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Verstorbener CDU-Politiker Wolfgang Schäuble in seinen Memoiren: "Stoiber wollte mich dazu bewegen, Merkel zu stürzen"

Portrait: Wolfgang Schäuble MdB sitzt während eines Interview in seiner Wohnung
Der Politiker privat: Wolfgang Schäuble 2022 bei sich daheim in Offenburg
© Philipp von Ditfurth / Laif
Nächste Woche erscheinen Wolfgang Schäubles Memoiren. Der stern veröffentlicht vorab und exklusiv Passagen über seine Lebensbilanz, seine Haltung zur Flüchtlingspolitik und sein Verhältnis zur ehemaligen Kanzlerin. 

Im Jahre 1972, als er in den Bundestag einzog, wurde Deutschland erstmals Fußballeuropameister, und Willy Brandt war Bundeskanzler. Mehr als 50 Jahre saß Wolfgang Schäuble im Parlament, er führte die Unionsfraktion, war Minister unter Helmut Kohl und Angela Merkel und am Ende seiner Karriere Bundestagspräsident. Die ganz großen Ämter, Kanzler und Bundespräsident, blieben ihm verwehrt – und trotzdem galt Schäuble weit über Deutschland hinaus als politische Instanz. Er war ein gefragter, nicht immer einfacher Gesprächspartner. Sein größter politischer Erfolg und sein größtes persönliches Unglück fielen in den Herbst 1990: Neun Tage nach der Wiedervereinigung, die er mit der letzten DDR-Regierung verhandelt hatte, wurde Schäuble niedergeschossen. Er überlebte, blieb querschnittsgelähmt an den Rollstuhl gefesselt – und Politiker aus Leidenschaft.

Das Attentat

12. Oktober 1990. Wochenlang hat Wolfgang Schäuble den Vertrag über die deutsche Einheit verhandelt, am 3. Oktober in Berlin die Wiedervereinigung gefeiert. Jetzt geht es in den Wahlkampf für die ersten gesamtdeutschen Bundestagswahlen.

Die Anspannung der ungemein anstrengenden Monate zuvor ließ nach den Einheitsfeierlichkeiten zwar nach, nicht aber die Termine. Ich war müde und freute mich aufs Wochenende zu Hause, telefonierte noch mit meiner Frau, während ich vom Flughafen Straßburg die kurze Strecke in meinen Wahlkreis fuhr. Die heiße Phase des Wahlkampfs hatte begonnen, und im Gasthaus der Brauerei Bruder in Oppenau wartete die heimische CDU auf meinen Auftritt.

Die Parteiveranstaltung war ein Heimspiel gewesen, die Euphorie nach der Einheit spürbar, der Zuspruch im Saal entsprechend groß. Umringt von vielen Anhängern bahnte ich mir den Weg zum Ausgang, als sich ein Mann hinter mich drängte und aus nächster Nähe dreimal schoss. In meiner Erinnerung meine ich, die Schüsse wahrgenommen, sogar das Mündungsfeuer gespürt zu haben. Zwei Kugeln trafen mich, eine in die Wange, unterhalb des rechten Ohres, die zweite in den Rücken. Die dritte fing mein Leibwächter Klaus-Dieter Michalsky mit seinem Körper ab, als er sich auf den Schützen warf. Hätte auch sie mich getroffen, ich hätte wohl nicht überlebt.

Schockiert rief meine älteste Tochter noch vom Tatort aus meine Frau an: 'Ich glaube, der Papa ist tot'"

Den unter einer Psychose leidenden Täter kannte ich vorher schon namentlich, er war der Sohn eines Bürgermeisters in meinem Wahlkreis. Jahre zuvor hatte ich mich sogar dafür eingesetzt, ihn aus einem ausländischen Gefängnis nach Deutschland zu verlegen. Ein Zufallsziel bin ich für ihn also nicht gewesen, und doch hätten seine Wahnvorstellungen genauso auf einen anderen gerichtet sein können. Auch deshalb habe ich über den inzwischen verstorbenen Mann selbst nicht viel nachgedacht, hegte auch keine Rachegefühle. Er war krank. So gesehen war das, was an diesem 12. Oktober 1990 mein Leben von Grund auf veränderte, ein Unfall – und ich habe fortan die Folgen der Krankheit eines anderen Menschen zu tragen.

An dem Abend im Gasthaus wurde meine älteste Tochter Christine, die sich im Wahlkampf für die CDU engagierte, Zeugin der Tat. Schockiert rief sie meine Frau noch vom Tatort aus an: "Ich glaube, der Papa ist tot." Die Tage darauf wachte sie gemeinsam mit meiner Frau an meinem Krankenbett, damit jemand bei mir war, wenn ich, ohne zu wissen, was passiert war, aus dem Koma aufwachte.

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