Es regnet und regnet und regnet. Und es ist gut so. Gut für mein kleines, durstiges Stück Paradies. Es braucht jetzt viel Kraft, um zu wachsen.
Seit Februar, als die Sonne zum ersten Mal zaghaft damit begann, mit ihren noch flachen Strahlen den Boden zu wärmen, durchwandere ich es jeden Tag. Schaute zu, wie sich die ersten grünen Ärmchen aus der frostigen Erde kämpften, wie der Winter meinen Garten verliess und die Dunkelheit und eisige Kälte mit sich nahm.
Und die Finger jucken seither, sie jucken so fest, dass ich jede freie Minute (da sind noch zwei Kinder) mit der heiligen Dreifaltigkeit Schere, Schaufel und Häckeli in den inzwischen frühlingshaften Garten hinausrenne.
Alles spriesst und hat dieses saftige, fast schreiende Grün bekommen, welches das vom Winterschlaf noch trübe Auge anfänglich blendet. Die Blüten des Kirsch- und des Apfelbaumes sind fast alle schon den frischen Blättern gewichen. An den noch stehenden brummeln die ersten Hummeln mit ihren prallen Pollenhöschen. Das heisere Krähenkrächzen, das den Winterhimmel erfüllte, geht nun unter im vielstimmigen Singsang kleinerer und farbigerer Vögelchen. Und wenn es eindämmert, hört man, wenn man viel Glück hat, ein Rascheln, gefolgt von regem Geschnaufe und, wenn der Igel Glück hat, einem genussvollen Schmatzen.
Die Frage aber ist, was kommt diesen Frühling nicht mehr? Wo tut sich ein braunes Loch auf, wo klafft eine Lücke, die danach schreit, gefüllt zu werden?
Sieh an, der Wermuth (Artemisia absinthium) zeigt sich nicht mehr. Und da, schon wieder, das Kaukasus-Vergissmeinnicht (Brunnera macrophylla) , nichts als ein paar kümmerliche, kahlgefressene Stiele lampen noch aus der Erde, die schönen herzförmigen, blausilbrigen Blättchen liegen alle zerstückelt in den Mägen gefrässiger brauner Nacktschnecken. Zusammen mit den Überresten der Funkien (Hosta).
Ich hab's versucht mit dem Bioschneckenkorn. Die Schnecken haben laut gelacht. Die wirkungsvolleren, aber leider nicht nur für Schnecken, sondern in hohen Dosen auch für Haustiere, Igel und jene wunderbaren, Wegschnecken vertilgenden Tigerschnegel giftigen blauen Körnchen mit Metaldehyd kann man nicht reinen Gewissens ausstreuen.
Und ein Kupferzäunchen gegen die gefrässigen Viechlein zu bauen, ist mir dann massiv zu blöd.
Was also tun?
Erstmal weinen. Weinen über die verloren gegangene Schönheit. Weinen über den Verlust. Und dann, nach ein paar Tagen der Trauer, des andächtigen Stehens am braunen Grabe, heisst es: ab ins Gartencenter! Nein, Vergissmeinnicht, ich werde dich niemals vergessen, aber jetzt muss ich los.
Ade wohl.
Und immer schön her mit dem schneckenresistenten Ersatzpflänzli! Endlich kann ich wieder durch die grünen Gänge schlendern!
Jetzt lache ich laut. Das verstorbene Vergissmeinnicht war, ich will nicht gleich sagen Vorwand, aber ... doch.
Es ist allerdings nicht so, dass ich extra Schneckenfutter pflanze, nur damit ich im nächsten Jahr wieder ins Gartencenter kann. Aber man braucht halt schon ein Argument, das vor einem Menschen, der deine Pflanzenverrücktheit zu grossen Teilen mitfinanziert, Bestand hat. Vor allem dann, wenn er auf die Kinder schaut, damit du in aller Ruhe die hohen und halbhohen Schatten- und Sonnenstauden, die Kletterpflanzen, Bodendecker und Polsterpflanzen, die Kräuter und Ziergräser abwandern kannst.
Warum sind sie nicht endlos, diese Reihen der Freude? Ich möchte für immer hier bleiben, mich für nichts entscheiden und bis in alle Ewigkeit in diesem Zwischenstadium verharren, in dem noch alles möglich ist, in dem all diese schönen Gewächse ein bisschen mir gehören.
Nein. Leider nicht. Ich muss noch mit der Gärtnerin im Trolley zu den Solitärgehölzen fahren, sorry.
Hallo, Hartriegelchen (Cornus), ich komme!
Vier Jahre lang darf ich bereits über mein Stück Paradies gebieten. Und ich habe in jener Zeit viel gelernt. Ganz besonders, dass es neben dem Gartencenter noch etwas gibt:
Die Wildstaudengärtnerei.
Denn leider ist es so, dass Wildpflanzen – also züchterisch nicht veränderte Arten, die in unseren Breitengraden heimisch sind – zu grossen Teilen verdrängt worden sind von gebietsfremden Gewächsen. Sie haben ihre Naturstandorte besonders durch invasive Neophyten verloren. Um diesen Prozess wieder rückgängig zu machen und die Biodiversität zu fördern, haben wir beispielsweise den Naturschutz, die Asphaltknackerinnen und die Jungs vom Zivildienst (danke, Leo!), die der ungehinderten Ausbreitung jener wuchernden Fremdlinge mit Hacke, Pickel und Stecheisen Einhalt gebieten. Und besonders die eben erwähnten Wildstaudengärtnereien.
Dort bekommt man das, was eigentlich in unsere Gärten gehört. Auf dass all unsere Bienen, Schmetterlinge, Vögel und Eidechsen sich daran erfreuen und sich wie wild vermehren können! Schliesslich übersteigen Schweizer Privatgärten flächenmässig sämtliche Schweizer Naturschutzgebiete zusammen. Und in ihnen sind absurderweise die heimischen Wildpflanzen zu Exoten geworden.
Die unter Naturschutz stehende Pimpernuss (Staphylea pinnata) war meine allererste solche Anschaffung. Was für ein Name. Was für ein Strauch.
Seine Blüten sind essbar, früher hat man sie zum Verzehr in Essig eingelegt oder als Süssigkeiten kandiert. Seine Nüsse, jene gelbgrünen Kapseln mit erbsengrossen, glänzend braunen Samen, steigerten die Potenz, sagten sich die Römer und rotteten den Strauch vor lauter Potenzglauben schier aus. Die Kelten wiederum pflanzten ihn auf ihre Gräber.
Und ich ihn in meinen Vorgarten. Denn dort ist ein Stücklein Paradies für Insekten entstanden. Dort hab' ich Wildstauden angesiedelt, die von der nachmittäglichen Sonne beschienen auch dieses Jahr wieder gross und mächtig werden. Bald schon wird hier wieder wild herumgewuselt und das Gesumme besonders am Weissen Steinklee (Melilotus albus) wird so ohrenbetäubend sein, dass es die weit darüber fliegenden Flugzeuge übertönt.
Und wer weiss, vielleicht werden irgendwann genug Igel und Spitzmäuse, Amseln, Stare und Elstern, Kröten, Blindschleichen und Tigerschnegel meinen Garten besuchen, sodass eines Tages sogar das Vergissmeinnicht wieder blüht.
Toller Beitrag und hoffentlich kann er für den einen oder anderen Besitzer eines englischen Rasens oder einer Steinwüste augenöffnend sein.
Naturgärten sind die Zukunft!