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Film Chaplin

Die geheime Geschichte hinter „Der große Diktator“

Filmredakteur
Anton Hynkel, Herrscher Tomaniens: Chaplin als „Der große Diktator“ Anton Hynkel, Herrscher Tomaniens: Chaplin als „Der große Diktator“
Anton Hynkel, Herrscher Tomaniens: Chaplin als „Der große Diktator“
Quelle: World History Archive/dpa/picture alliance
Heute vor 75 Jahren hatte Chaplins „Der große Diktator“ Premiere. Die Nazis wollten den Film nicht – so wenig wie die Engländer oder die Amerikaner. Bis Präsident Roosevelt eingriff.

Als heute vor 75 Jahren „Der große Diktator“ in New York Premiere hatte – dieser Überklassiker vom armen jüdischen Barbier, der mit dem mächtigen Potentaten verwechselt wird – hätte man sagen können, da sei etwas zusammen gewachsen, was nicht zusammen gehörte, aber lange zueinander gestrebt hatte.

Am 16. April 1889 war in London ein Kind namens Charles Chaplin zur Welt gekommen, vier Tage später in Braunau eines namens Adolf Hitler. Als junger Mann lebte Hitler obdachlos auf den Straßen, zur selben Zeit entwickelte Chaplin die Figur seines Tramps. Mussolinis Chauffeur (!) kolportierte, Hitler habe seinen Willem-Zwo-Schnurrbart getrimmt, um wie Charlie auszusehen, der meistgeliebte Mensch auf der Welt. Eine Erfindung, aber sie spielt auf das unsichtbare Band zwischen beiden an. Der englische Komiker Tommy Handley sang „Who Is That Man (Who Looks Like Charlie Chaplin)“, und das britische Magazin „The Spectator“, spannte beide 1939, anlässlich ihres 50. Geburtstags, zusammen: „Sie spiegeln dieselbe Wirklichkeit wider – die Not des ,kleinen Mannes’ in der modernen Gesellschaft. Beide sind Zerrspiegel, der eine zum Guten, der andere zum unsagbar Bösen.“

Die Nazis hassten Chaplin

Zu diesem Zeitpunkt wusste die Welt bereits, dass Chaplin sich Hitlers annehmen wollte. Nur nichts Genaues, denn Chaplin hatte sich völlig abgeschottet, und als das „Life Magazine“ ein unautorisiertes Foto von ihm in Maske veröffentlichte, musste die Auflage eingestampft werden. Georg Gyssling, der Nazi-Generalkonsul in Los Angeles, der den Auftrag besaß, unerwünschte Hollywood-Projekte zu torpedieren, hatte schon einen Warnbrief an den US-Kinozensor geschrieben; ein solcher Film würde „zu ernsthaften Störungen und Komplikationen“ führen.

Es ist nicht genau erforscht, warum die Nationalsozialisten Chaplin hassten. Als Chaplin 1931 Berlin besuchte, wurde er am Bahnhof Friedrichstraße von einigen Dutzend Braunhemden mit lauthalsem „Nieder!“ empfangen, was in dem allgemeinen Jubel unterging. Goebbels’ „Völkischer Beobachter“ regte sich über den Rummel um den „jüdischen Filmaugust“ auf; dabei war Chaplin nachweislich nicht jüdischen Glaubens. In mehreren Städten versuchte die SA vergeblich, das Publikum von Chaplins „Lichter der Großstadt“ fernzuhalten. Gleich nach der Machtergreifung allerdings wurden alle Chaplin-Filme verboten. Vielleicht ist die einfachste Erklärung die beste: Auch die Nazis sahen das Offensichtliche – und konnten es nicht ertragen, dass ihr Führer einem Clown ähnelte.

Ein Tritt in den Hintern

Es stimmt, dass Chaplins Filme sich gern über Autoritäten lustig machten. Der Landstreicher, der ständig Polizisten eins auswischt; der Tramp, der in „Gewehr über“ Kaiser Wilhelm in den Hintern tritt; der Vagabund, der in Moderne Zeiten“ das Fließband einer diktatorischen Henry-Ford-Figur stilllegt – jenes Ford, dessen deutsche Fließbänder noch bis Ende 1941 jene Lkws für die Wehrmacht montierten, die Frankreich und die Sowjetunion attackierten.

Gleich nimmt er die Weltkugel heraus und spielt mit ihr: Chaplin als Hynkel
Gleich nimmt er die Weltkugel heraus und spielt mit ihr: Chaplin als Hynkel
Quelle: World History Archive/dpa/picture alliance

Nicht nur Ford verfolgte Geschäftsinteressen in Hitler-Deutschland, auch die Hollywood-Studios zeigten weiter gern ihre Filme (sofern die Zensur das zuließ). Lediglich Warner Bros., das einzige Studio, in dessen Filmen man etwas von der großen amerikanischen Depression bemerken konnte, hatte Konsequenzen gezogen, als sein deutscher Büroleiter Joe Kaufman – ein Jude – von Nazi-Schlägern in einem Berliner Hinterhof ermordet worden war, und das Büro 1936 geschlossen. Zwei Jahre später, als immer noch kein Hollywood-Film einen mutigen Mucks gewagt hatte, beschloss Chaplin, das Schweigen zu brechen.

Der German-American Bund

Ein Freund, der Filmemacher und Sozialist Ivor Montagu, hatte in Berlin ein Buch entdeckt und nach Los Angeles geschickt, „Juden sehen dich an“. Es war eine antisemitische Kopie des Bestsellers „Tiere sehen dich an“, und in beiden wurde versucht, vom Äußeren aufs Innere zu schließen; Chaplin fand darin ein Bild von sich mit der Zeile „Dieses kleine jüdische Stehaufmännchen ist so ekelhaft, wie es langweilig ist“.

Als seine Filmpläne ruchbar wurden, suchte der Zensor um ein Gespräch nach (Chaplin reagierte nicht), klagte seine Produktionsfirma United Artists über zu erwartende Einnahmeverluste (Chaplin finanzierte den Film letztlich selbst, anderthalb Millionen Dollar), und der German-American Bund, eine Fünfte Kolonne der Nazis, agitierte heftig dagegen (in Chicago, mit den vielen deutschen Einwanderern, wurde der Film später verboten). Schließlich machte der britische Filmzensor seinen US-Kollegen auf die „delikate Lage“ aufmerksam, die entstehen könnte, „wenn persönliche Angriffe auf einen lebenden europäischen Staatsmann ausgeführt würden“: Es sei in England verboten, lebende Politiker ohne deren schriftliche Zustimmung auf die Leinwand zu bringen.

Um die Jahreswende 1938/39 war Chaplin so weit, den „Diktator“ aufzugeben. Da erhielt er Besuch von einem gewissen Harry Hopkins, dem Architekten des New Deal, und im Namen von Präsident Franklin D. Roosevelt beschwor ihn der Gast, der Film müsse unbedingt gemacht werden. Im September 1939, eine Woche nach dem Ausbruch des Weltkriegs, als immer noch 95 Prozent der Amerikaner gegen einen Kriegseintritt waren, begannen endlich die Dreharbeiten, und Chaplin exponierte sich wie kein anderer: Hannah, seine weibliche Hauptfigur, „verkörpert die ganze jüdische Rasse, ihre Stärke, ihre Verbitterung über sinnlose Verfolgung, ihre Hoffnung auf eine bessere Zukunft“.

„Dieser Film muss unbedingt gemacht werden“

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Was danach geschah: „Der große Diktator“ erhielt fünf Oscar-Nominierungen, aber keine Statue, wurde jedoch Chaplins größter Kassenerfolg. Die Nazis montierten Aufnahmen von Chaplins Berlin-Besuch in ihren schlimmsten Propagandafilm, „Der ewige Jude“. Jede Erwähnung der Juden als Hauptopfer des Faschismus verschwand bis Kriegsende aus Hollywood-Filmen. 1941 riefen die Senatoren Clark (Missouri) und Nye (Nord-Dakota) zu einer Untersuchung der US-Filmindustrie auf und vermerkten, die Chefs aller acht großen Studios trügen „jüdisch klingende Namen“. 1952, als er per Schiff nach England unterwegs war, wurde dem als „Kommunisten“ verdächtigten Chaplin die Wiedereinreisegenehmigung entzogen; eine Blaupause für die Ausbürgerung Wolf Biermanns aus der DDR. In Italien wurde der Film noch lange gekürzt, um die Gefühle von Mussolinis Witwe nicht zu verletzen. Im Spanien General Francos blieb er bis zu dessen Tod 1975 verboten.

P.S.: Die Frage, ob Hitler den „Großen Diktator“ gesehen hat, lässt sich nicht zuverlässig beantworten. Angeblich besorgte das Propagandaministerium eine Kopie aus Portugal, angeblich wurde sie zweimal von der Reichskanzlei angefordert. Der Rest ist Schtonk.

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