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Interview mit Fler "Für meine Nachbarin bin ich ein Südländer"

Rapper Fler
Seit Freitag (30. Juni) ist Flers neues Album "Epic" zusammen mit Jalil raus
© Katja Kuhl
Wenn es um Rap in Deutschland geht, gehört Fler seit Jahren zu den erfolgreichsten seines Genres. Im stern-Interview spricht der Berliner über Vorurteile, Klassismus des Feuilletons – und warum es ein Xavier Naidoo schwerer hat, seine Meinung zu sagen, als er.  

Nach dem zweiten Freizeichen geht ein Mann mit tiefer Stimme ans Telefon: "Ja, hallo." Es ist der Rapper Fler. Mit dem Anruf hat er nicht gerechnet – wie auch? Es war relativ spontan. Zeit für ein Interview hat er trotzdem. "Ja dikka, ich sitzt gerade auf meiner Couch. Mach einfach."

Der 34-Jährige wirkt entspannt. Kann er auch sein. Seit Freitag ist sein aktuelles Kollaborations-Album "Epic" zusammen mit Jalil raus. Die meisten Interviews, Video-Drehs und Gast-Auftritte hat er also hinter sich.

Fler, Ihre Fehde mit Jan Böhmermann ist beigelegt. Sie haben sich ausgesprochen und sind im Mai sogar in seiner Show im "Neo Magazin Royale" aufgetreten. Wie kam's dazu?

Rooz von "HipHop.de" hat den Kontakt zwischen uns hergestellt. Er ist mit der Redaktion vom "Neo Magazin Royale"-Team schon länger unterwegs und hat uns dann connectet.

Nach Ihrem Auftritt haben Sie tatsächlich gesagt, dass er jetzt sogar Teil Ihrer Gang sei. Das hatte sich in einigen Tweets vor zwei Jahren noch ganz anders angehört.

Also, das grundlegende Problem zwischen uns war nicht, dass er mich veräppelt hat, sondern dass das Ganze aus meiner Sicht nicht auf Augenhöhe stattgefunden hat. Als wir uns dann aber kennengelernt haben, habe ich gemerkt, dass das ein großes Missverständnis war. Er ist halt sehr gestresst durch sein tägliches Geschäft und deswegen arbeitet er Themen einfach sehr schnell ab. Ich habe ihn ein bisschen lauter darauf hingewiesen, dass er es bei mir mit einer anderen Art von Künstler zu tun hat. Das war dann aber auch vom Tisch, als wir uns unterhalten haben.

Anders sieht Ihr Verhältnis zu Bushido aus. Sie kennen sich seit 17 Jahren, haben zusammen eine Lehre als Maler und Lackierer begonnen und gemeinsam Musik gemacht. Trotzdem gibt es zwischen Ihnen immer wieder Streitigkeiten. Für einen Außenstehenden wirkt es immer so, als hätten Sie beide so eine Art on-off-Freundschaft.

Ja, viele glauben, dass es zwischen Bushido und mir immer eine enge Freundschaft und dann wieder eine enge Feindschaft gibt. Aber seit 2009 ist das eigentlich nur eine Geschäftsbeziehung. Die Wahrnehmung der Öffentlichkeit ist da eine ganze andere, und ich kann verstehen, dass das für einige so wirkt. Aber er macht mittlerweile seine Sache und ich meine.

Dennoch gibt es zwischen ihm und mir keine Freundschaft. Leider. Ich würde es mir wünschen. Nur bin ich mittlerweile auch erwachsen genug, um zu wissen, dass daraus nichts wird. 

Allgemein scheint es, was Streitigkeiten angeht, ruhig um Sie geworden zu sein. Sie haben kein Beef mit anderen Rappern mehr. Ob es ein Farid Bang oder ein Manuellsen ist, Sie haben sich ausgesprochen. Hinzu kommt, dass es seit Ihrem letzten Album "Vibe" fast nur positive Reaktionen auf Ihre Musik gibt. Weil Fler in den letzten Monaten erwachsener geworden ist?

Es hat nichts mit erwachsener zu tun. Ich hatte in der Vergangenheit des Öfteren das Gefühl, dass ich von einigen Leuten nicht die nötige Anerkennung bekommen habe. Deswegen habe ich mal auf den Putz gehauen. Mittlerweile haben die Leute einfach gemerkt, dass ich abliefere. Natürlich wird man auch ein bisschen reifer, aber mir hat der nötige Respekt teilweise gefehlt.

Das heißt, Sie waren auf der Suche nach Anerkennung für Ihre Musik?

Was heißt auf der Suche? Es ist einfach Fakt, dass ich abliefere und dass meine Musik und Kunst passt. Nur haben Leute versucht, das klein zu reden. Das verstehe ich nicht. Dann sollen die doch lieber gar nichts sagen. Wenn man sich in der Öffentlichkeit befindet und jeder möchte seine Meinung zu mir oder über mich sagen, dann sollen sich diejenigen aber auch im Klaren sein, dass ich viele Sachen mitbekomme. Und wenn ich dann etwas nicht angemessen finde, äußere ich mich auch dazu. Damit kommen viele einfach nicht klar.

Wenn Sie so auf den Putz hauen, entsteht bisweilen der Eindruck, als spreche Kanye West aus Ihnen. Der ist in Interviews oder auf Twitter auch öfter mal sehr cholerisch.  

Ja, wenn es darum geht, eine Vision zu haben, wo andere wiederum sagen, dass das zu hoch gegriffen sei. Viele Leute können die Leidenschaft dahinter nicht nachvollziehen. Die fragen sich: 'Warum regt der sich so auf?'. Was das angeht, bin ich in diesem Kanye-West-Film. Allerdings habe ich eine bessere Selbstreflektion als er. Ich versuche oft nachzuvollziehen, wo andere Leute mit mir und meiner Art nicht klarkommen. Dennoch wird es bei mir nie vorkommen, dass ich lauter oder ausfallend werde und dann im Nachhinein denke: 'Oh shit, was habe ich da getan?' Was das angeht, bin ich schon sehr kontrolliert – also kontrolliert ausfallend. Bei Kanye West ist das, glaube ich, anders. Der dreht in dem Moment wirklich komplett durch.

Sie sprechen von "Leidenschaft", "Vision" und "Kunst". Das hört sich so an, als sei Rap mehr als "nur" ein Genre. Kann man soweit gehen und sagen, dass Hip-Hop sogar eine Art Religion ist?

Ja, in den USA. In Deutschland ist das leider nicht so.

Warum?

Der Unterschied zwischen Hip-Hop und jeder anderen Musikform ist, dass du nicht nach einem Konzert von der Bühne gehen kannst und auf einmal ein völlig anderer Mensch bist. In jedem anderen Genre geht das aber. Das rechnen dir die Leute sogar an. Nur im Hip-Hop musst du das, worüber du rappst, auch verkörpern. Das steht im völligen Kontrast zu diesem Understatement, was viele in Deutschland toll finden. Uns Rapper interessiert das aber nicht. Wir können auf Welle machen, weil wir uns das erarbeitet haben. Es gab diese Musikrichtung vor uns nicht. Niemand wollte uns. Wir haben uns das selber erarbeitet. Doch Künstler in anderen Genres können sich das nicht rausnehmen. Die müssen immer noch aufpassen, was sie sagen.

Damit meinen Sie wahrscheinlich auch so jemanden wie Xavier Naidoo, der in seinem Song Marionetten etwas anspricht, was nicht unbedingt ins Meinungsbild der breiten Öffentlichkeit passt.

Genau. Wobei Xavier Naidoo natürlich so gut finanziell abgesichert ist, dass er sich so etwas rausnehmen kann. Dennoch hat sein Image durch diesen Song einen Schaden bekommen. Bei mir hätte die Sache anders ausgesehen. Ich kann sagen, was ich will, weil ich mein eignes Genre habe. Da kann niemand kommen und versuchen, mich klein zu machen. Das hat Xavier nicht. Er ist auf die Medien bis zu einem gewissen Punkt angewiesen.

Auf der einen Seite können Sie sich das rausnehmen, auf der anderen Seite kriegt Rap in der breiten Öffentlichkeit nicht die Aufmerksamkeit, die das Genre vielleicht verdient hätte. Stattdessen bekommen Helene Fischer, Andrea Berg und Co. einen Auftritt nach dem anderen im Fernsehen. Woran liegt das?

Es heißt doch, dass jedes Land die Musik bekommt, die es verdient hat. Deutschland hat eben Schlager verdient. Das Gravierende ist doch dabei: Wenn du dich mit der Materie auskennst, weißt du, dass Schlager nicht wirklich sehr anspruchsvoll ist. Das ist ungefähr so, als wenn du sagst, dass McDonalds mehr Umsatz macht als ein Sterne-Restaurant. Stimmt, trotzdem schmeckt es nicht besser.

Liegt das vielleicht auch an einer gewissen Haltung gegenüber Inhalten? Straßenrap ist zum Teil sehr hart, weil es ernste Themen sind. Nehmen die Leute die Kunst hierzulande zu wörtlich?

Nein, das ist es noch nicht einmal. Die meisten Leute im Show-Geschäft in Deutschland sind alles Möchtegern-Intellektuelle. Die sind so etwas von herablassend und arrogant gegenüber der unteren und normalen Schicht. Durch die zeigt sich dieser Klassismus. Das beste Beispiel sind doch Erkan und Stefan. Die bedienen sich an den Klischees über Türken, um sie zu verarschen. Das ist doch nicht lustig. Das sind zwei gebildete Typen. Wie wollen die denn wiedergeben, wie jemand spricht, der von der Straße kommt? Das können die gar nicht. Trotzdem machen sie es. Das zeigt doch, wie herablassend sie sind. Dennoch sitzen Leute vorm Fernseher und lachen sich darüber kaputt, weil sie solche Vorurteile haben, dass sie glauben, genau so ist das.

Warum ist das so?

Das liegt an der alten Generation. Die sind in ihren Ansichten so festgefahren. Alles das, was anders ist, passt nicht in deren Bild. Das hat auch nichts mit Nationalitäten zu tun. Wenn du einen Boxerschnitt hast, tätowiert bist und Jogginghose trägst, aber trotzdem mit einem 200.000-Euro-Wagen fährst, passt du nicht in deren Bild.

Für meine Nachbarin bin ich zum Beispiel ein Südländer, weil ich nicht wie ein Durchschnittsdeutscher rede. Da merkt man mal, wie krass diese Vorurteile sind.

Kann sich das überhaupt ändern? 

Ja, klar. Das ändert sich zum Beispiel dadurch, dass ein Jan Böhmermann mich in seine Sendung holt. Man findet einen gemeinsamen Nenner, der da wäre: Respekt für die jeweilige erbrachte Leistung. Und du siehst es ja an der neuen Generation. Die versteht dieses Lebensgefühl. Die verstehen den Lifestyle Hip-Hop.

Rap wird von vielen jungen Menschen gehört. Deswegen ist die Kritik des Öfteren, dass die Texte zu gewaltverherrlichend, zu homophob oder zu frauenfeindlich seien. Zum Teil sind sie das auch. Kann ein Rapper trotzdem Vorbild sein?

Natürlich. Wenn man meine Musik ändern will, dann ändere doch meine Welt, in der ich lebe. Ganz einfach. Nur weil Leute, die das kritisieren, das Glück haben, in einer Welt ohne Kriminalität und Gewalt aufzuwachsen, heißt es noch lange nicht, dass das für jeden gilt. Das Krasse dabei ist doch, dass das dermaßen herablassend und arrogant ist. Denn die belächeln mit ihrer Kritik die Probleme meiner Welt. Mir hat niemand was geschenkt im Leben. Ich habe mir alles erarbeitet. Wenn das nicht Vorbild genug ist, weiß ich auch nicht.

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