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Fußball: Weltmeisterschaft 2006

Unwürdiger Abgang eines Superstars

Münster

Eigentlich sollte die WM 2006 ja nach Südafrika vergeben werden. So hatte es sich Fifa-Chef Joseph Blatter gewünscht. Doch den Zuschlag erhielten die Deutschen und später noch weltweites Lob für ein spektakuläres und perfekt organisiertes Turnier mit vielen tollen Storys. Eine Geschichte schrieb Zinedine Zidane.

Wilfried Sprenger

Bester und traurigster Spieler des Turniers: Frankreichs Zinedine Zidane muss im Finale vorzeitig das Feld räumen und sieht den Pokal nur aus der Ferne.
Bester und traurigster Spieler des Turniers: Frankreichs Zinedine Zidane muss im Finale vorzeitig das Feld räumen und sieht den Pokal nur aus der Ferne. Foto: Witters

Zinedine Zidane war auf dem Platz ein Genie. Doch die letzte Aktion des großen Franzosen hatte weder Hand noch Fuß. Mit einem Kopfstoß gegen Marco Materazzi beendete „Zizou“ seine Karriere. In der 109. Minute des Endspiels nahm Zidane den italienischen Verteidiger im Stile eines wilden Stiers auf die Hörner. Vorausgegangen war eine verbale Provokation: Materazzi, das gab der Spieler ein Jahr später zu, hatte Zidanes Schwester sehr übel beleidigt. Zidane, vor dem Finale zum wertvollsten Spieler des Turniers gewählt, sah nach seiner Attacke Rot und zog einen Schlussstrich unter seine Laufbahn. Materazzi wurde Weltmeister, die Squadra Azzurra gewann das Endspiel mit 5:3 im Elfmeterschießen.

Beinahe hätte es auch Deutschland zum Finale nach Berlin geschafft. Einigermaßen sorgenvoll zählte die Nation die Tage bis zum Turnier. Nach schwachen Leistungen und reichlich Rumpelfußball bei den vorangegangenen Championaten trugen nun Trainer-Novize Jürgen Klinsmann und Assistent Joachim Löw die Last der Verantwortung. Die Vorbereitung mit Niederlagen in der Slowakei, der Türkei und einer 1:4-Klatsche in Italien weckten wenig Hoffnung. Doch als die WM begann, waren Klinsmanns Männer bereit.

Der 4:2-Starterfolg über Costa Rica in München hatte noch den Makel holprig. Das 1:0 über Polen danach in Dortmund war ein wenig glücklich, weil Oliver Neuvilles Tor erst in der Nachspielzeit fiel. Gleichwohl gaben diese Erfolge der Mannschaft Selbstvertrauen und Halt. Im Kampf um den Gruppensieg bezwang Deutschland Ecuador leicht und souverän 3:0. Und auch im Achtelfinale gegen Schweden ging nichts schief: Beim 2:0 war Doppeltorschütze Lukas Podolski (4. und 12.) sehr zeitig hellwach. Nachher versprach Klinsmann der längst euphorisierten Nation noch mehr: „Deutschland ist eine Fußball-Nation. Die muss bei einer WM im eigenen Land über das Viertelfinale hinauskommen.“ Im Achtelfinale knickten die ersten großen Mannschaften ein. Spaniens hoch talentierte „Jugendauswahl“ unterlag Frankreich 1:3. Fast schon kriegerische Züge hatte die Begegnung zwischen Portugal und den Niederlanden (1:0) mit brutalen Fouls und vier Platzverweisen. Von großem Glück und einem absurden Strafstoß tief in der Overtime (90.+5) profitierte Italien beim 1:0 über Australien. Großes Pech beklagten die Schweizer, die im 11-m-Schießen gegen die Ukraine (0:3) ihre ersten Gegentore während des Turniers hinnehmen mussten.

Das Viertelfinale forderte den Deutschen alles ab. Womöglich ebnete ihnen ein Spickzettel den Einzug in die Vorschlussrunde. Im Spiel gegen Argentinien war auch nach 120 Minuten kein Sieger ermittelt, die Dinge spitzen sich zu, Entscheidung vom Punkt. Zum Gefallen von Keeper Jens Lehmann, der ein kleines Blatt Papier unter dem Schienbeinschoner hervorzog, auf dem Torwarttrainer Andreas Köpke die bevorzugten Ecken der argentinischen Schützen notiert hatte. Ein kluger Versuch, Lehmann parierte zwei Schüsse und öffnete die Tür zum Halbfinale. Für Brasilien (0:1 gegen Frankreich) und die Ukraine (0:3 gegen Italien) blieb sie versperrt. Und die Engländer stolperten wieder einmal über das, was sie gar nicht können: 11-m-Schießen. Beim 1:3 gegen Portugal traf nur der in Kanada geborene Owen Hargreaves.

Vier Europäer am Ende unter sich, das hatte es zuletzt 1982 in Spanien gegeben. Es wurde knapp und dramatisch. Das Halbfinale zwischen Frankreich und Portugal entschied ein Treffer von Zidane. Im anderen Spiel zwischen Deutschland und Italien fielen sehr, sehr lange keine Tore – und dann plötzlich noch zwei. Grosso (119.) und del Piero (120.+1) beendeten den deutschen Traum; spät, aber nicht jäh, Italien war in Dortmund die bessere Mannschaft und siegte verdient. Klinsmann gratulierte dem Gewinner und lobte den Verlierer: „Die Mannschaft hat Fantastisches geleistet und ein ganzes Land stolz gemacht.“