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Gregor Gysi

Nachruf auf Guido Westerwelle "Wir müssen ihm dankbar sein"

Gregor Gysi
Von Gregor Gysi
Politisch hatte er mit Guido Westerwelle kaum etwas gemeinsam - doch Gregor Gysi schätzte den FDP-Politiker sehr. In einem Gastbeitrag würdigt der Linken-Politiker den Verstorbenen - und erinnert an dessen Verdienste.
Guido Westerwelle (l.) und Gregor Gysi (Aufnahme von 2005)

Guido Westerwelle (l.) und Gregor Gysi (Aufnahme von 2005)

Foto: Steffen Kugler/ picture-alliance/ dpa/dpaweb

Guido Westerwelle hat seinen Kampf gegen den Krebs verloren. Er hat ihn tapfer und lange geführt, aber verloren.

Guido Westerwelle wuchs in Bad Honnef auf, und zwar in einer Anwaltsfamilie. Seine Eltern ließen sich scheiden, und er blieb bei seinem Vater. Er hatte einen Bruder und zwei Halbbrüder und musste von Anfang an lernen, sich gegenüber vier Männern durchzusetzen. Natürlich hielt er auch die Beziehung zu seiner Mutter aufrecht. Seit seiner Kindheit kannte er Auseinandersetzungen, gebrochene und funktionierende Beziehungen.

Recht früh wurde er schon politisch geprägt, wobei ihn sein Weg zur FDP führte. Das lag daran, dass er tolerante, libertäre Einstellungen hatte und sie auch benötigte. Er merkte, dass er anders als die anderen liebte, dass er homosexuell war. Es ist nicht selten, dass Homosexuelle nicht nur Toleranz benötigen, sondern sie auch in besonderem Maße ausstrahlen.

Der Liberalismus hat zwei Seiten. Einmal gibt es den Wirtschaftsliberalismus, den ich auch ihm gegenüber immer kritisierte, und zum anderen gibt es den politischen Liberalismus, den ich sehr schätze und den wir in Deutschland besonders hochhalten müssen.

Ein guter Redner, der auch gut zuhören konnte

Guido Westerwelle lernte ich erst im Bundestag kennen und schätzen. Er sprach nicht nur leidenschaftlich und laut und mit Hingabe. Er besaß auch Humor und benahm sich auch meiner Gruppe beziehungsweise Fraktion und mir gegenüber von Anfang an tolerant, wohlwollend, immer gesprächsbereit. Jeder weiß, dass Guido Westerwelle gut reden konnte, kaum jemand weiß, dass er auch gut zuhören konnte.

Er hatte nicht die geringsten Schwierigkeiten, an einem Stadtgespräch teilzunehmen, das ich in Berlin organisierte, oder zu meiner ersten Verabschiedung als Fraktionsvorsitzender im Jahr 2000 zu erscheinen.

Besonders ist mir die Matineé-Veranstaltung im Deutschen Theater in Berlin in Erinnerung. Er berichtete über seine spannende und aufregende Kindheit, seine Schulerlebnisse und weshalb ihn die 68er Lehrer nervten. Sie wollten sich immer nur unterhalten, aber nicht unterrichten. Er meinte, bei ihnen nichts gelernt zu haben.

Außerdem klärte er uns Berlinerinnen und Berliner zu unserem Erstaunen und Entsetzen darüber auf, dass aus einer Sicht in Bad Honnef Berlin so weit weg sei wie Mexiko. Er habe eben jenseits des Rheins gelebt. Selbstverständlich sprach er auch über seinen Werdegang zum Juristen, sein Anwaltsleben, seine politische Entwicklung, seine Sichten, seinen Ehrgeiz, was ihn in seinem Leben fesselte und was nicht.

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Guido Westerwelle: Mal schrill, mal still

Foto: © Hannibal Hanschke / Reuters/ REUTERS

Wie fast jeder Mensch in der Politik kannte er auch Erfolge und Niederlagen. Traumhafte Wahlergebnisse und grottenschlechte Wahlergebnisse. Mit Erfolgen lässt sich leichter umgehen als mit Niederlagen. Er musste beides lernen.

Als er Außenminister wurde, hatte er zunächst Schwierigkeiten und dann doch bestochen. Er entwickelte die Politik der Selbstbeschränkung für Deutschland, sorgte für eine Stimmenthaltung Deutschlands im Uno-Sicherheitsrat beim Libyen-Krieg und verhinderte die Teilnahme unseres Landes an diesem Krieg. Wenn man sich die Ergebnisse dieses Krieges ansieht, weiß man, wie dankbar wir ihm sein müssen. Jede und jeder weiß, auf welcher Seite Guido Westerwelle heute in der Flüchtlingsfrage stünde. Humanismus und Antirassismus waren für ihn ebenso prägend wie der Wunsch, Kriege, Hunger, Tod und andere Fluchtursachen wirksam zu bekämpfen.

Es ist kein Zufall, dass sich jede und jeder an Guido Westerwelle erinnert. Das liegt an seiner Art, die sich bei jeder und jedem einprägte. Bewundert habe ich ihn für seine offene Art, mit seiner Liebe zu Michael Mronz umzugehen. Es war eine traumhaft schöne, solidarische und enge Beziehung bis zum letzten Tag. Das ist nicht so selbstverständlich wie es klingt. Es tut mir weh, dass man einem Menschen wie Michael Mronz in einer solchen Situation nicht wirklich helfen kann. Aber er soll wissen, dass viele an ihn denken.

Mit Guido Westerwelle verlieren wir einen lebensbejahenden, einen optimistischen, einen humorvollen und fröhlichen Politiker, der unserer häufig langweiligen Politik eine andere, eine bunte Farbe gab. Vielen wird er fehlen, mir auf jeden Fall.

Aus dem SPIEGEL-Archiv

"Und dann stirbste" Im November gab Guido Westerwelle dem SPIEGEL ein langes Interview. Mit Klaus Brinkbäumer und Dirk Kurbjuweit sprach er über seinen Kampf gegen die Leukämie, seine Jugend, seine Homosexualität und seine politische Bilanz.