WELTGo!
Journalismus neu erleben und produktiver werden
Ihr Assistent Journalismus neu erleben und produktiver werden
WELTGO! ENTDECKEN
  1. Home
  2. kmpkt
  3. Frauenarzt: Wie ich meine Scheu vor einem männlichen Frauenarzt überwand

kmpkt Sexuelle Hintergedanken?

Wie ich meine Scheu vor einem männlichen Frauenarzt überwand

Patientin entkleidet sich Patientin entkleidet sich
„Wie am Fließband“ empfand unsere Autorin die Untersuchungen durch überlastete Gynäkologinnen (Symbolfoto)
Quelle: Getty Images/Westend61
Zu einem männlichen Gynäkologen zu gehen, kam für unsere Autorin jahrelang nicht infrage. Dann zwingt sie der Ärztemangel, ihre Einstellung zu überdenken. Ein Erfahrungsbericht.

„Wir nehmen keine Neupatienten.“ Diesen Satz verfluche ich, als ich 2010 nach Berlin ziehe und auf der Suche nach einer Gynäkologin bin. Zwar versuche ich bei der Anmeldung zu vermitteln, dass ich die unkomplizierteste Patientin bin und lediglich einmal jährlich zur Vorsorge und zur Abholung meines Pillen-Rezeptes komme. Trotzdem werde ich in etlichen Praxen abgelehnt und bin gezwungen, weitere drei Jahre zu meiner Ärztin ins 250 Kilometer entfernte Sachsen-Anhalt zu fahren.

Als ich 2013 dann endlich bei einer Berliner Ärztin angenommen werde, ist meine Erleichterung groß. Für mich ist klar: Ich werde nie wieder wechseln. Doch wirklich zufrieden bin ich nicht. Obwohl in der Praxis alle unfassbar nett sind, ist die Terminvergabe eine Katastrophe. Es ist grundsätzlich kein passender Termin frei und wenn doch, sind die Wartezeiten vor Ort jenseits des Erträglichen.

Gynäkologische Untersuchungen finden wie am Fließband statt und als Patientin hat man das Gefühl, per Massenabfertigung behandelt zu werden. Meine Termine selbst dauern im Schnitt acht bis zehn Minuten – inklusive Vorgespräch, Untersuchung, An- und Ausziehen.

Gynäkologin untersucht Patientin
Untersuchungen unter Zeitdruck – Patientinnen fühlen sich unwohl
Quelle: Getty Images/Svetlana Repnitskaya

Zu einem männlichen Gynäkologen zu gehen, kommt damals für mich nicht infrage

Laut einer Auswertung des Atlas Medicus Marktatlas von Februar 2023 sind Ärztinnen in der ambulanten Gynäkologie deutlich häufiger vertreten als Ärzte. Demnach sind sieben von zehn niedergelassenen Frauenärzten weiblich, allein in Berlin lag der Frauenanteil im Bereich der Gynäkologie im April 2022 bei 76,2 Prozent. Nur im Bereich der Psychologischen Psychotherapeuten gibt es nach Angaben der Kassenärztlichen Bundesvereinigung einen noch höheren Anteil an weiblichen Ärzten. Trotzdem berichten mir meine Freundinnen immer wieder, dass sie zu männlichen Gynäkologen gehen.

Lesen Sie auch

Nachdem ich hin und wieder zu Vertretungsärztinnen muss, weil meine Gynäkologin mal wieder keine Kapazitäten hat, und ich mich bei den Untersuchungen fühle, als würde ein Fleischermeister sein Metzgerwerkzeug in mir schwingen, kapituliere ich endgültig und höre auf den Rat meiner Mädels. „Versuch es wirklich mal bei einem Mann, die sind viel einfühlsamer und hören viel mehr zu!“, raten sie mir. Also versuche ich es. Trotz der geringen Praxisquote bekomme ich innerhalb von nur zwei Wochen einen Termin – und das als Neupatientin. Jetzt gilt es nur noch, meine Bedenken abzuschütteln.

Gynäkologe untersucht Patientin
Gynäkologe untersucht Patientin (Symbolfoto)
Quelle: Getty Images/Westend61

Sexuelle Hintergedanken?

In verschiedenen Foren lese ich, dass ich mit meinem Kopfkino nicht allein bin. Da berichten Frauen beispielsweise von der Sorge, dass Männer unvorsichtiger sein könnten, weil sie selbst keine Vagina haben. Oder dass frau gefilmt wird auf dem Gyn-Stuhl. Häufig kommt zudem die Frage, ob ein männlicher Gynäkologe gar sexuelle Hintergedanken habe, während er die Untersuchung durchführt.

Meine Schwester empfiehlt mir die Videos des Influencer-Arztes Konstantin Wagner als Vorbereitung auf meinen Termin. Auf YouTube & Co. klärt der männliche Gynäkologe über alles rund um Schwangerschaft, Geschlechtskrankheiten oder Menstruationsbeschwerden auf – und versichert: „Es gibt für Gynäkologen keinen sexuellen Gedanken bei dieser Arbeit“. Nach dem Ansehen der Videos bin ich tatsächlich entspannter als zuvor.

Nach 21 Jahren, die ich mittlerweile bei weiblichen Gynäkologen in Behandlung bin, traue ich mich nun tatsächlich zu einem Mann. Das Vorgespräch mit dem vierfachen Familienvater breche ich auf ein Minimum herunter, ich will einfach nur die Untersuchung schnell hinter mich bringen. Die Fragen sind mir unangenehm und obwohl ich in dieser Hinsicht alles andere als prüde bin und auch bei meinen männlichen Kumpels nicht mit ausschmückenden Erzählungen rundum meine menstrualen Probleme geize, fällt es mir in diesem Moment alles andere als leicht, ins Detail zu gehen.

Bedenken und Schamgefühl komplett verflogen

Während ich untenrum die Hüllen fallen lasse, überlege ich, wie viele Männer mich in meiner vollen Blüte bereits so gesehen haben. Als ich aus dem Umkleideraum in Richtung Stuhl laufe, passiert aber tatsächlich das, womit ich nicht gerechnet habe: Nichts an dieser Situation fühlt sich sexuell an. Einfach gar nichts.

Anzeige

Mit absoluter Kompetenz führt der Arzt die Untersuchung durch und meine Bedenken sowie mein erwartetes Schamgefühl sind komplett verflogen. Bei der anschließenden Brustuntersuchung brechen dann alle Dämme: „Meine Güte, Sie sind ja echt gar nicht abzulenken, Ihr Herz springt ja gleich raus“, sagt der Arzt zu mir und kurzerhand fangen wir beide an zu lachen.

Es muss einfach matchen

Zwanzig Minuten bin ich insgesamt im Behandlungszimmer. Eine Zeitspanne, die ich bei meinen weiblichen Gynäkologen so gut wie nie erreicht habe. Sollte sich der kompetente Eindruck des Arztes auch bei meinen folgenden Besuchen bestätigen, werde ich bleiben. Am Ende spielt das Geschlecht wohl wirklich keine Rolle. Fernab sämtlicher sexueller Spannung oder ängstlicher Gedanken ist es letztlich trotzdem ein bisschen wie auf Tinder: Es muss einfach matchen.

Nach diesem persönlichen Erlebnis-Bericht erfährst du hier, was anderen Menschen noch so alles unangenehm sein kann.

Ich frage für einen Freund

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema