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Charlie Chaplin: Tramp und Diktator

Foto: Roy Export Company Establishment

Hitler-Parodie "Der Große Diktator" "Demokratie? Schtonk!"

Für diesen Film legte Charlie Chaplin sich mit Nazis und konservativen Amerikanern zugleich an: In "Der große Diktator" persiflierte er 1940 Adolf Hitler und appellierte an die Nächstenliebe. Ein Bildband zeigt nun bisher unveröffentlichte Bilder des Stars.

Klein und verloren sitzt er da, zwischen all den Männern mit den akkuraten Kragen und den kalten Augen. Er selbst wirkt, als sei ihm seine Uniform viel zu groß. Die Armbinde mit den Kreuzen - eine Kette, die ihn hier festhält. "Ich kann nicht", flüstert er unter seinem Schnauzbart hervor. "Sie müssen, es ist unsere einzige Hoffnung", befiehlt ihm sein Nebenmann. "Hoffnung?", fragt der kleine Mann. Seine Stimme bebt. Der Blick gleitet über die Menschenmassen vor ihm. Langsam erhebt er sich, geht an die Mikrofone vor den Flaggen seines Regimes. Ein Mann in Schwarz hebt die Hand zum Führergruß, doch der kleine Diktator verneigt sich nur höflich, bevor er sich an sein Publikum wendet.

"Es tut mir leid", sagt er mit sanfter Stimme. "Aber ich möchte nun mal kein Herrscher der Welt sein, denn das liegt mir nicht. Ich möchte weder herrschen noch irgendwen erobern, sondern jedem Menschen helfen, wo immer ich kann. Den Juden, den Heiden, den Farbigen, den Weißen. Jeder Mensch sollte dem anderen helfen, nur so verbessern wir die Welt."

Beinahe vier Minuten dauert die Ansprache. Erst zaghaft, dann immer lauter. Der Diktator, der bis zu diesem Tag nichts als Hass in seine Mikrofone gespien hat, er appelliert an die Nächstenliebe - und wandelt sich zum Humanisten. Es ist 1940, gerade mal ein Jahr ist vergangen, seit die deutsche Armee in Polen einmarschiert ist und die Nationalsozialisten der freien Welt den Krieg erklärt haben. Doch die Bühne, von der ihr Machthaber diese Worte an sein Volk ruft, steht nicht in Nürnberg, sondern in einem Studio in Hollywood. Und der kleine Mann ist nicht Adolf Hitler. Sein Name ist Charles Chaplin.

Der Doppelgänger

Bereits 1931 hatte der Megastar bei einem Besuch in Berlin Bekanntschaft mit der Ideologie der Nazis gemacht. Außerhalb des Hotels Adlon demonstrierte eine Menge gegen den "jüdischen Komiker", Goebbels Zeitung "Der Angriff" hetzte gegen den angeblichen Verführer. Zwei Jahre später erschien das Buch "Juden sehen Dich an", mit einem Porträt Chaplins und der Unterschrift "Dieser widerwärtige kleine Zappeljude".

Doch Chaplin ließ sich nicht von der Propaganda irritieren. Obwohl er keine jüdischen Wurzeln hatte, weigerte er sich, die Behauptung zu korrigieren, um den Antisemiten nicht in die Hände zu spielen. "Chaplin hatte ein sehr einfaches politisches Gespür", sagt Paul Duncan, der in seinem jetzt erschienenen Buch "The Charlie Chaplin Archives" (Taschen-Verlag) die Geschichte des Komikers zusammengetragen hat. "Entweder war etwas für oder gegen die Menschen." Nachdem 1936 "Moderne Zeiten" erschienen war, in dem Chaplin mit Industrialisierung und Kapitalismus abrechnete, war der Humorist auf der Suche nach dem Stoff für einen neuen Film. Er fand ihn in den immer schrilleren Tönen des Regimes aus Deutschland.

Über die Jahre hatten Zeitungen wiederholt von der äußerlichen Ähnlichkeit zwischen dem Briten Chaplin und dem Österreicher Adolf Hitler berichtet. Nur vier Tage nacheinander waren die beiden Männer mit dem markanten Oberlippenbart geboren worden. Chaplin beschloss, seinen finsteren Doppelgänger zu parodieren - und begann eine Verwechslungsgeschichte zu schreiben.

Worte für das Grauen

Auf einer Party begegnete er dem Schriftsteller und überzeugten Marxisten Dan James. Gemeinsam begannen die beiden 1938 mit der Arbeit an dem neuen Film. Eine große Herausforderung, denn ausgerechnet die humoristische Kampfansage an Hitler sollte Chaplins erster Dialogfilm werden. Zwar hatte es schon in "Moderne Zeiten" einige gesprochene Worte gegeben, sein Alter Ego, der Tramp, war aber immer stumm geblieben.

Entgegen früheren Arbeiten, die oftmals am Set improvisiert wurden, schrieben Chaplin und James akribisch am Drehbuch, das bald auf 300 Seiten schwoll. In ihrer Geschichte rettet ein jüdischer Friseur im 1. Weltkrieg einem Piloten aus "Tomanien" das Leben, verliert aber sein Gedächtnis. 20 Jahre später herrscht in dem fiktiven Staat der Diktator Anton Hynkel, der dem jüdischen Friseur zum Verwechseln ähnlich sieht, und die Welt an sich reißen will - bis Despot und Unterdrückter durch einen Zufall die Rollen tauschen.

"Da Hitler denselben Schnäuzer wie der Tramp hatte, konnte ich beide Charaktere spielen", schrieb Chaplin in seiner Biografie. Noch besser, so umging er auch die Schwierigkeiten, das erste Mal mit Sprache zu arbeiten: "Als Hitler konnte ich die Massen großtuerisch in ihrem Jargon bearbeiten und so viel sprechen, wie ich wollte. Und als Tramp konnte ich mehr oder weniger stumm bleiben."

Marxismus und Sauerkraut

"Niemand in Hollywood wollte etwas mit dem Krieg zu tun haben", sagt Chaplin-Forscher Paul Duncan. Dementsprechend rief das Projekt großen Widerstand hervor. Konservative Kreise in den USA sympathisierten mit Hitlers Politik, Nazis propagierten in Großstädten auf offener Straße den Antisemitismus. Selbst seine Geschäftspartner warnten Chaplin, dass der Film ein Reinfall werden würde. Doch der ließ sich nicht irritieren und bemerkte später: "Ich war fest entschlossen, den Film zu machen, denn über Hitler musste gelacht werden." Nachdem Chaplin aber von Präsident Roosevelt persönlich Rückendeckung für das Projekt bekam, schritten die Arbeiten voran. Acht Tage, nachdem Hitler in Polen eingefallen war, starteten die Dreharbeiten. Und Chaplins Film war aktueller denn je.

"Lieberwotz Sauerkraut Heinz Wiener Schnitzel", brüllt Anton Hynkel ins Mikrofon und die Menge vor ihm bebt. "Hauser, grauser, mauser, fauser! Schultz!" Die Uniformierten heben begeistert die Hand zum Hynkel-Gruß. "Demokratie? Schtonk!" Für seine Rolle hatte Charlie Chaplin stundenlang Filmaufnahmen Hitlers studiert. Er verschlang jede Wochenschau, die er in die Hände bekommen konnte - und zerhackte im Anschluss die Sprache des Diktators, bis nur noch leere Worthülsen und Hass übrig blieben.

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Seine beiden Rollen trennte der Schauspieler strikt. Zuerst drehte er die Szenen als jüdischer Friseur, bevor er in die Uniform des Hitler-Verschnitts wechselte. Schnell wurde auch seinem Umfeld klar, wie sehr sich Chaplin dabei in der zweiten Hälfte der Dreharbeiten veränderte. Sein Co-Star Reginald Gardiner bemerkte, wie kühl und schroff sich Chaplin auch abseits der Kamera gab, als er sich zum ersten Mal kostümierte. Und selbst dem Star wurde es unangenehm, wie sehr ihn die Rolle vereinnahmte. Nachdem er einen Fahrer am Set angeschnauzt hatte, musste er lachen und stellte fest: "Nur weil ich in so einem blöden Ding stecke, mache ich so was Albernes".

Weg mit dem Schnauzer

Dem Film, der zwischen brillanter Satire und Slapstick changiert, wollte Chaplin am Ende eine spezielle Pointe aufsetzen: Die Rede für ein friedliches Miteinander des Friseurs, den alle für den großen Diktator halten. Seinen Co-Autoren Bob Meltzer und Dan James war diese persönliche Note Chaplins viel zu pathetisch. Chaplin verbannte sie vom Set.

Noch nachdem der Komiker sein Werk vollendet hatte, musste er es weiter verteidigen. Zur Premiere in New York engagierte Chaplin einen Trupp Hafenarbeiter, um das Publikum und sich vor Nazi-Schlägern zu schützen. Die Drohbriefe häuften sich, und die New Yorker Zeitung "Daily News" warf Chaplin kommunistische Umtriebe vor.

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Die Kinogänger hingegen bestätigten den Komiker. Eigentlich hätte sich Chaplin auf diesem Erfolg ausruhen können, doch die Realität überholte seinen Film. "Hätte ich von dem Grauen in den deutschen Konzentrationslagern gewusst, ich hätte 'Der große Diktator' nicht machen können", erklärte er nach dem Ende des Krieges.

Nachdem das Vorbild seines Anton Hynkel von der Weltbühne verschwunden war, trennte sich Chaplin schweren Herzens auch von der Figur des Tramps. In der Welt des Tonfilms war kein Platz mehr für den tollpatschigen Pantomimen. Mit seiner großen Rede für die Menschlichkeit hatte er anscheinend alles gesagt, was Chaplin auf dem Herzen hatte.

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