WELTGo!
Journalismus neu erleben und produktiver werden
Ihr Assistent Journalismus neu erleben und produktiver werden
WELTGO! ENTDECKEN
  1. Home
  2. Wirtschaft
  3. Küchen werden in Deutschland zum Statussymbol

Wirtschaft Lifestyle

Die Küche ist des Deutschen neuer Porsche

Wirtschaftskorrespondent
Offene Wohnküchen sind beliebt: In Neubauten haben schon über 20 Prozent der Deutschen eine solche zugelegt Offene Wohnküchen sind beliebt: In Neubauten haben schon über 20 Prozent der Deutschen eine solche zugelegt
Offene Wohnküchen sind beliebt: In Neubauten haben schon über 20 Prozent der Deutschen eine solche zugelegt
Quelle: Getty Images
Durchschnittlich 6281 Euro geben die Bundesbürger für eine neue Küche aus – 800 Euro mehr als noch vor vier Jahren. Die Küche ist das neue Statussymbol unserer Zeit. Der Trend hat mehrere Gründe.

Küchenverkäufer müssen geduldig sein. Es dauert schließlich seine Zeit, bis der Kunde genau weiß, was er will. Auch weil die Zahl der Fragen während dieses Auswahlprozesses schier unendlich scheint: Wie groß soll die Küche sein? Wie viele Schränke werden benötigt? Sind Hochschränke gefragt oder Oberschränke? Welche Farbe soll es sein? Und welches Material? Lieber eine Holzoptik oder Hochglanzlack? Dann die Arbeitsplatte: Reicht hier Kunststoff, oder darf’s doch Granit sein?

Welches Innenleben kommt in die Schubladen? Und apropos: Sollen Griffe an die Auszüge oder nicht? Fragen über Fragen. Und das Thema Küchengeräte ist da noch gar nicht inbegriffen. Hier gilt es noch mal aus einer Vielzahl von Alternativen auszusuchen. Der Kauf einer Küche kann sich daher je nach Entscheidungsfreude der Interessenten über mehrere Wochen hinziehen. Aber das ist nicht mal die größte Geduldsprobe für die Verkäufer.

Die beginnt erst nach der Vertragsunterschrift. Denn ist der Kunde aus dem Haus, dauert es viele Jahre, bis er wiederkommt. Das jedenfalls sagt die Statistik. Danach kauft jeder Bundesbürger durchschnittlich drei Küchen in seinem Leben. Und zwischen diesen einzelnen Küchenkäufen stehen statistisch gesehen jeweils rund 17 Jahre.

Die Leute ziehen die Konsequenz daraus, dass sie bei der Bank nichts mehr bekommen
Günter Scheipermeier, Nobilia-Geschäftsführer

Aktuell nun scheinen diese 17 Jahre für eine breite Bevölkerungsschicht abgelaufen zu sein. Der Andrang in Möbelhäusern und Küchenstudios jedenfalls ist groß. Aus gutem Grund, wie Markus Wittmann erklärt. „Derzeit stimmen die Rahmenbedingungen“, sagt der Möbelexperte von Deutschlands größtem Marktforscher GfK mit Verweis auf die niedrigen Zinsen und – angesichts der guten Beschäftigtenzahlen – eine unverändert hohe Konsumfreude und Ausgabebereitschaft bei den Bundesbürgern.

Möbelhäuser und Küchenstudios sind voll

„Die Leute ziehen die Konsequenz daraus, dass sie bei der Bank nichts mehr bekommen“, bestätigt auch Günter Scheipermeier, der Geschäftsführer von Europas größtem Küchenhersteller Nobilia. Ihm zufolge sind aktuell vor allem die Zweit- und Dritteinrichter in den Küchenstudios unterwegs. Und das ist für die Branche die perfekte Mischung. Denn das sind Leute mit Geld, wie Scheipermeier betont.

2014 ist der Markt dementsprechend gewachsen. Bis Ende September lagen die Verkaufszahlen in Deutschland fast zwei Prozent über denen des Vorjahres, meldet die GfK am Rande der Küchenmöbelmesse Living Kitchen in Köln. Der Umsatz ist zeitgleich sogar um stattliche 8,5 Prozent gestiegen. Die Arbeitsgemeinschaft Die Moderne Küche (AMK) rechnet nun mit Einnahmen von rund 6,5 Milliarden Euro allein im Inland.

Bei Preisen ab 20.000 Euro fängt der Spaß an

Inklusive Export dürften die Erlöse 2014 sogar an die Marke von elf Milliarden Euro heranreichen. Kaum verwunderlich also, dass Küchenmöbel die mit Abstand stärkste Warengruppe im deutschen Möbelhandel sind. Knapp ein Drittel des Umsatzes von zuletzt gut 31 Milliarden Euro entfällt auf die Kategorie Küche, meldet der Bundesverband des Deutschen Möbel-, Küchen- und Einrichtungsfachhandels (BVDM).

Dass der Umsatz noch weit stärker wächst als die Stückzahlen, liegt am anhaltenden Trend zur Nobelküche. „Wachstum gibt es nur in den oberen Preisklassen“, bestätigt Marktforscher Wittmann. Das belegt auch die Statistik. Während der Absatz von Billigküchen für weniger als 5000 Euro in den ersten drei Quartalen 2014 um mehr als fünf Prozent gesunken ist, gab es in der nächsthöheren Stufe, also bei Küchen für 5000 bis 10.000 Euro, ein Mengenplus von 7,5 Prozent. Damit nicht genug.

Die Verkaufszahlen von Küchen jenseits der 10.000-Euro-Grenze haben sogar zum Teil deutlich zweistellige Zuwachsraten. In der Preisklasse von 10.000 bis 20.000 Euro zum Beispiel sind es fast zwölf Prozent, bei den Küchen über 20.000 Euro sogar knapp 30 Prozent. Im Luxussegment ist die Vergleichsbasis allerdings auch deutlich geringer als in den Bereichen darunter.

Jede zehnte Küche ist ein Luxusprodukt

Anzeige

Noch zumindest. Denn laut GfK verringern sich die Abstände. Lag der Umsatzanteil der Luxusküchen vor zehn Jahren noch bei rund fünf Prozent, sind es mittlerweile schon zehn Prozent. Das Billigsegment dagegen hat deutlich verloren. So sank der Umsatzanteil von Küchen für weniger als 5000 Euro binnen einer Dekade von über 30 Prozent auf gerade noch 21 Prozent.

Umgekehrt kletterte der Anteil der Küchen für 10.000 bis 20.000 Euro von 21 Prozent auf mittlerweile 30 Prozent. Größter Marktbereich bleibt nach wie vor das Mittelklassesegment mit Küchen für 5000 bis 10.000 Euro. Deren Anteil am Branchenumsatz liegt derzeit bei gut 38 Prozent – was vier Prozent weniger sind als noch vor zehn Jahren.

Quelle: Infografik Die Welt

Kaum verwunderlich also, dass der Durchschnittspreis für eine Küche in Deutschland bei mittlerweile 6281 Euro liegt. Das sind stattliche 800 Euro mehr als noch vor vier Jahren. Den größten Sprung gab es dabei 2014 mit alleine 430 Euro. Und dieser Trend wird weitergehen, ist sich GfK-Forscher Wittmann sicher. Schon 2015. „Wenn es keine gravierenden exogenen Faktoren gibt, wird die Branche erneut stabil wachsen“, prognostiziert Nobilia-Chef Scheipermeier.

Der Trend geht zur offenen Wohnküche

Der Auftragsbestand seines Unternehmens jedenfalls sei aktuell sehr gut, insbesondere in den höheren Bereichen. Wittmann kann sich daher vorstellen, dass der Durchschnittspreis einer Küche mittel- bis langfristig die Marke von 10.000 Euro übersteigt.

Dahinter steht vor allem der Trend zur offenen Wohnküche, die es aus den einschlägigen Wohnzeitschriften längst in die Realität geschafft hat. In Neubauten haben schon über 20 Prozent der Deutschen eine wandlose Kombination aus Kochen-Essen-Wohnen, heißt es bei der AMK.

„Küche und Esszimmer verschmelzen und sind dazu noch ans offene Wohnzimmer angegliedert“, erklärt AMK-Geschäftsführer Kirk Mangels. Dadurch entstehe aus dem einstigen Arbeitsraum zusätzlicher Wohnraum. „Also muss die Küche von heute nicht nur praktikabel und funktional sein, sondern auch schön und ansehnlich.“

Diesen Kundenwunsch bestätigt auch Elko Beeg. „In der Küche von heute wird nicht mehr nur gearbeitet, sondern gewohnt“, sagt der Geschäftsführer von Sachsenküchen. Mittlerweile stelle sich daher schon die Frage, wo die Küche überhaupt anfängt und wo sie aufhört. Auf der Living Kitchen stellt sein Unternehmen daher Küchen mit sogenannten Stollenwandsystemen zwischen den Schränken und Elektrogeräten vor.

„Besuch wird heute in die Küche geführt“

Anzeige

Das seien Regalsysteme in Holzoptik mit unterschiedlich großen Waben, wie es sie früher auch in den Wohnstuben gab, beschreibt der Manager. „Da kommt zum Beispiel das Porzellan rein, das früher im Wohnzimmerschrank stand.“

Besuch führt man heute nicht mehr in die gute Stube, sondern in die gute Küche
Markus Sander, Geschäftsführer Häcker Küchen

Darüber hinaus gibt es bei Sachsenküchen eine zusätzliche Bandbreite an Dekoren und vor allem Echtholzfurnieren, es gibt Schiebetüren statt Auszüge und zusätzliche Technik wie etwa LED-Lichtbänder in den Schränken. „Küchen werden deutlich wertiger“, beschreibt Beeg. „Man will etwas zeigen.“

Auch weil die Küche von heute ein Statussymbol ist. Zwar gehört das Auto hierzulande noch immer zu den wichtigsten Besitztümern. Auf dem Spitzenplatz liegt laut einer Umfrage des Zukunftsinstituts im Auftrag von Siemens mittlerweile aber die Küche. Also darf es auch gerne etwas mehr sein. „Besuch führt man heute nicht mehr in die gute Stube, sondern in die gute Küche“, sagt Markus Sander, der Geschäftsführer von Häcker Küchen aus dem ostwestfälischen Rödinghausen.

Das Unternehmen, das mit zuletzt 406 Millionen Euro Umsatz zu den drei größten Herstellern in Deutschland gehört, berichtet wie auch die Konkurrenz von einer stetig steigenden Nachfrage nach teuren Extras wie Lackfronten, Glasoberflächen und grifflosen Schränken im Möbel und von Induktionsherden, selbstreinigenden Öfen, besonders leisen Geschirrspülern und energieeffizienten Kühlschränken der Kategorie A+++ im Gerätebereich.

Standard-Kochplatten geraten aus der Mode

Tatsächlich wird mittlerweile nicht mal mehr die Hälfte der Küchen mit einem Standard-Kochfeld ausgeliefert, meldet die GfK. Es muss schon Induktion sein, am liebsten sogar mit freier Kochflächennutzung, also der Möglichkeit, Töpfe und Pfannen an jeder beliebigen Stelle des Kochfeldes aufstellen zu können. Bei Backöfen ist die Entwicklung ähnlich. Knapp die Hälfte der ausgelieferten Geräte hat mittlerweile Zusatzfunktionen wie zum Beispiel eine Selbstreinigung.

Sogenannte Kopffreihauben – das sind flache Dunstabzüge, die schräg hängen, um auch in die hinteren Töpfe gucken zu können, ohne sich den Kopf zu stoßen – finden sich mittlerweile in fast jeder dritten Küche, meldet die GfK. Noch dazu steigt die Zahl der Geräte in der Küche, etwa durch Dampfgarer, Kaffeevollautomaten und Wärmeschubladen, die zunehmend obligatorisch werden beim Küchenkauf.

Doch das alles hat seinen Preis. Kaum verwunderlich also, dass Elektrogroßgeräte in den ersten drei Quartalen 2014 beim Umsatz deutlich zulegen konnten. „Die Geräteindustrie hat es geschafft, Begierde zu wecken“, beschreibt Marktforscher Wittmann.

Eine ganz andere Welt als vor 15 Jahren

Für die Endabrechnung im Küchenstudio ist diese Entwicklung nicht unerheblich. Denn nach Einschätzung der AMK beträgt der Geräteanteil am Verkaufspreis mittlerweile rund 45 Prozent. Weitere 45 Prozent entfallen auf die Möbel, also Schränke und Schubladen, die übrigen zehn Prozent sind schließlich Zubehör wie Spüle oder Armaturen. Und in allen Bereichen gab es enorme Entwicklungssprünge in den vergangenen Jahren.

Quelle: Infografik Die Welt

„Die Evolution in der Küche war in den letzten Jahren ganz erheblich“, sagt Häcker-Geschäftsführer Sander. „Unterschiede sind für die Kunden heute ganz anders wahrnehmbar als noch vor zehn Jahren.“ Das sei immer wieder zu sehen, wenn ein Kunde nach 15 Jahren ins Küchenstudio kommt, um die zweite oder dritte Küche in seinem Leben zu kaufen. „Die Leute fühlen sich wie in einer anderen Welt.“

Und das nicht nur wegen der modernen Hightech-Geräte. Auch die Möbel haben sich bei Funktionen und Design binnen weniger Jahre so stark weiterentwickelt wie nie zuvor. Und das quer durch den Markt. Extras wie beispielsweise Lackoberflächen, Lichtbänder, grifflose Schränke oder Softeinzug für Schubladen sind längst nicht mehr nur den Luxusküchen vorbehalten, sondern haben sich zuletzt rasend schnell auch in den unteren Preisklassen etabliert.

Premiumsegment ist technisch nicht mehr im Vorteil

„Die Premiumanbieter haben keinen technischen Vorteil. Denn Zulieferer klopfen mit ihren Innovationen bei denjenigen Herstellern an, bei denen sie besonders viel verkaufen können“, sagt Häcker-Chef Sander. Die Mittelklasse sei dementsprechend der Innovationstreiber in der Branche. Für den Manager ist kaum noch ein erklärbarer Unterschied zum Luxussegment mit Herstellern wie Poggenpohl, Bulthaup oder Siematic vorhanden. „Das einzig verbliebene Differenzierungsmerkmal ist die Marke. Aber das reicht aus meiner Sicht nicht mehr aus angesichts der zunehmend hohen Qualität im mittleren Segment.“

Und tatsächlich gehen die Umsätze der Luxusfirmen trotz des Trends zur Hochpreisküche nicht durch die Decke. Siematic etwa meldet für 2014 stagnierende Erlöse von rund 100 Millionen Euro. „Da ist noch Luft nach oben im Geschäftsverlauf“, gibt Jörg Overlack zu, der Leiter Markenkommunikation beim Mittelständler aus dem ostwestfälischen Löhne. Zum Beispiel 2015.

Oberklasse hebt sich über Design ab

„Wir haben uns ein kleines Plus vorgenommen.“ Und Möglichkeiten der Differenzierung gegenüber der Mittelklasse sieht er sehr wohl. „Das erschließt sich vielleicht nicht immer auf Anhieb“, sagt Overlack. Im Detail gebe es aber sehr große Unterschiede.

Das betreffe unter anderem das Design, das betreffe aber auch die Innenausstattung hinter der Schrank- und Schubladentür. Auf der Messe Living Kitchen zeigt Siematic zum Beispiel ein Innenausstattungssystem zur optimalen Stauraumnutzung, frisch prämiert mit dem Interior Innovation Award 2015 des German Design Council. Drittens schließlich gebe es Unterschiede bei der Verarbeitung etwa von Kanten und Oberflächen.

Um diese Nuancen besser zu kommunizieren, startet Siematic nun eine Offensive im Handel. „Wir schulen die Verkäufer nochmal zusätzlich“, sagt Overlack. Auch das dürfte Geduld erfordern. Aber das sind Küchenverkäufer ja gewohnt.

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema