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Die Herren der Ringe: Die Kornkreise von Südengland

Foto: Steve Alexander

Phänomen Kornkreise Eine Frage der Ähre

Kosmisch oder komisch? Außerirdisch oder außergewöhnlich irdisch? In den Achtzigern sorgten im Süden Englands Hunderte mysteriöse Kornkreise für Aufsehen. Experten fanden keine Erklärung, sogar das Militär ermittelte - bis zwei betagte Herren ein spektakuläres Geheimnis lüfteten.

Vermutlich hatte Alkohol eine gewisse Rolle gespielt. In einem gemütlichen Pub namens Percy Hobbs nahe Winchester in Südengland saßen an einem Sommerabend des Jahres 1978 zwei Herren beisammen. Sie redeten und tranken, wie sie es seit mehr als zehn Jahren an fast jedem Freitag taten. Doug Bower und Dave Chorley waren Künstler, ihr Gespräch drehte sich um Malerei, Aquarelle und irgendwann um Ufos. Doug, der ein paar Jahre in Australien gelebt hatte, fiel dazu ein, dass damals die Zeitungen in Queensland von einer seltsamen Erscheinung berichtet hatten: einem Flecken plattgedrückten Schilfs in der Nähe von Tully. Die Farmer sprachen von einem "Ufo-Nest". Doug und Dave lachten über die Geschichte.

Drei Jahre später, im Sommer 1981, berichteten britische Medien über ein mysteriöses Phänomen im Süden Englands: Kornkreise. Stellen, an denen das Getreide kreisrund niedergedrückt war. In den vergangenen Jahrhunderten hatte es so etwas immer mal wieder gegeben, nun aber konnte man in der hügeligen Landschaft eine unerklärliche Häufung beobachten. Die Nachricht verbreitete sich weit über Englands Grenzen hinaus. Tausende Schaulustige reisten an. Farmer, zunächst verärgert über die Zerstörung ihrer Ernte, arrangierten sich mit dem Mysterium und kassierten an ihren Feldern Eintritt. Die seltsamen Flecken, Kreise in unterschiedlichen Größen und Konstellationen, weckten das Interesse diverser selbsternannter Experten, bald aber auch das von Wissenschaftlern und schließlich der britischen Regierung.

Trotz jahrelanger Spekulationen und Deutungsversuche, die von Naturphänomenen bis zum Paranormalen reichten, fand sich keine schlüssige Erklärung. Mit der "Operation Blackbird", begleitet und unterstützt von Beamten des Verteidigungsministeriums und Patrouillen der Streitkräfte, hoffte ein Team um Operationsleiter Colin Andrews, einer Antwort näher zu kommen. Die von BBC und japanischem Fernsehen finanzierte Aktion verfolgte das Ziel, erstmals die Entstehung eines Kornkreises zu filmen. Ausgestattet mit Wärme-, Licht- und Geräuschdetektoren bezogen die Teilnehmer im Juli 1990 Stellung auf einem Hügel in der Nähe von Westbury in der Grafschaft Wiltshire.

Und tatsächlich schien die Operation bereits am zweiten Abend zu gelingen: Die Überwachungseinrichtung erfasste orangefarbene Lichter auf einem nahegelegenen Feld. Andrews eilige Erfolgsmeldung aber machte die Beteiligten zum Gespött. Denn bei Tageslicht fand man nicht nur die Stelle mit dem kreisrund niedergedrückten Getreide, sondern darin auch ein sogenanntes Hexenbrett, wie es Wahrsager benutzen. Unbekannte Spaßvögel hatten es dort hinterlassen, nebst einem Draht, der ihnen als Werkzeug gedient hatte. Das orangefarbene Licht, das die Wärmesensoren registrierten, dürften die erhitzten Körper der eifrigen Schöpfer verursacht haben.

Nach noch einem weiteren Sommer mit Massenaufläufen und mysteriösen Formationen hatten die beiden Freunde Doug und Dave genug von dem Trubel in der Nachbarschaft. Das Spektakel war ihnen unheimlich geworden - und sie wollten dem ein für allemal ein Ende bereiten. Die britische Zeitung "Today" erschien am Montag, den 9. September 1991, mit einer überaus exklusiven Story. Auf dem Titel stand in riesigen Lettern: "Die Männer, die die Welt betrogen", und zu sehen waren die Porträts zweier verschmitzt lächelnder Mittsechziger: Doug Bower und Dave Chorley.

Nicht von dieser Welt

Im Innenteil breitete das Blatt genüsslich aus, wie man die beiden Männer zum Beleg ihrer Behauptung, sie seien die Urheber von mindestens 200 Kornkreisen, um eine Testvorführung bat. Wie man den Kornkreisexperten und Bestsellerautor Patrick Delgado, der die Erscheinungen für "kosmische Hieroglyphen" hielt, zur Begutachtung holte. Und wie der nichtsahnende Delgado schließlich erklärte: "Womit wir es hier zu tun haben, das kann niemand auf der Welt verstehen. Wir sind mit der Tatsache konfrontiert, dass diese Pflanzen in diesem sensationellen Muster von einer Energie niedergelegt wurden, die unerklärlich bleibt und von einem hohen Maß an Intelligenz zeugt. (...) Kein Mensch wäre in der Lage, so etwas zu erschaffen."

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Delgado und "Blackbird"-Chef Andrews waren indes nicht die einzigen Experten, die sich hatten täuschen lassen. Der kanadische Meteorologe Terence Meaden hatte zur Erklärung der Kornkreisbildung eine Vermutung aufgegriffen, über die bereits 100 Jahre zuvor das renommierte Wissenschaftsblatt "Nature" berichtet hatte: nämlich dass Kornkreise von Zyklonen verursacht sein könnten. Meaden nahm an, dass die Luftströme in der Hügellandschaft von Südengland elektrostatische Wirbel erzeugten, die in der Lage waren, solche Kreise zu formen.

Je komplizierter die Kreisformationen wurden, umso ausgefeilter wurden Meadens Erklärungen. Seine Theorie stieß an ihre Grenzen, als Bower und Chorley schließlich noch gerade Linien in ihre Kunstwerke einführten, die ganz sicher nicht natürlichen Ursprungs sein konnten.

Nachts in Devil's Punchbowl

Dabei war alles so einfach. Noch an jenem Abend nach dem Kneipenbesuch im Sommer 1978 hatten sich die beiden Männer einen Spaß machen wollen. Sie holten eine Eisenstange, mit der Bower für gewöhnlich die hintere Tür seines Bilderrahmengeschäfts in Southampton sicherte, schlichen damit die Traktorspur entlang auf ein Feld, drehten sich mit der Stange waagerecht auf Kniehöhe im Kreis und lachten sich dabei halbtot. Sie wiederholten die Aktion mehrere Male. Nicht nur im Sommer 1978, sondern fortan in jedem Sommer - immer mit der Hoffnung, jemand würde davon Notiz nehmen, und es würde irgendwann einmal in der Zeitung stehen. Doch drei Jahre lang passierte nichts.

Umso mehr freuten sich die beiden, als 1981 zum ersten Mal in "Devil's Punchbowl", einem Tal westlich von Hindhead, Getreide angebaut wurde. Sie konnten kaum erwarten, dass die Halme wuchsen - denn das Feld war von der Straße einsehbar. Hier würden ihre Kreise nicht unbemerkt bleiben.

Ihre Methoden hatten die beiden Künstler mittlerweile verfeinert: Ihr Werkzeug bestand aus einer Holzlatte, deren beide Enden mit einem Seil verbunden waren. Das Seil hielten die Männer in der Hand, mit dem rechten Fuß auf dem Brett drückten sie die Pflanzen so Runde für Runde vor sich nieder, möglichst ohne sie zu zerbrechen. Für gerade Strecken hatte sich Bower mit einem Draht einen Ring an der Schirmmütze gebastelt, durch den er ein Objekt in der Ferne anpeilen konnte und so nie die Richtung verlor.

Zur Rede gestellt

Unzählige Sommernächte verbrachten Bower und Chorley auf diese Weise im Feld - ohne je ertappt worden zu sein. Dafür mussten sie um ihr Leben bangen, als Jäger sie offenbar für Wild hielten und auf sie schossen. Ein anderes Mal, so erzählten sie der Zeitung, seien sie einer Polizeistreife verdächtig gewesen. Doch die habe sich mit der Erklärung zufrieden gegeben, die beiden Männer würden Vogelstimmen erforschen.

Nur seiner Frau hatte Bower auf Dauer nichts vormachen können. Ihr war aufgefallen, dass ihr Mann des Öfteren nachts nicht nach Hause kam - im sechsten Jahr schöpfte sie Verdacht und stellte ihn zur Rede. Wie sie es in einem Spielfilm gesehen hatte, hatte sie den Kilometerstand des Wagens überprüft und dabei festgestellt, dass ihr Mann innerhalb einer Woche 400 Meilen gefahren war. Den Verdacht, es gäbe eine andere Frau, meinte Doug rasch entkräften zu können, indem er Ilene die Skizzen ihrer nächtlichen Schöpfungen vorlegte. Allerdings glaubte sie ihm anfangs nicht und verlangte zum Beweis eine präzise Vorhersage über die nächste Erscheinung.

Das Glaubwürdigkeitsproblem sollte den beiden Männern noch öfter begegnen. Denn nachdem die vermeintlichen Experten Delgado und Andrews auf so entlarvende Weise von der "Today" bloßgestellt worden waren, hatten sie zwei Tage später ihre Meinung geändert. Gegenüber Journalisten behaupteten sie nun, bei dem Kreis von Bower und Chorley handle es sich zweifelsohne um keinen "echten" Kornkreis, da die Halme erkennbar gebrochen, nicht gebogen seien. Das allerdings konnte kaum wirklich überraschen, waren doch nach der sensationellen Enthüllung dutzende Reporterteams aus aller Welt über das fragliche Zeichen im Kornfeld getrampelt.

Werke höherer Intelligenz

Eines indes hatten die beiden schelmischen Senioren mitnichten erreicht: dass der Hype damit endlich vorüber war. Meteorologe Maeden glaubte weiter an seine Wirbeltheorie und daran, dass Kornkreise auf natürlichem Wege entstehen. Und bei der "Today" meldeten sich immer neue Leute, die eigene Erklärungen entwickelt hatten, ihre Urheberschaft reklamierten oder Außerirdische gesehen haben wollten.

Die Nachricht vom südenglische Phänomen hatte die Zahl der weltweit gemeldeten Kornkreis-Sichtungen rasant ansteigen lassen, und ihre Erschaffung entwickelte sich zu einer wahren Kunstform mit immer komplizierteren Figuren aus Kreisen, Linien und Vielecken, für die weit mehr als nur ein paar Bretter und Seile nötig waren. Einige der Künstler orientieren sich mittlerweise mittels Laser oder GPS-Geräten. Die Halme selbst, so schrieb der Physiker Richard Taylor von der University of Oregon, könnten mit sogenannten Magnetronen mittels Mikrowellenstrahlung umgelegt werden.

Doug Bower und Dave Chorley indes gelten in Kornkreismacherkreisen als die Begründer dieser neuen Kunstform, ihre selbstauferlegten Regeln als ungeschriebene Gesetze. Dazu gehört, dass das Getreide nur gebogen, nicht gebrochen werden darf. Die Piktogramme müssen während der Nacht entstehen und ihre Erschaffer das Feld verlassen, ohne menschliche Spuren zu hinterlassen.

Und auch, wenn die Mitwirkung von Flugobjekten, unbekannten oder auch bekannten, bei der Entstehung von Kornkreisen nicht nachgewiesen werden konnte: Ihre faszinierende Schönheit lässt sich nur aus der Perspektive des Überirdischen - von einem Ballon, einem Flugzeug oder einem Hubschrauber aus - wirklich erfassen.