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Blutegel fürs Knie – der Mythos der heilenden Tiere

Blutegel graben sich in die Haut und geben Speichel in die Bissstelle ab, der entzündungs- und schmerzlindernde Stoffe enthält Blutegel graben sich in die Haut und geben Speichel in die Bissstelle ab, der entzündungs- und schmerzlindernde Stoffe enthält
Blutegel graben sich in die Haut und geben Speichel in die Bissstelle ab, der entzündungs- und schmerzlindernde Stoffe enthält
Quelle: Getty Images/age fotostock RM
Egel gegen Arthrose, Würmer gegen Darmentzündung, Hunde gegen psychische Störungen: Der medizinische Einsatz von Tieren ist in Mode. Doch die Wirksamkeit vieler Therapien lässt sich nicht nachweisen.

Fliegenmaden und Blutegel – das sind Heilmethoden aus uralten Zeiten. Tiere sollten vollbringen, was der Mensch nicht vermochte. Das war lange vor der modernen Medizin. Doch diese moderne Medizin hat Vertrauen verloren, und inzwischen begeistern sich Ärzte und Patienten wieder für die Idee, Parasiten und andere Tiere könnten Krankheiten heilen. Doch so sehr die verschiedenen Ansätze beworben werden, so ernüchternd sind häufig die Prüfergebnisse aus dem Labor.

Die Larven der Schmeißfliegengattung Lucilia sericata beispielsweise werden eingesetzt, um schlecht heilende Wunden zu säubern. Sie sollen nur das abgestorbene Gewebe aus den Wundrändern herausfressen und so effektiv die Wunde reinigen. Es wird sogar behauptet, dass sie multiresistente Keime bekämpfen könnten. Doch Patienten klagten nach der Behandlung mit den Larven über deutlich mehr Schmerzen. Daraufhin prüfte eine Gruppe Wissenschaftler, wie sich die Maden auf ein nachgebautes Hautmodell auswirkten. Sie gaben die Tiere nicht direkt auf die Haut, sondern legten sie in kleinen Beuteln auf die Wunde. Das sollte eine Zerstörung durch das Wuseln der Maden ausschließen. Doch auch ohne mechanisches Einwirken konnten die Maden selbst gesunde Zellen schädigen – Schuld sind ihre Ausscheidungen. Auch die Hoffnung, die Tiere könnten multiresistente Keime reduzieren oder die Wundheilung beschleunigen, wurde bei genauer Untersuchung nicht erfüllt.

Mit dem Blutegel kommen die Bakterien

Mindestens genauso populär ist der medizinische Einsatz von Blutegeln. Dieser Biotherapeut gräbt sich mit seinen Sägezähnchen in die Haut des Wirtes ein und saugt dessen Blut. Die Tiere geben Speichel in die Bissstelle ab, der entzündungs- und schmerzlindernde Stoffe enthält. Das Saugen soll die Durchblutung verbessern und die Überlebenswahrscheinlichkeit wieder angenähter Finger verbessern. Tatsächlich wiesen Laser-Doppler-Flussuntersuchungen eine bessere Durchblutung um die Bissstelle des Blutegels nach.

Das Anlegen der Tiere am Knie soll auch Arthroseschmerz lindern. Doch hier können Forscher bislang keine eindeutige Aussage treffen, ob es sich dabei nicht um einen Placeboeffekt handelt.

Nebenwirkungen und Komplikationen sind bei der Blutegeltherapie keine Seltenheit. Das Hauptproblem sind Infektionen mit Bakterien, vor allem mit Aeromonas hydrophila. Gelangen sie in Wunden, kann das zum Absterben des Gewebes führen, und eine Amputation wird nötig. Die Egel leben mit besagtem Bakterium in Symbiose, denn es hilft ihnen bei der Verdauung ihrer Blutmahlzeiten. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) empfiehlt, die Übertragungsgefahr durch vorsorgliche Antibiotikaeinnahme zu minimieren. Das Medikament hilft allerdings nicht gegen die Übertragung von Viren oder anderen Erregern, die vom Tier auf den Menschen übergehen können. Wichtig ist, dass die Tiere im Labor unter keimfreien Bedingungen gezüchtet und nur einmal eingesetzt werden.

Helfen Haustiere gegen Allergien?

Besonders populär ist seit Jahrzehnten die These, dass Kinder für eine gesunde Entwicklung den Kontakt zu Tieren bräuchten. Dahinter steckt die sogenannte Hygienetheorie, nach der ein zu großes Maß an Hygiene und der damit verbundene Mangel an Keimen zu Fehlfunktionen des Immunsystems führen. Das untrainierte Abwehrsystem, so die Vermutung, begünstige Allergien, da es hypersensibel auf Eindringlinge reagiert. Tatsächlich zeigten Studien, dass Kinder, die auf Bauernhöfen aufwachsen, weniger unter Allergien leiden. Auch Mäuse, deren Trinkwasser mit Staub aus Hundehaushalten versetzt wurde, entwickelten weniger Allergiesymptome in den Atemwegen als eine Kontrollgruppe mit sauberem Wasser. Die beteiligten Forscher vermuten, dass es die verschiedenen Keime sind, die ein Hund beim Gassigehen einsammelt und in der Wohnung verliert und die über den Mund in den Darm gelangen und dort das Immunsystem „trainieren“.

Doch viele noch nicht geklärte Zusammenhänge spielen bei der Ausbildung und Prävention von Allergien eine Rolle. Und ob sich aus den vorliegenden Erkenntnissen wirklich Empfehlungen ableiten lassen, ist umstritten. Denn niemand kann bislang wirklich sagen, wie sich ein Haustier auf die Entwicklung einer Allergie auswirkt. Wissenschaftler raten Allergikerfamilien davon ab, sich ein Felltier nur deswegen anzuschaffen, um den Nachwuchs abzuhärten. Vermutlich spricht nichts gegen einen Hund im Haushalt. Von Katzen, deren Speichel als hochallergen gilt, wird derzeit eher abgeraten wird.

Schweinepeitschenwürmer für das Immunsystem

Ebenfalls der Hygienehypothese folgend, prüften Mediziner gerade, ob eine Infektion mit Schweinepeitschenwürmern Menschen mit autoimmunen Darmerkrankungen (zum Beispiel Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa) helfen kann. Der schmarotzende Darmbewohner übt eine gewisse Kontrolle auf die Entwicklung und Reifung von Immunzellen in unserem Körper aus. Die Wissenschaftler hofften, dass er das Immunsystem positiv beeinflusst. Ein Hinweis darauf gab die geringe Zahl von Morbus-Crohn- und Colitis-ulcerosa-Kranken in Entwicklungsländern, in denen große Teile der Bevölkerung die Mitbewohner im Darm beherbergen.

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Doch Studienleiter Jürgen Schölmerich, Darmspezialist und Ärztlicher Direktor des Uniklinikums Frankfurt, ist von den gerade ausgewerteten Studienergebnisse ernüchtert: „Das Thema ist durch, die Wurmeier wirken nicht besser als ein Scheinmedikament.“ Erstaunlich aber sei der sehr hohe Placeboeffekt: 40 Prozent der Patienten ging es besser, bis hin zu Spontanheilungen. Das galt sowohl für die tatsächlich Infizierten wie auch für die Kontrollgruppe, die nur Glauben gemacht wurde, die Darmbewohner in sich zu haben. Zumindest psychologisch scheinen die Tiere also einen starken Effekt zu haben.

Das besondere Gespür der Hunde für den Menschen

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Die menschliche Psyche scheint tatsächlich für heilende Effekte von Tieren sehr empfänglich zu sein. Immer mehr etablieren sich neben Spür- und Rettungshunden auch Therapiehunde, die bei Attentaten oder schweren Unglücken zum Einsatz kommen. „Die Hunde haben ein besonderes Gespür, sie scheinen zu merken, wem es gut geht, wer Angst vor ihnen hat und wer sie braucht. Da ziehen sie uns hin“, berichtete eine Hundeführerin, die nach dem Amoklauf in Newtown (USA) mit ihren Tieren vor Ort war. Der Kontakt scheint besonders Kindern zu helfen, sich trotz eines belastenden Erlebnisses emotional zu öffnen und Vertrauen zu fassen.

Hundetherapie im Krankenhaus. Der Kontakt mit den Tieren hat positive Auswirkungen auf Blutdruck und Herzschlag
Hundetherapie im Krankenhaus. Der Kontakt mit den Tieren hat positive Auswirkungen auf Blutdruck und Herzschlag
Quelle: Getty Images

Auch lange Zeit nach einem Trauma sind die Betroffenen noch stark eingeschränkt. Sie entwickeln Angststörungen und Depressionen, ziehen sich zurück, haben Probleme mit Nähe und dem Funktionieren im Alltag. Hier helfen ausgebildete Begleithunde; diese gehen einerseits aktiv auf andere Menschen zu, bieten aber gleichzeitig emotionale Unterstützung und schaffen eine unbeschwerte Atmosphäre. Außerdem helfen sie ganz praktisch, indem sie nachts beim Heimkommen das Licht anschalten, Betroffene aus Albträumen wecken oder sie bei Panikattacken in der Öffentlichkeit nach Hause bringen.

Die Hunde lernen, je nach Bedürfnis des Betroffenen, diese in Menschenmengen nach hinten abzuschirmen oder vor ihnen Raum zu schaffen. Sie beruhigen ihn in schwierigen Situationen mit Körpereinsatz, legen zum Beispiel ihren Kopf aufs Bein. In der Psychotherapie lässt sich über den Hund oft ein besserer Zugang zur Gefühlswelt von Kindern finden. Hier kann beispielsweise vorgeblich ganz unbefangen über den Hund gesprochen werden, wobei Dinge zur Sprache kommen, die eigentlich mit der Innenwelt des Patienten zu tun haben.

Dass Tiertherapien und Aktivitäten mit Tieren bei psychischen oder schweren psychiatrischen Erkrankungen hilfreich sind, deutet sich in vielen Forschungsarbeiten an. Betroffene haben nach einer solchen Behandlung weniger depressive Symptome, fühlten sich weniger einsam oder ängstlich und gingen mehr aus sich heraus. Der Kontakt mit den Tieren hatte auch positive Auswirkungen auf zum Beispiel den Blutdruck und den Herzschlag. Und sogar Schmerzen bei Kindern verringerten sich.

Doch bei der Sichtung aller existierenden Studien zu tiergestützten Therapien kam eine Forschergruppe aktuell zu dem Ergebnis, dass es trotz vieler Studien und positiver Hinweise an verlässlichen Daten mangelt.

Genetisch veränderte Moskitos und sterilisierte Fliegen

Ganz andere Möglichkeiten eröffnen die Methoden der Biotechnologie, beispielsweise zur Bekämpfung von Krankheiten. Bereits im letzten Jahrhundert gelang es, im Südosten der USA einen lästigen Viehparasiten, die Neuwelt-Schraubenwurmfliege, mit der sogenannten sterilen Insektentechnik auszurotten. Diese Schmeißfliegenart legt ihre Eier bevorzugt in die Nähe kleiner Wunden. Ihre Larven bohren sich nach dem Schlüpfen tief ins offene Fleisch. Befallene Tiere wie Rinder, Schafe oder Ziegen verenden meist qualvoll; auch Menschen sind manchmal Opfer. Die US-Regierung ließ in den 1950ern Millionen Exemplare des Schädlings züchten und sterilisierte diese mittels radioaktiver Strahlung. Die freigelassenen männlichen Exemplare paarten sich mit den natürlich vorkommenden Weibchen, deren Eier unbefruchtet blieben. Das Verfahren wurde auch auf der afrikanischen Insel Sansibar angewendet, wo sie half, die Tsetsefliege, den Überträger der gefürchteten Schlafkrankheit, auszurotten.

Neben Fliegen sind auch viele Mückenarten Überträger von ernsthaften Krankheiten, beispielsweise Malaria, Gelbfieber oder Dengue. Daher will man auch ihnen gern zu Leibe rücken. Doch Moskitos vertragen die Strahlung nicht. Bei ihnen gehen die Biotechnologen über die Gentechnik: Sie verändern das Erbgut so, dass die Mücken zu viel von einem Protein produzieren und kurze Zeit nach dem Schlüpfen daran verenden. Zur Paarung kommen sie noch und geben so das Selbstmordgen an die wild lebenden Weibchen weiter. Die Nachkommen aus dieser Paarung sterben, ohne selbst Nachwuchs gezeugt zu haben.

Tiertherapien haben einen hohen Placeboeffekt

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Es gibt viele Möglichkeiten, Tiere für den Menschen gewinnbringend einzusetzen. Doch nicht alle Methoden sind erwiesenermaßen wirksam. Gerade in diesem Bereich scheint der Placeboeffekt recht hoch, die Anwender profitieren also weniger von den Tieren als von ihrem Glauben, dass dies helfen könnte. Vermutlich werden dadurch ihre Selbstheilungskräfte aktiviert.

Wer also Tieren lieber mit Abstand begegnet oder sie wie im Fall der Maden oder Blutegeln nicht unbedingt auf seiner Haut krabbeln lassen möchte, kann getrost darauf verzichten. Es ist nicht erwiesen, dass man ohne sie schlechter dran ist. Zudem kosten entsprechende Therapien manchmal viel Geld. Wundertherapien gibt es nicht, auch nicht in der Natur.

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