesses heraus: Kultur, Politik und Wirtschaft. Ergänzt werden diese drei Bereiche durch die Frage nach der Bandbreite der so genannten Globalisierungskritiker und die Diskussion der Konzepte und Handlungsmöglichkeiten, wie den negativen Auswirkungen der Globalisierung begegnet werden könnte. In der didaktischen Vermittlung der Problematik will das Heft eher "kleine Schritte" gehen und dabei auch die Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe I mit auf den Weg nehmen. Als Ergebnis der Auseinandersetzung mit dem Thema Globalisierung sollen sie in der Lage sein, den Begriff der Globalisierung umreißen zu können, die Ursachen und Auswirkungen des Prozesses weltweit und in ihrem eigenen Lebenszusammenhang benennen und diskutieren zu können sowie mit den Namen der wichtigsten politischen Institutionen und Akteure des Globalisierungsprozesses vertraut zu sein. Dabei wird nicht vergessen, nach den Chancen und Risiken, Gewinnern und Verlierern zu fragen, aber auch der Frage nach neuen "Schiedsrichtern" und "Spielregeln" nachzugehen. Der Aspekt der globalen Umweltbelastung und Umweltpolitik wurde wegen seines Umfangs ganz bewusst ausgespart, genauso wie der Aspekt der weltweiten Friedenssicherung nur angerissen werden kann. Beide Themen wären lohnenswerte Aufgaben für jeweils eigene Hefte.

 

     
  Kleines Lexikon der Globalisierung

Bretton Woods ist der Ort im US-Bundesstaat New Hampshire (USA), an dem 1944 erstmals eine institutionelle Ordnung der Weltwirtschaft in Form des IWF und der Weltbank beschlossen wurde. Ziele dieser Ordnung waren die Ausweitung des Welthandels, wirtschaftliches Wachstum und hohe Beschäftigung bei stabilen Währungsverhältnissen.

Global Governance besteht in der Absicht, auch ohne einen Weltstaat Weltpolitik zu betreiben, indem internationale Institutionen, Unternehmen und Nicht-Regierungsorganisationen ihre Kompetenzen vernetzen.

G 7 bzw. G 8 ist das informelle Forum des Weltwirtschaftsgipfels, in dem die sieben größten Industrienationen (Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, Kanada und USA) ihre globalen Interessen koordinieren (seit 2002 durch Russland zur G 8 erweitert).

Internationaler Währungsfonds (IWF) ist die 1947 zur Stabilisierung des internationalen Währungssystems gegründete Organisation. Der IWF vergibt befristete Kredite zur Überbrückung von kurzfristigen Zahlungsbilanzschwierigkeiten an einzelne Regierungen.

Die Welthandelsorganisation (WTO; engl.: World Trade Organization) ist im Jahr 1995 gegründet worden und hat ihren Sitz in Genf. Sie ist die Nachfolgeorganisation des allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens GATT (General Agreement on Tariffs and Trade). Hauptziel des GATT von 1948 war, durch Senkung der Zölle und Abbau von Handelshemmnissen den Welthandel und die Weltwirtschaft zu fördern. Das GATT, das zu den Sonderorganisationen der Vereinten Nationen (UN) gehörte, wurde zum 1. Januar 1996 durch die WTO abgelöst. Die WTO regelt als einzige legitimierte UN-Sonderorganisation den internationalen Handel. Die zentralen WTO-Vereinbarungen bilden rechtliche Grundsätze für den internationalen Handelsverkehr und die Handelspolitik. Angestrebt wird, in den Mitgliedstaaten den Lebensstandard und die Realeinkommen zu erhöhen, Vollbeschäftigung zu erreichen und zu sichern, und zu diesem Zweck den Handel auszuweiten und Protektionismus zu bekämpfen. Die WTO hat wesentliche Liberalisierungsaufgaben: Im Gegensatz zum GATT umfasst die WTO nicht nur den Handel von Gütern, sondern auch den Handel mit Dienstleistungen (GATS) und die handelsbezogenen Aspekte der Rechte am geistigen Eigentum (TRIPS).

OECD (Organization for Economic Cooperation and Development) ist der organisatorische Zusammenschluss der führenden Industrieländer für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklungshilfe, die 1961 als Nachfolgeorganisation der Europäischen Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit gegründet wurde.

Die Weltbank ist - wie der IWF - aus dem Bretton Woods-Abkommen hervorgegangen. Ihre Aufgabe ist es, Entwicklungsländern Kapital für die wirtschaftliche Entwicklung zur Verfügung zu stellen.

Nicht-Regierungsorganisationen (NRO; engl. Non-Governmental Organizations oder NGO) waren ursprünglich die privaten Träger der Entwicklungshilfe. Heute gibt es in Deutschland mehr als 200, darunter Kirchen und politische Stiftungen sowie sonstige private Träger, die teilweise von Regierungsseite finanziell unterstützt werden.

Neoliberalismus ist ein wirtschaftspolitisches Konzept für eine Wirtschaftsordnung, die durch die Steuerung aller ökonomischer Prozesse über den Markt, d.h. durch freien und funktionsfähigen Wettbewerb gekennzeichnet ist. Das Konzept lehnt sowohl das Laissez-faire-Prinzip als auch den Staatsinterventionismus sowie jede Form von Planwirtschaft ab und billigt dem Staat lediglich wirtschaftskonforme Eingriffe zu (z.B. Schaffung und Erhaltung der Rahmenbedingungen für freien Wettbewerb, etc...).

Protektionismus ist eine Wirtschaftspolitik, die einen Binnenmarkt bzw. einzelne Wirtschaftsbereiche (z.B. Landwirtschaft) durch Schutzzölle, Einfuhrkontingente oder -verbote und andere Handelshemmnisse vor ausländischer Konkurrenz zu schützen sucht.

Attac (Association pour une Taxation des Transactions financières pour l'Aide aux Citoyens; dt.: Vereinigung zur Besteuerung von Finanztransaktionen im Interesse der BürgerInnen) wurde 1998 in Frankreich gegründet und hat heute weltweit rund 90.000 Mitglieder in 45 Ländern. In Deutschland sind es etwa 2.000. Attac ist ein Bündnis, das Menschen und Organisationen verbindet, die für soziale und ökologische Gerechtigkeit im Globalisierungsprozess streiten. In Deutschland reicht das Bündnis von den Gewerkschaften ver.di und GEW über den BUND und Pax Christi bis zu kapitalismuskritischen Gruppen.

Das World Economic Forum ist als "Gipfel der Gipfel" das jährliche Treffen von rund 1.000 Unternehmensführern, 250 Staatsvertretern und ca. 300 Wissenschaftlern und hochrangigen Kulturträgern in Davos. Das "Davoser Forum" definiert Lösungen zu wirtschaftlichen, politischen und sozialen Problemen. Es will eine "globale Gemeinschaft" und eine weltweite Vernetzung zwischen den Entscheidungsträgern aus den Bereichen Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Medien schaffen.

Das Forum Social Mundial ist das 2001 parallel zum Davoser Weltwirtschaftsgipfel in der brasilianischen Stadt Porto Allegre gegründete Forum von Globalisierungskritikern. Seither trifft sich das breite gesellschaftliche Forum jährlich, um unter dem Motto "Eine andere Welt ist möglich" Konzepte zur sozialen und umweltverträglichen Gestaltung der Globalisierung zu diskutieren.

Nach: Klaus Müller, Globalisierung. Frankfurt/M (Campus), 2002; Joseph Stiglitz: Die Schatten der Globalisierung. Berlin (Siedler) 2002; Harenberg Aktuell 2004, Dortmund 2003 u. Der Brockhaus Multimedial, 2001.

 
     

 


 


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