Die Globalisierung macht Pause

Die Finanz- und Wirtschaftskrise sowie der Aufstieg der Schwellenländer hat das weltweite Handelssystem radikal verändert.

<i>(DVZ-illustration: Liliane Oser)</i>

Die Nachkriegszeit ist dem Prinzip der multilateralen Handelsabkommen gefolgt. Erst das General Agreement on Tariffs and Trade (GATT) und später die WTO waren die politischen Wegbereiter der Globalisierung. Mit überragendem Erfolg wurden weltweit nationale Gütermärkte für den internationalen Wettbewerb geöffnet. Die fortschreitende Arbeitsteilung ermöglichte eine immer weitergehende Spezialisierung. Ein stetig wachsender Anteil der Produktion wurde auf den Weltmärkten verkauft. Mitte der 1980er Jahre wurden 18 Prozent der Weltproduktion (Güter und Dienstleistungen) international gehandelt. 2012 waren es 32 Prozent.

Der starke Druck des weltweiten Wettbewerbs sorgte dafür, dass Kosten und Margen gesenkt werden mussten. Güter wurden billiger, was für die Kunden die reale Kaufkraft der Löhne erhöhte. Die steigende Arbeitsproduktivität als Folge der weitreichenden Spezialisierung und des dadurch weiter beschleunigten technologischen Fortschritts sorgte zusätzlich für steigende Reallöhne der Beschäftigten. Als Ergebnis verbesserte die Globalisierung in den letzten fünfzig Jahren den Lebensstandard für die überwiegende Mehrheit der Menschheit. Selbst wenn es weltweit immer noch viel zu viel Massenarmut gibt, bleibt doch gültig, dass heutzutage die meisten Menschen besser, länger und gesünder leben als ihre Vorfahren.

Finanzkrise großer Einschnitt

Die Finanzmarktkrise verursachte an verschiedenen Stellen Risse im Fundament der Globalisierung:

  • Erstens wurde die Dynamik der wirtschaftlichen Entwicklung in den aufstrebenden Volkswirtschaften Südostasiens und Lateinamerikas nachhaltig gebremst. Dadurch verringerte sich deren Importnachfrage.
  • Zweitens stiegen überall die Arbeitslosenzahlen. Deshalb mussten weltweit Regierungen Arbeitsmärkte durch nationale Konjunkturprogramme stützen. Aus einer Exportförderungsstrategie wurde eine Strategie der Importsubstitution.
  • Drittens provozierte die Rezession eine Rückkehr des Protektionismus. Insbesondere der Wechselkurs wurde zur wichtigsten Waffe in einem aufflammenden Währungskrieg. Was der Schweiz recht war, wurde vielen anderen Ländern mit Japan an der Spitze billig. Eine Abwertung der Währung schützt die heimische Wirtschaft besser als jeder Einfuhrzoll. Und sie fördert die Ausfuhr stärker als jede Exportsubvention.
  • Viertens zwingen die noch lange stark wachsenden Bevölkerungen die aufstrebenden Volkswirtschaften dazu, mehr Güter und Dienstleistungen selber herzustellen und die nationalen Binnenmärkte rasch zu stärken. Nur so werden sie in der Lage sein, mehr Jobs für mehr Arbeitssuchende zu schaffen.

Alles in allem verlangsamte sich mit der Finanzmarktkrise das Tempo der Globalisierung. Der Anteil der international gehandelten Güter und Dienstleistungen gemessen an der gesamten Weltproduktion erreichte nicht mehr das Vorkrisenniveau. Ebenso liegen die Volumina des Welthandels in der Zeit nach der Krise deutlich unter dem langfristigen Trend von 1990 bis 2008. Die Weltwirtschaft ist heute weniger global vernetzt als 2007.

Eine weitere Zäsur dürfte die Globalisierung durch den Spionageskandal der amerikanischen Geheimdienste erfahren. Die in den letzten Wochen aufgedeckten flächendeckenden systematischen Abhöraktivitäten der amerikanischen NSA sind weit mehr als nur ein politischer Vertrauensbruch. Sie werden auch die Weltwirtschaft verändern.

NSA-Skandal bremst Datenfluss

Privatpersonen genauso wie Firmen werden ihre Daten künftig besser schützen müssen. Das wird die Kosten für Information und Kommunikation nach oben treiben. Vorsicht, Prävention und Sicherheit werden stärker als zuvor internationale Transaktionen bestimmen. Das bedeutet zusätzlichen Sand im Getriebe der Globalisierung.

Globale Transaktionen sind ohnehin stets mit höheren Risiken verbunden als das Geschäft mit dem Nachbarn. Ferne Welten sind eben auch fremde Welten. Da gelten andere, unbekannte Spielregeln, Rechtssysteme, Umgangsformen und Verhaltensweisen. Geschäfte mit Partnern und Kunden in weiter Ferne bedingen sowieso ein hohes Maß an Vertrauen, Fair Play und Absicherung. Wenn nun aber bereits Freunde ausspioniert werden, was passiert da erst im Geschäft mit Fremden?

Zufall oder nicht, das Aufdecken der amerikanischen Spionageaktivitäten fällt zeitlich zusammen mit üblen Tricks und illegalen Machenschaften auf den globalen Finanzmärkten. Offenbar werden Referenzkurse wie der Libor (für Zinsgeschäfte) oder der Forex (für Wechselkursgeschäfte) und damit der Maßstab für Finanzgeschäfte im Volumen von täglich vielen Billionen Dollar systematisch gefälscht und von Finanzakteuren zu eigenen Zwecken manipuliert.

Wegen der Manipulation von Zinssätzen müssen die Royal Bank of Scotland, die französische Société Générale, die US-Banken Citigroup und JPMorgan, die Londoner Brokerfirma RP Martin sowie die Deutsche Bank eine Rekordbuße von insgesamt 1,7 Mrd. EUR zahlen. Die britische Barclays und die Schweizer UBS haben ebenfalls gesündigt, kommen aber um Strafen herum, weil sie frühzeitig ihre Untaten gestanden haben.

Auch hier spielt die Globalisierung eine wesentliche Rolle dafür, dass in der Finanzbranche nicht mehr Treu und Glauben, Recht und Gesetz, sondern Lug und Trug, Raffgier und Zockerei das Verhalten bestimmen

Die Globalisierung hat die Beträge gewaltig werden lassen, die auf den Zins-, Devisen und Edelmetallmärkten gehandelt werden. Entsprechend riesig sind die möglichen Manipulationsgewinne, und entsprechend hoch ist die Risikobereitschaft, auch illegale Handlungen vorzunehmen.

Die Transaktionen erfolgen heute nicht mehr als Ergebnis persönlicher Kontakte oder Gespräche, sondern über das Internet nanosekundenschnell, ortsungebunden in einer vollständig anonymen virtuellen Welt, in der sich niemand wirklich kennt. Oft folgen Handlungen automatischen Verhaltensregeln, die von Computern und ihren Programmen gesteuert und ausgelöst werden. Eine strafrechtliche Verfolgung mit nationalen Aufsichts- und Justizbehörden wird da schwierig. Auch weil auf globalen Märkten unklar bleibt, welches Rechtssystem zuständig ist.

Zudem schwächen die zur Regel gewordenen häufigen Wechsel von Arbeitgeber und Arbeitsort die Nachhaltigkeit individuellen Handelns. Das Ich dominiert das Wir. Wer davon ausgehen kann, dass eine mehrfache Wiederholung einer Kundenbeziehung wenig wahrscheinlich ist, hat bei einem Einmalgeschäft keinen großen Anreiz, Reputation und Vertrauen aufzubauen. Viele von den als Finanzinnovationen gepriesene Optionen müssen nun erst beweisen, dass sie im Interesse der Nachfrager und nicht im Eigeninteresse der Anbieter sind.

Zu vermuten ist, dass ein lokales Finanzwesen mit nachhaltigen persönlichen Kundenbeziehungen attraktiver werden wird. Weil man sich in der Nachbarschaft immer wieder von Neuem trifft, besteht im Kleinen eher Vertrauen, dass Geschäfte im langfristigen gegen- und nicht im einmaligen einseitigen Interesse gepflegt werden. Lokalität, persönliche Kontakte und Nachhaltigkeit dürften Zulauf gewinnen.

Viele Indizien sprechen somit dafür, dass das Verständnis für die Globalisierung (weiter) schwinden wird. Die Welt hat sich in den letzten 20 Jahren dramatisch verändert. Nicht aber die Strukturen der WTO. Sie sind seit ihrer Gründung 1995 nahezu unverändert geblieben. Nun zeigt sich ein trauriges Ergebnis: der multilaterale Weg ist an sein Ende gelangt.

Die aufstrebenden Volkswirtschaften wollen mehr Mitsprache und weniger westliche (amerikanische) Bevormundung. Sie wollen bei der Gestaltung der Spielregeln der Globalisierung mitbestimmen. Die Vorbehalte gegenüber der Globalisierung sind auch in Europa mit Händen zu greifen. Sie lassen sich auf ein einfaches Prinzip zusammenfassen: man misstraut der großen Welt, aber man hat viel Vertrauen in die lokale Nachbarschaft. Zwar ist alles in Bewegung - aber auf das Lokale ist Verlass.

Immer deutlicher zeigt sich, wie unterschiedlich die Interessen in den aufstrebenden und den westlichen Ländern sind. Immer seltener gelingt es, gemeinsam weltweit gültige Kompromisse zu finden. Eine Verlängerung des multilateralen Liberalisierungsweges wäre deshalb nur unter großen Mühen und kleinen Fortschritten möglich. Stattdessen werden zweitbeste Lösungen attraktiver. Sie finden sich in regionalen oder bilateralen Handelsabkommen - wie beispielsweise die transatlantische Partnerschaft (TTIP) zwischen den USA und der EU. Klug wäre es, sich diesen Wandel einzugestehen.

Die aufstrebenden Volkswirtschaften wollen mehr Mitsprache und weniger Bevormundung.

Prof. Dr. Thomas Straubhaar, HWWI

Ihr Feedback
Teilen
Drucken

Sie sind noch kein Abonnent?

Testen Sie DVZ oder DVZ-Brief 4 Wochen im Probeabo und überzeugen Sie sich von unserem umfassenden Informationsangebot.

  • Online Zugang
  • Täglicher Newsletter
  • Wöchentliches E-paper

 

Zum Probeabo

Jetzt DVZ oder DVZ-Brief 4 Wochen kostenlos testen

Sie sind noch kein Abonnent?

Testen Sie DVZ oder DVZ-Brief 4 Wochen im Probeabo und überzeugen Sie sich von unserem umfassenden Informationsangebot.

  • Online Zugang
  • Täglicher Newsletter
  • Wöchentliches E-paper

 

Zum Probeabo

Jetzt DVZ oder DVZ-Brief 4 Wochen kostenlos testen

Nach oben