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Wie Andreas Gursky zum weltweit teuersten Fotografen wurde

Er ist ein Star. Seine Werke werden bei Kunstliebhabern und Finanzinvestoren immer beliebter. Wie kein anderer gestaltet Andreas Gursky seine Bilder ebenso komplex wie dekorativ. Im Februar zeigt das Haus der Kunst in München eine umfassende Retrospektive. WELT.de hat ihn in seinem Düsseldorfer Atelier getroffen.

Sorgsam füllt Andreas Gursky die aufgeschlagene Milch in zwei kleine Gläser. Dabei achtet er gewissenhaft darauf, dass der weiße Schaum sich nicht zu schnell mit dem dunkelbraunen Kaffee vermischt. Schließlich soll der Capuccino genauso aussehen, wie man sich einen Capuccino vorstellt. Da erlaubt sich der Künstler keine Eskapaden. Für seine Kunst hingegen wagt er viel: Er fliegt mit Helikoptern, steigt in Baukräne, steht an Rennstreckenzäunen, kämpft mit Behörden, ringt mit Agenten. Gursky will die besten Bilder, und dafür braucht er auch die besten Standorte. Kompromisse geht er nicht ein.

Und die Ergebnisse geben ihm recht: Überwältigend schöne Bilder von Konzerten, Boxkämpfen, Börsenplätzen, Supermärkten, Rennstrecken machten den 52-jährigen Künstler berühmt. Die sechs- und manchmal siebenstelligen Preise, die seit einigen Jahren bei Auktionen für ein Gursky-Foto gezahlt werden, machten ihn sogar populär.

Jetzt richtet ihm das Haus der Kunst in München eine große Retrospektive aus. Nachdem Gursky 2001 eine Ausstellung im MoMA in New York hatte, ist sie die erste in Deutschland seit neun Jahren. Zwar sollte zeitgleich auch in der Berliner Nationalgalerie eine Ausstellung stattfinden, doch die ist nicht zustande gekommen. Das ist gut für Gurskys Katzen. Denn sie durften das Modell der Nationalgalerie, das im Düsseldorfer Atelier des Künstlers steht, besetzen und haben die ersten Wände bereits zerfleddert.

Hingegen ist das Modell des Hauses der Kunst unversehrt. Gursky hat es schon bestückt, hat den Modellräumen die auf ein winziges Format verkleinerten Kunstwerke zugeordnet. Mit seinen Fingern schiebt er die Foto-Zwerge wie in einer Puppenstube von Raum zu Raum. Hängen nicht vielleicht zu viele Nordkoreafotos in dem mittleren Raum, will er wissen und entfernt ein Minifoto.

Die Nordkoreafotos beschäftigen Gursky zurzeit sehr. Es handelt sich um Aufnahmen des Sport- und Kunstfestivals Arirang, das zu Ehren des Staatsgründers Kim Il-sung veranstaltet wird. Dabei erstellen Tausende Akteure lebende Bilder, Choreografien, die ständig wechseln. Jeden Abend erleben 40.000 Zuschauer diese ästhetisch aufbereiteten Aufmärsche. Genau dieses optisch reizvolle Massenspektakel fasziniert Gursky. Seine Fotos verdeutlichen das: Dekorativ wie Zuckergebäckfigürchen auf einer Marzipantorte reihen sich die Turnerinnen und Turner aneinander.

Das Interesse des Künstlers an diesem Motiv, so scheint es, gilt allein der Oberfläche. Nach politischen Hintergründen, gesellschaftlichen Zusammenhängen fragt Gursky nicht. Denn er versteht sich nicht als politischer Künstler, sondern als "Seismograf", als einer, der gesellschaftliche Erscheinungsformen mit den Augen erspürt und künstlerisch umsetzt. Bewertungen nehme er mit seiner Kunst grundsätzlich nicht vor, sagt Gursky.

Seit vielen Jahren sucht der Fotograf nach Motiven, die gemeinschaftliche Erfahrung und Weltauffassung symbolisieren. Das können Boxkämpfe, Flughäfen, Formel-1-Rennen, Konzerte oder eben auch nordkoreanische Festivals sein. Sein populärstes Bild ist sicher das eines Konzertes der amerikanischen Sängerin Madonna. Hierfür fotografierte Gursky verschiedene Szenen ihrer Bühnenshow und führte sie später zu einer einzigen Aufnahme zusammen. Das Kunstwerk, das Gursky dann am Bildschirm komponierte, gibt also nur vor, eine Momentaufnahme zu sein. Mit dieser Methode arbeitet er seit dem Aufkommen der digitalen Bildbearbeitung Anfang der 90er-Jahre. Seither ist für ihn der geglückte "Schnappschuss" passé.

Aber ist die Wirkung eines Gursky-Fotos deshalb so anders als die einer traditionellen, einer klassischen Momentaufnahme? Die Frage muss unbedingt mit Ja beantwortet werden. Schon weil dem Betrachter vor einem Gursky-Foto schlecht werden kann. Der Grund dafür liegt zum einen an der Größe. Bis auf riesenhafte zwei mal fünf Meter druckt er seine Arbeiten. Aber die körperliche Reaktion, die diese Bilder auslösen, resultiert vor allem aus ihrer Multiperspektive. Das heißt, die Werke folgen nicht den klassischen Regeln der Perspektive, es gibt darin keinen direkten Bezugspunkt, keinen Ruhepunkt für das Auge. Zudem wechseln munter Auf- und Untersicht wie bei einer Achterbahnfahrt.

Wegen seiner collagenhaften Arbeitsmethode wurde Gursky häufig mit einem Maler verglichen, doch der Vergleich hinkt. Eigentlich arbeitet der Fotograf wie ein Schriftsteller, der die Eindrücke unterschiedlicher Zeitebenen zu einem einzigen opulent-barocken Motiv verdichten kann. "Ich überzeichne, akzentuiere die Wirklichkeit, denn es gibt ja keine objektive Wirklichkeit, nur die subjektive Sicht darauf", sagt Gursky.

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Die Räume seines Ateliers eigneten sich überhaupt nicht für ein Gursky-Foto. Hier fehlt die Opulenz, die seinen Fotos den eigentlichen Kick gibt. Das ehemalige Umspannwerk ist eher mönchisch karg. Weiß getünchte Wände, ein schwarzer Boden, wenige Möbel und kaltes Deckenlicht. Dass sich hinter den üppigen, sinnenfreudigen Fotos Gurskys ein derart spartanisch zurückhaltender Mensch verbirgt, wer hätte das gedacht?

Vielleicht gibt er deshalb gern Gas auf Partys, besucht Popkonzerte, hängt mit Freunden in der "Harpune" ab, seinem Lieblingsclub im Düsseldorfer Hafen. Dass er mit dem Formel-1-Teamchef von Ferrari, Jean Todt, und der Sängerin Madonna befreundet ist, hängt er nicht an die große Glocke. Nur dass Todt ihm ermöglicht habe, Aufnahmen am Boxenstopp zu machen und die Rennstrecke in Bahrain zu fotografieren, das erzählt er dann schon. Dass er beim Madonna-Konzert in Düsseldorf neben der Bühne parken durfte, behält er lieber für sich. Madonna hat er einiges zu verdanken. Als Kunstsammlerin hat auch sie Gursky-Arbeiten. Und wenn Madonna und Jean Todt Gurskys Kunst sammeln - ja dann blickt die Welt der Sammler und Spekulanten auf den Düsseldorfer Fotografen.

Das treibt natürlich die Marktpreise in die Höhe. Als 2001 das erste Mal eines seiner Fotos, "Montparnasse", für einen hohen sechsstelligen Betrag versteigert wurde, war Gursky auf Gran Canaria. "Damals kosteten die Arbeiten bei meiner Galeristin Monika Sprüth noch deutlich weniger", sagt Gursky. Heute kosten sie zwischen 200 000 und 250 000 Dollar. Tendenz steigend, denn im vergangenen Jahr wurde das Supermarktfoto "99 cent, II" für rund 2,4 Millionen Dollar bei Phillips de Pury in New York versteigert und ist damit das teuerste Foto eines lebenden Künstlers.

Doch trotz des Erfolgs, oder vielleicht gerade deswegen, ist die Preisgestaltung für Gurskys Galeristen Monika Sprüth und Matthew Marks schwierig. Denn verkauften sie heute ein neues Bild zu einem moderaten - sechsstelligen - Preis, fänden sie es nur wenige Monate später in einem Auktionskatalog - allerdings zu einem deutlich höheren, möglicherweise siebenstelligen angeboten. Daher wird auch sehr genau überlegt, wer Bilder kaufen darf und wer nicht. Was den Markt zusätzlich anheizt: Der Künstler produziert selten mehr als zehn Motive pro Jahr, und von jedem Motiv gibt es nur sechs Abzüge.

Ob der Erfolg seinen Lebensstil verändert habe? Das gesteht er freimütig ein. Ihn jedoch nicht, er sei immer noch ein bodenständiger Mensch. Was immer das für einen Künstler bedeutet, der sich sein Atelier von dem Schweizer Architektenduo Herzog und de Meuron umbauen lässt und mit seinem Maserati durchs Rheinland sprintet.

Dabei gehört Andreas Gursky eigentlich der gesellschaftskritischen 68er-Generation an. Zumindest fühlt sich der 1955 Geborene ihr zugehörig. Wie damals vielen jungen Menschen waren auch ihm die kapitalistischen Werte der deutschen Nachkriegsgesellschaft verdächtig. Er verweigerte nach dem Abitur den Kriegsdienst. Statt Dienst an der Waffe zu tun, betreute er Dialyse-Patienten. Das allerdings half ihm bei seiner Berufsfindung auch nicht weiter. Gursky wusste nur, was er nicht wollte: die Tradition seiner Familie fortführen. Sein Großvater Hans war Fotograf in Leipzig. Dort wurde Gursky auch geboren. Sein Vater Willy unterhielt nach seiner Flucht aus der DDR ein Atelier für Werbefotografie in Essen. Aber Werbefotografie - das war auch so ein rotes Tuch für die 68er-Generation.

Dass Gursky sich dann doch noch für die Fotografie entschied, lag an einem Freund, der ihm sagte, er solle doch an der Folkwang-Hochschule in Essen künstlerische Fotografie studieren. Als Fotojournalist, so war Gurskys naive Vorstellung, wollte er für Hochglanzmagazine Reportagen machen. Doch davon leben konnte er nicht, das wurde ihm schnell klar. Der Schritt an die Düsseldorfer Akademie, an der Bernd und Hilla Becher unterrichteten, war dann der entscheidende. Die Bechers gelten als die Pioniere der Fotografie in Deutschland.

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In ihrer Klasse traf er Thomas Ruff, Thomas Struth und Axel Hütte. Gemeinsam experimentierten sie mit Farbe. Das widersprach zwar dem Schwarz-Weiß-Dogma ihrer Lehrer, war aber entscheidend für die künstlerische Entwicklung der Gruppe. Und die Becher-Schüler hatten noch eine Idee. Sie vergrößerten ihre Fotos auf bis dahin unvorstellbare Maße. Damit sind sie alle berühmt geworden. Dass Andreas Gursky der berühmteste Becher-Schüler ist, liegt vielleicht daran, dass er keine Bedenken hat, seine Werke auch mal opulent dekorativ zu gestalten. Seinen Vater wird das sicher freuen, und der Kunstmarkt dankt es ihm.

Andreas Gursky, 17. Februar bis 13. Mai 2007; Haus der Kunst, München, Prinzregentenstraße 1; zur Ausstellung erscheint im Snoeck-Verlag ein vortrefflicher Katalog

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