Der 1. August und die Anfänge der Schweiz

Was und weshalb feiert die Schweiz am 1. August? Neun Fragen und ihre Antworten rund um den Nationalfeiertag der Eidgenossenschaft.

Stefan Schürer
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Rütlischwur im Bundeshaus: Die «drei Eidgenossen» legen den Schwur auf den Bundesbrief ab. (Bild: Parlamentsdienste)

Rütlischwur im Bundeshaus: Die «drei Eidgenossen» legen den Schwur auf den Bundesbrief ab. (Bild: Parlamentsdienste)

Morgen brennen im ganzen Land die Höhenfeuer. Die Schweiz feiert sich selber. Doch warum eigentlich am 1. August? Und an welches Ereignis wird erinnert? Und was hat die Bundesfeier mit der Legende vom Rütlischwur zu tun? Zeit für ein paar klärende Fragen und Antworten.

Wieso feiert die Schweiz

am 1. August?

Im Dezember 1889 präsentierte der Bundesrat die Botschaft «betreffend Veranstaltung einer nationalen Säkularfeier der Gründung der Eidgenossenschaft». In dieser verwies er auf den Bund der Leute von Uri, Schwyz und Unterwalden, welcher am 1. August 1291 besiegelt worden sei und mit dem die Eidgenossenschaft ihren Anfang genommen habe. Die Schweiz hatte ihren Nationalfeiertag, welcher erstmals 1891 zum 600jährigen Bestehen der Eidgenossenschaft begangen wurde. Zuvor war der Bundesbrief, der 1759 entdeckt worden war, nahezu unbeachtet geblieben.

Weshalb führte der Bundesrat den Nationalfeiertag ein?

Die Einführung eines Gedenktages stand im Dienst des nationalen Schulterschlusses und der Identitätsstiftung im noch jungen Bundesstaat. An der Feier– so der Wunsch des Bundesrates – sollten «alle Völkerschaften der Schweiz, ohne Unterschied der Sprache und Konfession», gleich beteiligt sein. Die Botschaft wurde unter dem Eindruck der Hundertjahrfeier der Revolution in Frankreich verfasst: Während sich der Nachbarstaat als geeinte Nation präsentierte, waren in der Schweiz die Wunden des Sonderbundskriegs von 1848 nicht verheilt.

Was passierte am 1. August

des Jahres 1291?

Vermutlich nichts. Der lateinisch abgefasste Bundesbrief ist mit «Geschehen im Jahre des Herren 1291, im Anfang des Monats August» datiert. Die Forschung geht aber davon aus, dass der Bundesbrief erst später erstellt und dann rückdatiert wurde. Möglicherweise knüpft die Nachherstellung aber an eine Vorlage aus dem Jahr 1291 an. Anerkannt ist, dass der Brief in der Zeit um 1300 entstanden ist.

Um was geht es im Bundesbrief?

Der Bundesbrief ist von späteren Generationen als Dokument des Freiheitskampfs der drei Waldstätte gegen die Habsburger überhöht worden. Nüchtern betrachtet ist der Bundesbrief aber nicht Ausdruck einer Verschwörung, sondern ein Instrument zur Befriedung der beteiligten Orte. Er richtet sich weniger gegen einen äusseren Feind als gegen die Hauptplage des Mittelalters: das Fehdewesen. Zur Hauptsache untersagt der Bundesbrief deshalb klassische Fehdehandlungen wie Totschlag oder Brandschatzung und nennt die entsprechenden Sanktionen. Von Freiheit, Widerstand oder Gründung ist dagegen nicht die Rede, wie der Historiker Roger Sablonier in seinem neuen Buch «Gründungszeit ohne Eidgenossen» schreibt.

War die Innerschweiz um 1300 von den Habsburgern besetzt?

Herrschaft, so Sablonier, bedeutet in der Zeit um 1300 vor allem klösterliche Herrschaft. Von Bedeutung sind namentlich die Klöster Einsiedeln und Engelberg. Die Habsburger dagegen sind kaum präsent. Ihnen fehlen in der Innerschweiz die Gefolgsleute. Es bleibt deshalb in der Regel bei blossen Herrschaftsansprüchen. Das Zerrbild der rücksichtslosen habsburgischen Expansionspolitik ist erst später entstanden, als die Habsburger nach 1400 tatsächlich zu Rivalen wurden.

Wurde der Bundesbrief mit

dem Rütlischwur bekräftigt?

Die erste Bundesfeier 1891 fand in Brunnen sowie auf dem Rütli statt. Damit wurden der Bundesbrief und die Legende vom Schwur der «drei Eidgenossen» auf dem Rütli von staatlicher Seite aus miteinander verknüpft. Für den Rütlischwur von Walter Fürst aus Uri, Werner Stauffacher von Schwyz und Arnold von Melchtal aus Unterwalden fehlen aber Belege. Der Rütlischwur, über Jahrhunderte Symbol des Schweizer Freiheitswillens, wurde im 16. Jahrhundert willkürlich auf den 8. November 1307 datiert. Das Datum setzte sich in den Köpfen fest. Das 1895 errichtete Telldenkmal in Altdorf verweist im Sockel denn auch auf das Jahr 1307– und nicht auf das Jahr 1291. Der 1. August 1291 setzte sich erst später als Gründungsdatum der Eidgenossenschaft durch.

Was hat die Legende Wilhelm Tells mit dem Bundesbrief zu tun?

Wie der Rütlischwur ist auch die Tellsage Produkt späterer Vorstellungen über die Anfänge der Eidgenossenschaft. Weitere Bausteine dieser Erzähltradition, die sich im späten 15. Jahrhundert verfestigt hat, sind das Feindbild der habsburgischen Vögte sowie Burgenbruch und Volksaufstand. Mit Einführung des 1. August als Nationalfeiertag wurden diese Erzählungen um das Jahr 1291 und den Bundesbrief gruppiert.

Steht der Bundesbrief im Ursprung der Eidgenossenschaft?

Der Bundesbrief von 1291 stellt für die damalige Zeit ein Bündnis unter vielen dar. In ihm sind weder die Ursprünge der Alten Eidgenossenschaft angelegt noch führt vom Bundesbrief eine direkte Verbindung zur Bundesverfassung von 1848. Die lange gepflegte Vorstellung, der Bund der Waldstätte von 1291 sei zielstrebig zum Bündnis der Eidgenossenschaft aufgebaut worden, gilt heute als überholt. Um 1300 gab es noch keine Eidgenossen. Zentral für die Entstehung der Alten Eidgenossenschaft, der Vorform des Bundesstaates von 1848, sind die Bündnisse des 15. Jahrhunderts mit den Protagonisten Bern und Zürich. Den drei Talschaften als vermeintliche «Urschweiz» kam in diesem Prozess bloss eine Nebenrolle zu.

Wann wurde die Schweiz denn nun gegründet?

Die Verfassung der Schweizer Eidgenossenschaft wurde von der Tagsatzung am 12. September 1848 für das ganze Staatsgebiet in Kraft gesetzt. Obwohl im öffentlichen Bewusstsein überhaupt nicht verankert, ist dies die Geburtsstunde des modernen Bundesstaates.

Roger Sablonier, Gründungszeit ohne Eidgenossen. Politik und Gesellschaft in der Innerschweiz um 1300. Verlag hier+jetzt 2008