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Promotion bei Medizinern Herr Doktor Schmalspur

Acht von zehn künftigen Ärzten schreiben eine Doktorarbeit, oft neben dem Studium, oft binnen weniger Monate. Was ist so ein Titel eigentlich wert? Jetzt befeuern Vorwürfe gegen einen Schweizer SVP-Politiker und Professor die Debatte: Er soll mehrere Arbeiten durchgewinkt haben.
SVP-Politiker Mörgeli: Was muss ein Mediziner für einen Doktortitel leisten?

SVP-Politiker Mörgeli: Was muss ein Mediziner für einen Doktortitel leisten?

Foto: © Pascal Lauener / Reuters/ REUTERS

Nein, um Plagiate geht es nicht; das vorab. Wenn die Wörter "Politiker" und "Doktorarbeit" im selben Text auftauchen, assoziert man ja mittlerweile sofort Copy-and-Paste, falsche Quellenangaben, Guttenberg, Chatzimarkakis, Koch-Mehrin, Mathiopoulos und all die anderen.

Es geht um jenen Doktor, an den viele Deutsche noch immer denken, wenn sie das Wort "Doktor" hören: um den Mediziner. Es geht um die Frage: Was leistet ein Mediziner eigentlich, wenn er seine Dissertation schreibt? Denn immerhin ist sie akademische Massenware: Acht von zehn Medizinern schließen in Deutschland ihr Studium mit der Promotion ab. Zum Vergleich: In der Erziehungswissenschaft ist es noch nicht mal jeder zehnte Absolvent. Immer wieder bemängeln Kritiker, viele künftigen Ärzte seien Schmalspur-Doktoren, die binnen weniger Monate ein Papier verfassen, das in anderen Fächern kaum für einen Bachelor reichen würde.

Jetzt befeuert ein Schweizer Fall die Debatte. Der rechtskonservative SVP-Politiker Christoph Mörgeli soll als Titularprofessor an der Uni Zürich und Kurator des medizinhistorischen Museums zahlreiche Doktorarbeiten durchgewinkt haben, die lediglich aus der Transkription historischer Texte bestanden. Das Fernsehmagazin "Rundschau" berichtet  von einem Dutzend solcher Arbeiten, in denen so gut wie jede wissenschaftliche Eigenleistung fehle. Mörgeli will einem Bericht der "Neuen Zürcher Zeitung"  zufolge gegen die Vorwürfe vorgehen, sie seien haltlos, so der Politiker.

Andere Wissenschaftler bekräftigen sie allerdings - und sorgen sich um das Ansehen ihres Fachs. Hubert Steinke, Direktor des Instituts für Medizingeschichte in Bern, hat zwei der umstrittenen Arbeiten genauer durchgesehen. Sein Urteil: "Nach unserem Standard ist das nicht ausreichend für eine Dissertation." Schon bei oberflächlicher Betrachtung müsse jedem Prüfer auffallen, wenn es zum Beispiel in einer Doktorarbeit überhaupt keine Fußnoten gibt.

Reicht die Transkription eines Textes für eine Doktorarbeit?

Mörgeli ließ mehrere Anfragen von SPIEGEL ONLINE unbeantwortet. In einem "Rundschau"-Interview räumte er aber ein, dass es in einigen der von ihm betreuten Arbeiten vor allem um die Transkription historischer Texte ins Hochdeutsche gegangen sei. Aus seiner Sicht eine mühevolle, zeitaufwändige wissenschaftliche Leistung, die für eine Dissertation ausreiche.

Auch deutsche Promotionsexperten sehen das anders. Stefan Hornbostel leitet das Institut für Forschungsinformation und Qualitätssicherung (IFQ) in Berlin, er und sein Team haben untersucht, wer in Deutschland promoviert und unter welchen Bedingungen (Studie als pdf ). Eine bloße Transkription reiche für eine Doktorarbeit eindeutig nicht aus, sagt er. "Die Promotion muss einen wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn beinhalten. Mindestens die Entstehungsgeschichte des Textes, die kritische Auseinandersetzung mit dem Inhalt im Kontext der Textgenese sowie die Aufarbeitung der Quellen gehören dazu", so Hornbostel. Auch für die ärztliche Tätigkeit seien solche Promotionen problematisch: Schließlich werde von einem Arzt erwartet, dass er in der Lage ist, sich lebenslang weiterzubilden. Dafür müsse man wenigstens einmal eine "methodisch einwandfreie und inhaltlich anspruchsvolle Forschungsarbeit" erstellt haben.

Mediziner mit Forschungsambitionen müssen immer wieder um ihren Ruf bangen. Denn: Wer in der Medizin ernsthaft promoviert und Jahre in die Forschung steckt, steht am Ende mit demselben Abschluss da wie seine Fachkollegen, die nebenbei ein paar Messungen durchführen und einige Seiten zusammenschreiben. Nur die Note sagt etwas über die Qualität aus - und hier sind die Mediziner tatsächlich strenger als etwa die Geisteswissenschaftler. Sie vergeben deutlich öfter mittelmäßige und schlechte Bewertungen als andere.

Zwischen allen Stühlen, auch das zeigt der Schweizer Fall, sitzen oft die Medizinhistoriker. Sie pochen immer wieder darauf, dass Medizin keine reine Naturwissenschaft ist, sondern sich auch mit Ethik und Geschichte des eigenen Fachs auseinandersetzen muss - und mit entsprechenden wissenschaftlichen Methoden. Manch ein Kliniker zeiht sie deshalb der Zauderei, andere Geschichtswissenschaftler wiederum empfinden die Forschungsarbeiten der Medizinhistoriker als ziemlich dünn. Das Fach kämpft also um sein Ansehen, zumal im vergangenen Jahr ein Skandal in Würzburg für Aufsehen sorgte: Dort soll ein Professor für Medizingeschichte Dissertationen gegen Spendenzahlungen selbst verfasst haben, wie unter anderem "Die Zeit" berichtete .

"Medizinische Dissertationen sind nicht per se schlecht", sagt Heiner Fangerau, Vorsitzender des Fachverbands Medizingeschichte, "es gibt aber eben leider eine Menge zu schneller und zu oberflächlicher Arbeiten". Der Ulmer Professor plädiert deshalb dafür, dass bis zu drei Prüfer eine Arbeit begutachten - am besten nicht nur von der eigenen Uni. Problematisch sei aber auch, gerade an medizinischen Fakultäten geisteswissenschaftliche Standards zu vermitteln.

Die Uni Zürich will die Vorwürfe gegen Mörgeli nun prüfen, sich ansonsten aber nicht äußern. Medizinhistoriker im gesamten deutschsprachigen Raum werden gespannt auf das Ergebnis warten.


Foto: Corbis

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