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Ausland Post-Berlusconi-Ära

Italiens Frauen sagen basta zu Bunga Bunga

Aufstieg und Fall des Silvio Berlusconi sind eng mit den Frauen verknüpft. Er bezahlt eine Minderjährige für Sex und beruft Showgirls ins Parlament. Jetzt sind die Frauen dieses Sexismus überdrüssig.

Michaela Biancofiore hält das alles für eine große Lüge. Berlusconi habe es überhaupt nicht nötig, Frauen zu bezahlen, damit sie mit ihm ins Bett steigen. „Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie Frauen sich regelrecht auf ihn gestürzt haben“, sagt die glühende Anhängerin des italienischen Ex-Premiers in einer Fernsehshow namens „Piazzapulita“, was so viel heißt wie ‚sauberer Platz‘. Dort soll die blonde Politikerin aus Südtirol über das drohende politische Aus des Cavaliere mitdiskutieren.

Das Gespräch wendet sich irgendwann auch dem Skandal um Ruby zu, Italiens Ex-Premier soll die minderjährige Marokkanerin für Sex bezahlt haben. Berlusconi wurde dafür in erster Instanz zu sieben Jahren Haft verurteilt. Michaela Biancofiore hingegen weist in der TV-Show jegliche Schuld ihres Gönners in der Causa zurück – und bleibt die Erklärung nicht schuldig, wo sie die Verantwortung sieht. „Die große Mehrheit der Frauen wirft sich einem mächtigen und reichen Mann zu Füßen. Das ist dramatisch, aber es ist die Wahrheit“, sagt die Blondine

Die Fernsehkamera schwenkt daraufhin ins Publikum. Eine junge Frau greift sich an den Kopf und schüttelt diesen ungläubig. Die Gesichtszüge einer Zweiten erstarren bei den Ausführungen Biancofiores. Sie hat sich weit zurückgelehnt, ihr Mund steht offen. Im Studio herrscht für einen kurzen Moment fassungsloses Entsetzen. Dann ertönen erste, leise Buhrufe. Auf Twitter bricht noch während der Sendung eine hitzige Debatte aus.

Der Großteil findet die Äußerung der Berlusconi-Anhängerin abstoßend. Die Journalistin Francesca Lombardi, die über den Ruby-Skandal ein Buch veröffentlicht hat, verfolgt das Treiben in den sozialen Netzwerken. Sie selbst ärgert sich maßlos über die Äußerung Biancofiores: „Ich kenne persönlich keine einzige Frau, die so denkt und handelt“, sagt Lombardi. „Welches Italien vertritt die Frau eigentlich?“

„Woran ist Berlusconi gescheitert?“

Das Italien im Herbst 2013 ist nicht mehr das Italien, das hinter Berlusconi steht. Aussagen wie die Biancofiores sind längst nicht mehr salonfähig. Die 20-jährige Ära Berlusconi neigt sich dem Ende zu. Der Mailänder, 77, wurde nach seiner rechtskräftigen Verurteilung wegen Steuerhinterziehung am vergangenen Mittwoch aus dem Parlament geworfen.

Seine Bewegung Forza Italia ist gespalten. Sein Ziehsohn Angelino Alfano sagte sich los und gründete mit rund 300 Rebellen eine eigene Partei. Seine Drohgewalt über die italienische Regierung hat Berlusconi verloren. 2014 steht eine Serie an Gerichtsprozessen an. Die ersten Nachrufe auf den Staatsmann Berlusconi werden angestimmt. „Woran ist er gescheitert?“, fragen sich viele. Es mag überraschend klingen: auch an den Frauen.

Aufstieg und Fall des Cavaliere sind eng mit den Frauen verknüpft. Als Berlusconi 1994 auf die Bühne tritt, ist er der virile Medienunternehmer, der Italien zu führen verspricht wie seine eigene Firma. Die Zuschauerinnen seines Fernsehsenders Canale 5, berieselt mit Spielshows und Klatsch und Tratsch, werden zu seinen Wählerinnen.

Botschaften einfach und einprägsam

Die Botschaften Berlusconis sind einfach und einprägsam wie die eines Werbespots. Er beruft Damen ins Parlament, die zuvor leicht bekleidet in seinen Sendungen herumhüpften. Dafür qualifiziert nicht wegen ihrer Kompetenz, sondern wegen ihres Aussehens. Bestes Beispiel ist Mara Carfagna. Das Showgirl und Aktmodell wird erst Abgeordnete und dann Ministerin – ausgerechnet für Gleichberechtigung.

Einem wie Berlusconi wird das verziehen. „Ein Schelm, wer Schlechtes dabei denkt“, sagen sich die Italienerinnen. Doch die Beziehung zwischen Berlusconi und den Frauen bekommt zunehmend Risse. 2009 wird bekannt, dass er eine Party zum 18. Geburtstag einer gewissen Noemi Letizia besuchte. Noemi nennt ihn liebvoll „Papi“. Berlusconis Frau reicht die Scheidung ein. Dann bricht sich der Skandal um Ruby Bahn. Und nichts ist mehr wie vorher.

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Berlusconi kommt beim weiblichen Publikum an, weil er lacht, schäkert, lustig und charmant ist. Deshalb erschüttert der Fall Ruby seinen Ruf umso stärker. Denn er entlarvt die Lüsternheit eines alternden Greises und hat so vor allem etwas Trauriges an sich.

Anonymer Verwahrungsort für junge hübsche Frauen

Der Sündenfall nimmt seinen Anfang in Milano Due. Das ist die Retortenstadt, die Berlusconi in den 70er-Jahren hochzog. Sie machte ihn einst reich und bekannt. Sie liegt im Osten Mailands, an einer Schnellstraße. Der Flughafen Linate ist nicht weit, die Maschinen düsen im Minutentakt über die Häuser. Mehrere Bushaltestellen gibt es, Verkehrskreisel. Alles scheint so gebaut, damit man schnell und problemlos fortkommt. Die Via Olgettina führt am Krankenhaus San Raffaele und an der Aufbereitungsanlage der kommunalen Müllverbrennungsanlage entlang.

Am Ende der Straße befindet sich der Häuserkomplex Nummer 65. Roter Backstein, runde Balkone, Tiefgarage. Sechs Aufgänge, A bis F. An den Klingelschildern keine Namen, sondern nur Nummern: 0.1 bis 6.2. Hier quartierte Berlusconi die Damen um Ruby ein, die er sich abends in seine Villa San Martino im 20 Kilometer entfernten Arcore bestellte.

Milano Due, als grüne Oase für Familien konzipiert, wurde zum anonymen Verwahrungsort für junge hübsche Frauen, meist aus schwierigen Verhältnissen stammend, die sich von Berlusconi Geld und Karriere erhofften. 2008 antwortete Berlusconi im Fernsehen auf die Frage einer Studentin, wie eine Frau in wirtschaftlich schwierigen Zeiten eine Familie gründen könnte, mit dem Ratschlag: „Heiraten Sie meinen Sohn oder einen Millionär.“ Es klang wie ein Scherz, doch mit Ruby wurde es bitterer Ernst.

Mitleid für blutenden Berlusconi

Mehr und mehr Frauen beginnen sich zu wehren. Am 5. Dezember 2009 findet der „No Berlusconi Day“ statt. In Rom, aber auch in Berlin, Buenos Aires, Madrid, London, New York und Peking. Es entsteht die Bewegung „Popolo Viola“, (‚lila Volk‘). Doch so schnell sich die Protestwelle gebildet hat, so rasch ebbt sie auch wieder ab.

Am 13. Dezember 2009 schlägt ein Mann Berlusconi mit einem Souvenir auf dem Mailänder Hauptplatz Piazza Duomo ins Gesicht. Die Bilder des blutenden Berlusconi gehen um die Welt, der Zorn weicht Mitgefühl. „Unser Erfolg hat sich extrem schnell wieder verflüchtigt“, gesteht Franca Corradini, eine der Hauptinitiatorinnen von „Popolo Viola“. „Das lag nicht nur an dem Vorfall in Mailand, sondern auch an internem Zwist. Uns fehlte nach der Demonstration wohl auch ein wirkliches Projekt.“

Im Februar 2010 wendet sich Sara Giudice an die Presse. Die damals 24-Jährige engagiert sich für die Berlusconi-Partei in der Lombardei. Sie ärgert sich darüber, dass Nicole Minetti, Zahnhygienikerin mit Ambitionen auf eine Fernsehkarriere und Gespielin Berlusconis, ins Parlament einziehen soll. „Ich bin demoralisiert, verwirrt und demotiviert“, schimpft Giudice. „Was haben Showgirls im Parlament der wichtigsten Region Italiens verloren?“ Für ihre offenen Worte erntet Giudice viel Lob, doch ihr Stern verglüht daraufhin rasch. Sie wechselt die Partei, ins Parlament zieht sie nicht ein. Heute ist sie abgetaucht. „Wir haben nur noch eine alte Telefonnummer. Die funktioniert aber nicht“, sagt eine Forza-Italia-Sprecherin. „Der Name sagt uns nichts“, heißt es in der Partei, zu der Giudice damals übertrat.

Frauen demonstrieren in Rom

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Der Durchbruch erfolgt am 13. Februar 2011. Auf der Piazza del Popolo in Rom marschieren Frauen aus allen Gesellschaftsschichten auf. Die Regisseurin Cristina Comencini, politisch links, die Anwältin Giulia Bongiorno, politisch rechts, Susanna Camusso von den Gewerkschaften, und sogar katholische Ordensschwestern. Die Würde der Frau ist das Leitmotiv. Eine Studentin liest einen Brief vor, den sie an Ruby geschrieben hat.

Es entsteht das Netzwerk „Se non ora quando“ (SNOQ), was so viel heißt wie: Wenn nicht jetzt, wann dann? „Die rosa Seifenblase, die Berlusconi mithilfe seiner Fernsehsender zeichnete, zerplatzte im Frühjahr 2011, die Wirklichkeit trat zum Vorschein“, sagt Marina Calloni, Professorin für politische Philosophie an der Universität Mailand-Bicocca und Mitglied des Menschenrechtsausschusses im Römer Außenministerium. „Frauen wurden in den Medien vor allem als Objekt oder Opfer dargestellt. SNOQ hat dieses Bild verändert.“

„Bei uns gibt es keine Angela Merkel“

Jenes Italien, das Berlusconi Ende 2013 endgültig in Pension schickt, ist entschieden weniger chauvinistisch als 1994. Seit der Wahl Ende Februar stieg der Anteil der Frauen im Römer Parlament von einem Fünftel auf rund ein Drittel. In dem „Global Gender Gap Report 2013“ des Weltwirtschaftsforums verbesserte sich Italien um neun Plätze auf den 71. Rang von 136 Ländern.

Das Mitte-rechts-Lager, zwei Jahrzehnte lang im eisernen Griff Berlusconis, ist weiblicher geworden. Bei der Rebellengruppe um Alfano sind mit Nunzia Di Girolamo und Beatrice Lorenzin zwei Frauen vorne mit dabei. In der politischen Debatte schlägt sich der höhere Frauenanteil nieder.

Italien unterzeichnete dieses Jahr die Istanbul-Konvention zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen und verabschiedete ein Gesetz gegen Frauenmord. Alles ermutigend, doch der Weg ist noch weit. Die weibliche Beschäftigungsquote ist gering, die meisten Spitzenposten haben Männer inne. „Bei uns gibt es keine Angela Merkel und auch keine Jill Abramson, die Chefredakteurin der ‚New York Times‘“, sagt Sandra Bonsanti, Schriftstellerin und Präsidentin der Organisation Libertà e Giustizia. „An den Schalthebeln der Macht sitzen immer noch Männer.“

Berlusconi nicht so ernst nehmen

Vielleicht braucht es noch eine Generation, bis eine Frau an die Spitze des italienischen Staats rückt. Das wäre ironischerweise die Altersklasse, die in den 90ern geboren ist und mit dem Dauerministerpräsidenten und Womanizer Berlusconi aufgewachsen ist. Elena di Lavore wäre so eine. Die Mailänder Gymnasiastin ist im August 1995 geboren. Nächstes Jahr legt sie ihr Abitur ab. Dann will sie studieren, Ingenieurwissenschaften oder Mathematik an der Polytechnischen Universität Mailand. „Mir gefällt zwar nicht, was Berlusconi gemacht hat. Aber einen dauerhaften Schaden hat er auch nicht angerichtet. Wir nehmen ihn nicht so ernst“, sagt die Schülerin.

Sie glaubt an ihr Heimatland. „Am liebsten würde ich später in Italien leben und arbeiten“, sagt sie. Eine italienische Angela Merkel? „Das hört sich momentan noch höchst unwahrscheinlich an.“ Und dann schiebt sie hinterher: „Ich sehe aber keinen Grund, warum es keine geben sollte.“

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