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Interview mit Zucchero "Der Soundtrack zu meiner Scheidung"

"Senza Una Donna" war vor 25 Jahren ein Welthit, sein Durchbruch. Hier erzählt Zucchero von Musikträumen eines Bauernjungen, von Italo-Blues und Liebeskummer - und wieso er ein Jobangebot als Queen-Sänger ablehnte.
Zucchero

Zucchero

Foto: ullstein bild

Zucchero wurde am 25. September 1955 in Roncocesi (Norditalien) als Adelmo Fornaciari geboren. Der Sänger, Multiinstrumentalist und Songwriter gilt als "Vater des italienischen Blues". Er spielte bereits im Kreml, auf Kuba, beim Woodstock-II-Festival und für Nelson Mandela. Vor 25 Jahren gelang ihm mit "Senza Una Donna" sein größter Hit.


einestages: Ihr größter Erfolg "Senza Una Donna" handelt vom Ende einer Liebe. Ein autobiografischer Song?

Zucchero: Absolut, si! Nach der Trennung von meiner Frau Angela vor gut 25 Jahren habe ich eine wirklich harte Zeit durchgemacht und meine Gefühle, meinen Schmerz in ein Lied gepackt. Es wurde so was wie der Soundtrack zu meiner eigenen Scheidung. Ich war ziemlich down und blieb drei Jahre solo, der Schock saß sehr tief - "without a woman, no more pain and no sorrow...".

einestages: Der Songtext ist größtenteils englisch. Ihre eigene Idee?

Zucchero: Ja. Zuvor hatte ich meist auf Italienisch gesungen. Aber es war ein universelles Thema, und ich wollte überall gehört werden. Die Stimme meines britischen Duettpartners Paul Young passte perfekt, "Senza Una Donna" wurde tatsächlich zu einem Hit weit über Italiens Grenzen hinaus.


Zucchero feat. Paul Young: Senza Una Donna

Universal Music


einestages: Und schon wurden Sie 1992 zum Freddie-Mercury-Tribute-Konzert ins Wembley-Stadion eingeladen...

Zucchero: ...von Brian May, Gitarrist von Queen und mittlerweile ein guter Freund. Eine große Ehre. Ich sang die Queen-Ballade "Las Palabras de Amor" vor über 70.000 Fans. Danach geschah etwas Unfassbares: Brian kam in meine Garderobe, umarmte mich und fragte allen Ernstes, ob ich mir vorstellen könne, der neue Sänger von Queen zu werden.

einestages: Und das Angebot haben Sie ausgeschlagen?

Zucchero: Na klar! Ich bedankte mich für das Kompliment und sagte freundlich: Nein. Ich würde mir nie anmaßen und zutrauen, in die Fußstapfen des einzigartigen Freddie Mercury zu treten. Paul Rodgers, der frühere Sänger von Free und Bad Company, hat den Job dann erst mal übernommen.

einestages: Sie haben schon mit vielen großen Musikern zusammengearbeitet, etwa mit Sting, Mark Knopfler, Iggy Pop, Macy Gray, den verstorbenen Miles Davis und John Lee Hooker. Wie kam es dazu?

Zucchero: Das ergab sich nach und nach. Mit seinen Helden Musik zu machen, ist ein Riesenspaß. Alles begann Anfang der Neunzigerjahre mit Eric Clapton. Beim Sizilien-Urlaub besuchte er ein Konzert, bei dem ich mit Bigband auftrat, gratulierte mir und sagte wortwörtlich: Ich liebe deine Stimme. Ich dachte, ich träume. Clapton lud mich ein, ihn auf seiner Europatour zu begleiten. Ein ganz wichtiger Schritt für mich.

einestages: Auf Ihrem neuen Album "Black Cat" haben Sie mit Bono zusammengearbeitet.

Zucchero: Wir haben den Song "SOS...Streets of Surrender" gemacht, der von den terroristischen Attentaten auf Paris im November 2015 handelt, unter anderem auf den Bataclan Klub. Das hat viele Menschen verängstigt. Aber wir dürfen uns das Leben nicht von Terroristen diktieren lassen. Ich will auf der Bühne stehen und mich frei fühlen, nicht an Terroristen denken. Unser Song soll sagen, dass wir leben wollen und unseren Weg weitergehen werden. Mit Liebe und Stolz. Das ist meine Art von Friedensbotschaft.

einestages: Wie entstand Ihre Verbindung zur Welt der Oper, zu Luciano Pavarotti?

Zucchero: Ich konnte Luciano dazu bewegen, bei meinem Song "Miserere" zu singen. Danach unterstützte ich ihn bei seiner Benefiz-Konzertreihe "Pavarotti & Friends", deren Erlöse Kindern in Kriegs- und Krisengebieten gespendet wurden, etwa in Bosnien, Angola, Guatemala, Tibet und Irak. Eine gute Sache - man sollte etwas zurückgeben, wenn es einem gut geht.

einestages: Sie betonen gern, dass Sie ein einfacher Bauernjunge sind.

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Zucchero: Vom Bauernjungen zum Welt-Musiker

Zucchero: Stimmt ja auch. Ich bin auf einem Hof im Örtchen Roncocesi in der Toskana aufgewachsen, mitten in der Provinz. Meine Kindheit dort war unbeschwert - obwohl wir kaum Geld hatten. Meine Eltern arbeiteten sehr hart. Mit Musik und Kunst hatten sie nichts im Sinn.

einestages: Woher kommt dann Ihr musikalisches Talent?

Zucchero: Das muss ich von meinem Onkel geerbt haben. Er spielte begeistert Blues-Harmonika, bei ihm hörte ich zum ersten Mal den Blues. Und dann wohnte ein afro-amerikanischer Student aus Boston in unserer Nachbarschaft. Er studierte in Bologna Kunst und spielte mir Songs vor, von Wilson Pickett, Aretha Franklin, Ray Charles und Otis Redding: "Respect", "I got a Woman", "Sittin' on the Dock of the Bay" - eine Offenbarung. In Italien war dieser schwarze Sound aus Amerika noch null angesagt, im Radio liefen immer nur Schnulzen, Kitsch. Ich habe mich auf Anhieb verliebt in die Urwüchsigkeit, die Kraft und Emotion des Soul und Rhythm & Blues.

einestages: Wie kamen Sie zu Ihrem Künstlernamen Zucchero, also Zucker?

Zucchero: Den Spitznamen hatte ich schon in der Schule. Eine Lehrerin nannte mich so, sie fand mich wohl süß. Meine Eltern bezeichneten mich oft als "Spicinfrin", so nennt man bei uns rebellische Jungs, die jede Menge Unfug im Sinn haben, aber auch das Herz am rechten Fleck. Zucchero gefiel mir noch besser, also blieb ich dabei. Heute nennen mich selbst meine Frau und meine Kinder so.

einestages: Wann begannen Sie, selbst Musik zu machen?

Zucchero: Mit zehn, elf Jahren ging es los mit Saxofon, dann lernte ich Klavier, Schlagzeug und Gitarre. Mit Freunden gründete ich erste Bands, völlig unprofessionell, aber wir hatten Spaß.

einestages: Und dann entdeckten Sie, dass Sie auch eine Stimme haben?

Zucchero: Totaler Zufall. Unser Sänger erschien nicht zum Konzert unserer Band Le Nuove Luci, er war auch nirgends zu erreichen - und nur ich, der Saxofonist, konnte die Texte auswendig. Also war ich gezwungen, ans Mikro zu treten. Das hat dann überraschend gut geklappt.

einestages: Konnten Sie von der Musik leben?

Zucchero: Anfangs überhaupt nicht, selbst mein erstes Studioalbum war ein Flop. Meist habe ich für eine warme Mahlzeit und Freigetränke gespielt und musste meine Kohle mit Jobs wie Bäcker, Automechaniker, Fahrradkurier verdienen. Unser Bauerndorf wurde mir dann zu klein, ich wollte die Welt kennenlernen und bin 1975 für einige Zeit nach Kalifornien ausgewandert. In San Francisco lernte ich einen Landsmann kennen, Corrado Rustici aus Neapel. Wir hörten dieselbe Musik, freundeten uns an, später hat er viele meiner Alben produziert. Als mir dann der musikalische Durchbruch gelang, waren meine Eltern mächtig stolz auf mich. Ich konnte ihnen zu Lebzeiten noch etwas Gutes tun und ließ von meinen ersten größeren Gagen ihr Haus komplett renovieren.

einestages: Ein erster Triumph war 1989 das Album "Oro, Incenso e Birra" - 20 Wochen auf Platz 1 in Italien.

Zucchero: Ein unfassbarer Erfolg. Der Albumtitel war ein Wortspiel. Bei den Heiligen Drei Königen heißt es ja "Oro, Incenso e Mirra" - Gold, Weihrauch und Myrrhe. Ich habe die Myrrhe durch Bier ersetzt, also Birra statt Mirra. Eine Provokation, besonders im erzkatholischen Italien.

einestages: Wie halten Sie es denn mit Glaube und Religion?

Zucchero: Ich respektiere den Glauben und die Weltreligionen, bin aber Atheist, zurzeit jedenfalls. Allerdings begeistert mich Papst Franziskus, ich mag ihn sehr. Wer weiß, vielleicht ändert sich meine Einstellung noch, und ich finde zurück zur Kirche.

einestages: 2007 waren Sie als erster italienischer Popkünstler in den USA für einen Grammy nominiert. Gewonnen hat ihn bislang nur ein Italiener, Ihr Freund...

Zucchero: ...Ennio Morricone. Ich habe mich sehr für ihn gefreut. Der Grammy für sein Lebenswerk mit 84 ist hochverdient. Allein der Sound für Kultfilme wie "Für eine Handvoll Dollar", "Spiel mir das Lied vom Tod", "Es war einmal in Amerika" oder "Cinema Paradiso" - Ennio ist ein Genie. Wie er arbeitet und die Stücke arrangiert, mit dem Orchester, den Streichern. Ich kriege Gänsehaut. Alle Sounds sind bei ihm organisch, nichts kommt vom Computer. Ich verehre ihn sehr. Seit der Zusammenarbeit für den Song "Libera l'Amore" sind wir Freunde.

einestages: Sehen Sie Morricone oft?

Zucchero: Zuletzt im Frühjahr, nachdem er von der Oscar-Verleihung zurückgekehrt war - mit einem Oscar. Meist fahre ich zu ihm nach Rom. Da kochen wir zusammen römische Spezialitäten wie Pasta Cacio e Pepe, mit Pecorinokäse und frischem schwarzen Pfeffer, dazu machen wir einen guten Wein auf.

einestages: Den Sie von Ihrem privaten Weingut mitbringen?

Zucchero: Das kommt vor. Ich lebe in der nördlichen Toskana und habe Weinberge in der Nähe der alten Mühle, in der ich mit meiner Familie wohne. Wir produzieren unter dem Namen "Spirito diVino" Rotwein, Weißwein und Rosé. Sie sehen, man kriegt den Bauern einfach nicht aus mir raus.

einestages: Aber in erster Linie leben Sie Ihren Musikertraum.

Zucchero: Und wie. Mein größtes Ziel war früher, einmal ein Blues-Album in Amerika aufzunehmen. Das war für mich eine Illusion, ganz weit weg. Heute darf ich mit Produzenten wie Don Was, Brendan O'Brien oder T-Bone Burnett arbeiten, die sagenhafte Künstler wie die Rolling Stones, Neil Young, Bruce Springsteen oder Elton John produzierten. Meine Platten nehme ich in Nashville, Los Angeles und Atlanta auf, ich spiele mit Clapton, mit Bono oder Mark Knopfler und darf sie sogar meine Freunde nennen. Ja, für den Bauernjungen aus der italienischen Provinz ist definitiv ein Traum wahr geworden.