Beim Gehirn von Säugetieren und einem Blatt Papier gibt es eine erstaunliche Parallele: Knüllt man ein Blatt Papier zusammen, faltet es sich nach den gleichen Gesetzmäßigkeiten wie die Großhirnrinde der Säugetiere, berichten Wissenschaftler aus Brasilien im Fachblatt „Science“. Wie stark sich die Hirnrinde – oder das Papier – auffalte, hänge von der Größe der Oberfläche und der Schichtdicke ab.
Große Gehirne sind tendenziell stärker gefaltet als kleinere, aber wie die Faltungen der Großhirnrinde entstehen, ist bisher nicht bekannt, schreiben Bruno Mota und Suzana Herculano-Houzel von der Universidade Federal do Rio de Janeiro. Sie werteten nun für viele Säugetierarten Daten aus, etwa zur Zahl der Nervenzellen, zum Volumen des Gehirns, zur Oberfläche der Hirnrinde (des Cortex’) oder ihrer Dicke.
Dann prüften sie, mit welchen Faktoren sich das Ausmaß der Faltung in Beziehung setzen lässt. Sie fanden, dass alle Gehirne mit weniger als 30 Millionen Nervenzellen eine weitgehend glatte Oberfläche haben. Dennoch steige die Faltung nicht proportional zur Zahl der Nervenzellen. So sei etwa die Großhirnrinde bei Elefanten doppelt so stark gefaltet wie bei Menschen. Der Elefant besitze aber nur etwa ein Drittel der Nervenzellen des Menschen. Auch die Masse des Gehirns erklärt das Ausmaß der Faltung nicht, berichten die Wissenschaftler weiter.
Großhirnrinde je nach Größe stärker gefaltet
Schließlich fanden sie, dass die Faltung von der Gesamtfläche des Cortex und seiner Dicke abhängt. Mathematisch ausgedrückt: Die Faltung der Großhirnrinde ist proportional zu dem Produkt aus seiner Oberfläche und der Quadratwurzel seiner Dicke.
„Anders gesagt nimmt das Ausmaß der Faltung mit steigender Cortex-Fläche zu“, erläutern Georg Striedter und Shyam Srinivasan von der University of California in Irvine und La Jolla in einem „Science”-Kommentar „Größere Gehirne sind also tendenziell stärker gefaltet – aber die Faltung nimmt schneller zu, wenn der Cortex dünner ist. Die Regel ließ sich auf alle untersuchten Säugetierarten anwenden.
Die Forscher fanden weiter, dass sich zerknülltes Papier nach der gleichen Gesetzmäßigkeit faltet. Die Physik von Papierbällen sei bereits in zahlreichen Studien untersucht worden, die Analogie zur Faltung des Gehirns sei aber ein neuer wissenschaftlicher Vorschlag, kommentieren Striedter und Srinivasan.
Ein altes Problem der Hirnforschung
Das grundsätzliche Problem dieser Analogie sei, dass sie die Faltung einer nicht-wachsenden Struktur beschreibe, die Faltung des Gehirns aber während der Entwicklung entstünde. Weitere Untersuchungen seien deshalb nötig.
Dies betont auch Claus Hilgetag vom Institut für Computational Neuroscience am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf: „Das Faltungsmuster einzelner Arten unterscheidet sich erheblich, und auch innerhalb einer Art gleicht kein Gehirn dem anderen.“ Wie das zustande kommt, könne auch die vorliegende Arbeit nicht erkläre. Derzeit gebe es dazu viele verschiedene Theorien. „Aber jede Hypothese muss jetzt zu der aufgestellten Regel passen.”
Grundsätzlich sei die Arbeit sehr spannend, weil sie eines der ältesten Probleme der Hirnforschung löse: nämlich wie die unterschiedlich starke Faltung des Gehirns bei verschiedenen Tierarten zu erklären ist, sagt Hilgetag. „Sie zeigt, dass die Faltung des Gehirns keine Magie ist, sondern einfachen physikalischen Gesetzen folgt.“