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Allgemeinmedizin

Zeckeninfektion

Neuroborreliose oder Borrelien-Neurose?

PD Dr. med. habil. Tobias Rupprecht

29.7.2021

Eine Neuroborreliose wird viel häufiger vermutet, als sie tatsächlich vorliegt. Teilweise führt dies zu verlängerten, nicht indizierten Antibiotikatherapien mit entsprechenden Nebenwirkungen. Nicht selten wird auch die eigentliche Ursache der Beschwerden übersehen. Dieser Artikel soll Klarheit schaffen und Empfehlungen zu Diagnostik und Therapie geben.

Die Lyme-Borreliose ist die häufigste Zecken-übertragene Erkrankung auf der nördlichen Halbkugel. Sie wird verursacht durch den Stich einer mit Borrelia burgdorferi infizierten Zecke. Die Prävalenz von Borrelien in einer Zecke beträgt nach einer aktuellen Studie im Mittel etwa 20 %. Dabei schwankt die Prävalenz jedoch nicht nur von Jahr zu Jahr, es finden sich auch starke regionale Unterschiede. Während die jährliche Inzidenz der Lyme-Borreliose im Zeitraum 2013–2017 in der Region Schwerin bei 138 von 100.000 lag, wurden im gleichen Zeitraum in Kaufbeuren nur 0,5 Fälle pro 100.000 Einwohner gemeldet. Geschätzt führt nur etwa jeder fünfzigste Stich zu einer klinisch manifesten Borreliose. Daher kann auch eine generelle medikamentöse Prophylaxe nicht empfohlen werden, da die vorsorgliche Einnahme eines Antibiotikums in fast 98 % der Fälle nicht notwendig wäre. Als wichtigste Maßnahmen zur Prophylaxe bleiben der Expositionsschutz (lange Kleidung, Repellents) und das Absuchen des Körpers auf Zecken nach Aufenthalt in der Natur.

Echte Neuroborreliose ist sehr selten

Die häufigste Manifestation einer Lyme-Borreliose ist die Wanderröte (Erythema migrans) mit 90–95 % der Fälle – ein typisches Bild einer Wanderröte findet sich in der Abbildung links. Die Lyme-Neuroborreliose (LNB) ist dagegen wesentlich seltener mit unter 3 %. Die LNB wird – abhängig von der Krankheitsdauer – unterschieden in die frühe (< 6 Monate) und späte (> 6 Monate) LNB. Die späte LNB ist sehr selten, in über 95 % der Fälle handelt es sich um die frühe Manifestationsform.

Die diagnostische Vermutung einer späten LNB (auch häufig als „chronische Borreliose“ fehlbezeichnet, was suggeriert, dass die Borrelien nicht zuverlässig abgetötet werden können, was jedoch nicht wissenschaftlich fundiert ist) ist dagegen viel häufiger, als sie gerechtfertigt wäre. Oft werden unspezifische Symptome einer persistierenden Borrelieninfektion zugeschrieben, ohne dass eine belastbare Diagnostik dies nachweisen kann. Unterstützt wird dies meist durch eine Flut unseriöser und nicht wissenschaftlich belegter Informationen aus dem Internet. Eine Studie der Universität Göttingen konnte in über 100 zugesandten Fällen mit vermuteter chronischer Borreliose diese trotz ausführlicher Diagnostik in keinem Fall bestätigen. Eine tatsächliche späte LNB mit einer spastisch-ataktischen Gangstörung als Folge einer (Enzephalo-)Myelitis ist glücklicherweise sehr selten und durch eine Liquoranalyse eindeutig nachzuweisen.

Differenzialdiagnostik und Symptome

Die häufigste klinische Symptomatik der frühen LNB ist das Bannwarth-Syndrom mit typischerweise nächtlich betonten, pseudoradikulären Schmerzen. Dabei fällt die rein klinische Unterscheidung zu anderen Ursachen, beispielsweise dem Nucleus pulposus prolaps (NPP) oder dem Herpes zoster, oft schwer (s. Tab.). Die Wahrscheinlichkeit einer LNB ist höher, wenn zuvor eine Wanderröte beobachtet wurde. Allerdings erinnert sich der überwiegende Teil der Patienten mit einer LNB nicht an einen vorangegangenen Zeckenstich. Dies ist auch damit begründet, dass die verschiedenen Borrelien-Spezies einen unterschiedlichen Organotropismus aufweisen. So ist bei LNB am häufigsten eine Infektion mit Borrelia bavariensis zu beobachten. Dabei ist zu vermuten, dass sich dieser Erreger entlang der Nerven in das zentrale Nervensystem (ZNS) zu den Rückenmarkswurzeln ausbreitet, teilweise ohne zu einer sichtbaren Hautveränderung zu führen.

Zusätzlich zu den Schmerzen können, insbesondere wenn eine rasche antibiotische Therapie ausbleibt, neurologische Ausfälle auftreten, allen voran Hirnnervenlähmungen. Dabei ist in 80 % der Fälle der Gesichtsnerv betroffen, in einem Drittel davon ist eine beidseitige Fazialisparese vorliegend. Gerade bei einer beidseitigen Gesichtsnervenlähmung sollte primär an eine LNB gedacht werden, da diese die häufigste Ursache darstellt. Andere Hirnnerven sind seltener betroffen, hier sind vor allem der Nervus abducens und der N. oculomotorius zu nennen. Eine typische Stelle für eine Parese ist auch die Bauchmuskulatur, da hier nur selten ein NPP als Ursache infrage kommt (Abb., rechts). Rein meningitische Verlaufsformen sind in Europa ebenfalls selten, häufiger dagegen in den USA, wobei hier nur B. burgdorferi sensu stricto als humanpathogene Spezies vorzufinden ist. Auch eine Borrelien-Vaskulitis mit begleitenden Schlaganfällen wurde bislang nur in Einzelfällen berichtet.

Verbesserter Nachweis durch CXCL13

Die Diagnostik der LNB beruht vor allem auf der Liquoranalyse. Dabei werden im Wesentlichen die Liquorzellzahl als Ausdruck einer akuten Infektion und als Zeichen für die Spezifität der Infektion die intrathekale, Borrelien-spezifische Antikörperproduktion bestimmt. Letztere wird als Liquor-/Serum-Antikörper-Index (AI) angegeben, angepasst an die Liquor-/Serum-Schrankenstörung durch parallele Bestimmung des Albuminquotienten. Bei einer LNB findet sich typischerweise eine mäßiggradige Liquorpleozytose (30–1.000 Leukozyten/µl) mit vorwiegend mononukleärem Zellbild sowie ein Borrelien-spezifischer AI von > 1,5. Nur wenn beide Befunde vorliegen, kann von einer gesicherten LNB gesprochen werden, wurde der AI nicht bestimmt, kann nur die Diagnose einer wahrscheinlichen LNB gestellt werden.

Der AI ist allerdings mit einer unzufriedenstellenden Sensitivität, insbesondere in der frühen Erkrankungsphase, behaftet und liegt bei nur 75–86 %.

„Da ein rascher Therapie­beginn Komplikationen verhindern kann, ist gerade hier eine verbesserte Diagnostik sinnvoll. Diese Lücke kann der neuartige Liquor-Biomarker CXCL13 schließen.“

Seine Sensitivität liegt in der Frühphase der Erkrankung mit bis zu 96 % wesentlich höher, vorausgesetzt, eine antibiotische Therapie wurde noch nicht begonnen. CXCL13 ist ein B-Zell-anziehendes Chemokin, welches eine relevante Rolle bei der Pathogenese der LNB spielt. Es wird durch Kontakt der Borrelien mit ortsständigen Immunzellen im Liquor gebildet, noch bevor die Antikörper-produzierenden B-Lymphozyten dorthin eingewandert sind und ist daher gut als Frühmarker geeignet. Sind die Borrelien dagegen abgetötet, fällt der Reiz zur Produktion von CXCL13 weg und die Konzentration sinkt rasch ab. Damit ist dieses Chemokin auch als Therapiemarker nutzbar und zeigt zuverlässig die Eradikation der Borrelien an.

CXCL13 kann mittlerweile über viele Labore bestimmt werden und nimmt einen zunehmenden Stellenwert in der Diagnostik der LNB ein. Beachtet werden sollte allerdings, dass CXCL13 – meist in nur geringerem Ausmaß – auch bei anderen inflamma-torischen ZNS-Erkrankungen erhöht sein kann. Daher sollte dieses Chemokin nicht unkritisch als alleiniger Marker eingesetzt werden. Ein normwertiges CXCL13 schließt jedoch beim unbehandelten Patienten eine LNB mit hoher Sicherheit aus.

Die Borrelien-Serologie aus dem Blut allein ist nicht aussagekräftig genug, um eine LNB sicher nachweisen oder ausschließen zu können. Weitere Bluttests, insbesondere Verfahren zur Bestimmung der T-Zell-Aktivität (beispielsweise der Borrelien-EliSpot oder der Borrelien-LTT), können nicht empfohlen werden, da eine Validität dieser Methoden bislang nie gezeigt werden konnte. In einer prospektiven Untersuchung an den Kliniken Dachau und München-West konnten wir bei dem Borrelien-LTT eine nur unzureichende Sensitivität nachweisen (Manuskript in Vorbereitung).

Empfehlungen zur Antibiotikatherapie

Die Therapie einer nachgewiesenen LNB besteht in der Gabe von Antibiotika. Als Mittel der ersten Wahl sind hier sowohl Ceftriaxon wie auch Doxycyclin zu nennen. Ceftriaxon sollte in einer Dosis von 2 g für 14 Tage verabreicht werden, Doxycyclin in einer Dosis von 200 mg für ebenfalls 14 Tage. Dabei bietet Doxycyclin den Vorteil der oralen Gabe, die Gleichwertigkeit beider Antibiotika in der Behandlung konnte eindeutig belegt werden. Die früher vermutete, schlechtere Liquorgängigkeit von Doxycyclin konnte dagegen nicht bestätigt werden. Unter der Gabe von Antibiotika kommt es typischerweise zu einem raschen Rückgang der Schmerzsymptomatik innerhalb von wenigen Tagen, nicht selten bereits nach der ersten Gabe. Daher sollte bei einer fehlenden Besserung der Beschwerden bereits während der zweiwöchigen Therapie die Diagnose kritisch überprüft werden. Sollte sich unter der Gabe von Doxycyclin keine Besserung der Schmerzen einstellen, kann eine Umstellung auf Ceftriaxon erwogen werden. Eine Therapieverlängerung über einen Zeitraum von vier Wochen hinaus ist dagegen nicht sinnvoll, wie kürzlich eine gute europäische Studie eindeutig belegen konnte. Verlängerte, nicht indizierte Antibiotikatherapien können teilweise deletäre Folgen haben. Leider finden sich immer wieder Fälle, bei denen trotz fehlender Besserung unter Antibiotika an der vermeintlichen Diagnose der Lyme- Borreliose festgehalten und die eigentliche Ursache übersehen wird.

Erregerpersistenz nach Therapie

Bleibende Beschwerden nach einer durchgemachten, ausreichend behandelten Lyme-Borreliose können verschiedene Ursachen haben. Dabei handelt es sich entweder (I) um ein Residualsyndrom, beispielsweise als Folge eines bereits eingetretenen Nervenschadens, (II) um ein möglicherweise immun-vermitteltes postinflammatorisches Syndrom (Post-Treatment Lyme Disease Syndrome) oder (III) um Symptome ohne kausalen Zusammenhang mit der vorangegangenen Infektion.

Daher ist, wie oben dargelegt, eine erneute antibiotische Therapie bei weiterhin vorhandenen Beschwerden fast nie indiziert.

Bis auf den Biomarker CXCL13 im Liquor existiert kein zuverlässiger Labor-Verlaufsmarker. Bei einer LNB ist im Zweifelsfall daher eine erneute Liquoranalyse zu empfehlen. Weiterhin vorhandene Antikörper nach Therapie allein stellen keine Therapieindikation dar.

„Eine Erregerpersistenz ist sehr unwahrscheinlich, da Borrelien sehr empfindlich auf Antibiotika reagieren und kaum natürliche Resistenzen bestehen.“

Ein schlüssiges Therapiekonzept bei einem postinflammatorischen Syndrom existiert bislang nicht – meist sind die Beschwerden nur mild ausgeprägt und selbstlimitierend. Im Falle von Nervenschmerzen als Folge eines durch die Infektion verursachten Nervenschadens, ist eine neuropathische Schmerztherapie, zum Beispiel mit Pregabalin, Gabapentin, Duloxetin, trizyklischen Antidepressiva oder niederpotenten Opiaten, zu empfehlen.

Der Autor

PD Dr. med. habil.
Tobias Rupprecht

Neurologie Gräfelfing
82166 Gräfelfing

info@neurologie-graefelfing.de

Literatur beim Autor

Bildnachweis: privat; PD Dr. med. habil. Tobias Rupprecht

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