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EM 2012 Angstgegner Italien

Der Kampf gegen den Fluch der Vergangenheit

WM 2006 WM 2006
Trauer nach dem 0:2 im WM-Halbfinale 2006. Schweinsteiger, Klose, Podolski und Lahm (v.l.) haben heute gegen Italien die Chance auf Revanche
Quelle: Augenklick/Norbert Rzepka
Über Deutschlands Halbfinale schwebt der Geist der WM 2006, als die DFB-Elf 0:2 gegen Italien ausschied. "Die Deutschen fürchten uns", sagt Andrea Pirlo. Doch die Vorzeichen haben sich geändert.

Natürlich ist auch Jürgen Klinsmann da, so wie damals, am 4. Juli 2006. Es lief die vorletzte Minute der Nachspielzeit, Schiedsrichter Benito Armando Archundia aus Mexiko hatte schon auf seine Uhr geblickt, und Bundestrainer Klinsmann überlegte sich bereits die Schützen für das nahende Elfmeterschießen vor, als Andrea Pirlo den Ball steil zu Fabio Grosso passte. In dieser Sekunde endete das "Sommermärchen" der Deutschen. Der linke Verteidiger der Italiener zirkelte den Ball von links in die lange Ecke, und Klinsmann wusste, dass dies das Aus für seine deutsche Nationalmannschaft bei der Weltmeisterschaft 2006 bedeutete.

Sechs Jahre später sei er "längst darüber hinweg", sagt Klinsmann nun, und doch wird er am Donnerstagabend (20.45 Uhr, ARD) mit erhöhtem Puls auf der Tribüne des Nationalstadions in Warschau sitzen, wenn die deutsche Mannschaft im Halbfinale der Europameisterschaft wieder auf Italien trifft.

Schmerzhafte Wunden in der DFB-Geschichte

So ganz darüber hinweg scheint er aber doch noch nicht zu sein, jedenfalls betont er, er sei felsenfest davon überzeugt, dass sein Team damals im Elfmeterschießen gewonnen hätte. Am Ende sei es einfach Pech in einer "Partie auf Augenhöhe" gewesen.

Mit seiner Pechtheorie mag Klinsmann in diesem speziellen Fall recht haben. Doch Geschichte findet nun mal nicht im Konjunktiv statt, und historisch betrachtet sind die Italiener der Angstgegner der Deutschen.

Siebenmal trafen die beiden Fußballnationen bei großen Turnieren aufeinander, nicht ein Spiel davon gewann Deutschland. Die drei Niederlagen sind gar schmerzhafte Wunden in der Geschichte des Deutschen Fußball-Bundes.

2006? Na ja, Pech eben

Bei der Weltmeisterschaft 1970 in Mexiko rang Italien die Elf um Franz Beckenbauer im Halbfinale 4:3 nach Verlängerung nieder. Zwölf Jahre später ließ die "Squadra Azzurra" der DFB-Auswahl im Finale der WM 1982 in Spanien beim 3:1 keine Chance. Und 2006? Na ja, Pech eben.

Joachim Löw saß damals als Klinsmanns Assistent auf der Bank und litt sichtlich. Doch Sorgen um sein Seelenheil müsse sich niemand machen, sagt der Bundestrainer. "Keine Sekunde" habe er an die Niederlage bei der Heim-WM gedacht, als Italien als Halbfinalgegner feststand. Und auch Klinsmann leugnet jeglichen Einfluss des 0:2 auf das Hier und Jetzt: "Anderer Trainer, viele andere Spieler, eine andere Taktik und eine andere Spielphilosophie. Das ist etwas ganz anderes."

Im italienischen Team allerdings wird offen bezweifelt, dass die deutsche Mannschaft so entspannt ist, wie sie tut. "Italien macht Angst, die Deutschen fürchten uns", sagte Andrea Pirlo und vermittelte so vor der Abreise nach Warschau dasselbe unerschütterliche Selbstvertrauen, das seinen Auftritt am Elfmeterpunkt gegen England so legendär machte. Die Italiener hätten alle Turnierspiele der Deutschen am Fernseher verfolgt und jetzt noch mal eingehend Videostudium betrieben: "Wir wissen, dass wir sie besiegen können".

Miserable Chancenauswertung

Der Spielgestalter, bislang die prägende Figur der italienischen Mannschaft, lobte zwar auch die Stärken der Deutschen. Umgekehrt aber seien Teamgeist und Entschlossenheit bei Italien genauso gut wie 2006: "Jetzt müssen wir beweisen, dass wir auch wieder den Titel holen können."

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Sorgen bereitet ihm allerdings die Chancenauswertung, denn Italien hat aus 87 Schüssen nur vier Treffer erzielt. Zum Vergleich: Deutschland traf neunmal bei 60 Versuchen. "Wir haben bisher so gut gespielt. Aber vor dem Tor müssen wir klinischer werden", sagte Andrea Pirlo.

Weitere Probleme der Italiener betreffen die angeschlagenen Schlüsselspieler Giorgio Chiellini – der Abwehrchef fehlte schon gegen England – und Daniele de Rossi.

Nationaltrainer Cesare Prandelli sieht Deutschland zwar als Favorit, "aber auch sehr starke Mannschaften haben Schwächen". Er hat diese Schwächen bei den Deutschen in der Defensive ausgemacht: "Wir werden sie angreifen. Besser etwas riskieren als nur abzuwarten."

Doch nicht nur die Italiener strotzen vor Selbstbewusstsein. Zwar sagte Oliver Bierhoff, der Teammanager der deutschen Nationalmannschaft, am Mittwoch, dass die Engländer ihm als Gegner in der Vorschlussrunde lieber gewesen wären. Doch Bundestrainer Joachim Löw hatte schon anfangs der Woche im "Welt Online"-Interview eine klare Ansage gemacht: "Es stimmt, dass wir uns immer schwer getan haben gegen die Italiener. Aber diesmal wird es anders sein. Die Zeit ist jetzt reif, auch mal gegen Italien zu gewinnen."

Schweinsteiger von Beginn an

Dabei wird er aller Voraussicht nach vier Spieler einsetzen, die auch 2006 schon gegen die Italiener antraten: Philipp Lahm, Lukas Podolski, Miroslav Klose und Bastian Schweinsteiger. Letzterer wurde damals in der 74. Minute eingewechselt. Diesmal wird er von Beginn an spielen, verriet Löw bereits. Seine Knöchelprobleme sind nicht mehr so schwer.

Aller Voraussicht nach wird erneut Klose statt Mario Gomez im Sturm auflaufen. "Ich bin überzeugt, dass wir es anders machen als 2006. Wir haben uns fußballerisch verändert, haben keinen Knacks. Nur das Jetzt zählt", sagt Klose.

Bei den Italienern sind Torwart Gianluigi Buffon und Andrea Pirlo die einzigen Spieler, die auch im Halbfinale vor sechs Jahren schon auf dem Platz standen. "Das Italien von heute hat nicht mehr viel gemeinsam mit dem Italien von früher. Die Italiener haben unter Trainer Cesare Prandelli auf einen ganz anderen Stil umgestellt. Sie spielen jetzt viel offensiver, als wir es von der italienischen Mannschaft gewohnt sind", hat Löw beobachtet.

Fanmeile bei Titelgewinn

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Tatsächlich haben sich die Vorzeichen nahezu umgekehrt. Reiste Italien 2006 noch als klarer Favorit an, sind nun die Deutschen in der Poleposition. 2,70 Euro zahlt beispielsweise der Wettanbieter Mybet für einen Euro aus, wenn Deutschland den Titel holt. Wer auf die Italiener setzt, bekommt hingegen 6,50 Euro. "Die Zeit ist jetzt reif, vielleicht sogar überreif", sagte DFB-Präsident Wolfgang Niersbach am Mittwoch.

Gewinnt die deutsche Mannschaft, reist sie am Freitag direkt weiter nach Kiew, wo am Sonntag das Finale stattfindet. Holt sie in der Hauptstadt der Ukraine den Titel, soll anschließend nach "Welt Online"-Informationen in Berlin auf der Fanmeile am Brandenburger Tor gefeiert werden.

Übrigens gibt es aus Sicht der Deutschen nicht nur negative Vorläufer, jedenfalls nicht, wenn auch Juniorenturniere berücksichtigt werden. Vor drei Jahren bei der U21-EM bezwang Deutschland im Halbfinale die Italiener 1:0 – mit vielen aktuellen Nationalspielern im deutschen Team und Stürmer Mario Balotelli auf italienischer Seite. Anschließend wurde Deutschland Europameister.

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