Am Strand faulenzen, in den Alpen wandern oder einfach nur Balkonien – ganz gleich, wie Urlaub oder Freizeit konkret aussehen, eins verspricht sich wohl jeder davon: Sich einmal wieder richtig zu erholen und den Arbeitsstress zu vergessen. Bei nicht wenigen Bundesbürgern tritt jedoch das Gegenteil ein.
Fast jeder Fünfte betroffen
Rund ein Fünftel (22 Prozent) der deutschen Bevölkerung ist von Leisure Sickness betroffen, der sogenannten Freizeitkrankheit. Wer darunter leidet, fühlt sich unwohl, sobald der Stresslevel abfällt. Das äußert sich durch vielfältige körperliche Symptome: Die Nase läuft, der Kopf pocht oder der Magen spielt verrückt. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Meinungsforschungsinstituts YouGov, die 2017 im Auftrag der Internationalen Hochschule Bad Honnef (IUBH) durchgeführt wurde. Dabei hat die IUBH zusammen mit der Universität für Gesundheitswissenschaften, Medizinische Informatik und Technik (UMIT) nach potenziellen Faktoren geforscht, die die Krankheit begünstigen – und bereits einige bemerkenswerte Zusammenhänge aufgedeckt. Doch noch ist das Forscherteam um Prof. Claudia Möller damit befasst, die vielen Daten auszuwerten.
Leisure-Sickness — Krankheit noch nicht klar definiert
Ganz so einfach ist die Thematik allerdings nicht, denn ähnlich wie beim Burnout ist die Leisure Sickness aus wissenschaftlicher Perspektive noch nicht klar definiert. Die Krankheit lässt sich nach Einschätzung der Expertin bislang so erklären, dass Betroffenen der Übergang von arbeitsbedingtem Stress in einen Zustand der Entspannung nicht reibungslos gelingt. „Möglicherweise fordert der Körper mit zum Beispiel einer Erkältung die Ruhephasen ein, die er angesichts der Arbeitsbelastung benötigt“, vermutet Claudia Möller. „So kann man es dann besser vor sich selbst rechtfertigen, auf der Couch zu bleiben und sich zu erholen.“ Die Wissenschaftler halten demnach eine psychologische Komponente für denkbar, die bislang allerdings nicht messbar ist.
Einige Experten beschreiben auch eine medizinische Komponente, die mit dem Absinken der Stresshormone im Blut und dem Immunsystem zusammenhängt. Nach dieser Theorie könnte es durch eine zeitliche Verschiebung dieser beiden Faktoren ein Zeitfenster geben, in dem man sich zum Beispiel besonders leicht einen Infekt einfangen kann. Dies wäre womöglich eindeutiger messbar als die psychologische Komponente, aber auch hierzu ist die Faktenlage noch vage.
Freizeitverhalten: fünf Typen
Nach Einschätzung von Claudia Möller könnte die „Freizeitkrankheit“ vom Ausmaß der Belastung, der Persönlichkeit und den Umständen abhängen. „Die grundlegende Frage ist: Kommt es noch zu einem Übergang in einen ‚Freizeitmodus‘, und inwieweit sind Dinge, die uns dabei helfen, noch verfügbar?“ Einigen etwa helfe es, Freunde zu treffen oder mit ihrer Mannschaft zu trainieren. Wiederum andere könnten besser allein abschalten, etwa beim Joggen oder bei einem Waldspaziergang. Als potenziellen Schlüssel für die Anfälligkeit für die Leisure Sickness (LS) hat das Forscherteam der IUBH das Freizeitverhalten der Menschen näher untersucht. Dabei haben sich die folgenden fünf Typen herauskristallisiert:
- Der ausbalancierte Typ hat in der Freizeit wenig Bezug zur Arbeit. Trotz vieler Pflichten kann er sich einen vergleichsweise guten Ausgleich dazu schaffen. Diese Menschen sind von LS nur wenig betroffen.
- Der inaktive Typ verbringt seine Freizeit oft ungeplant und hat darin wenig Bezug zur Arbeit. Er nimmt sich kaum etwas vor, hat eher weniger soziale Kontakte und Verpflichtungen. Er ist von LS mit am meisten betroffen.
- Beim verplanten Typ bezieht sich auch in der Freizeit vieles auf die Arbeit (zum Beispiel Treffen mit Kollegen). Er hat viele soziale Verpflichtungen und verbringt seine Freizeit vor allem in Gesellschaft. In dieser Gruppe ist die Anfälligkeit für LS gering.
- Der Einzelgänger hat sehr wenige soziale Kontakte und Verpflichtungen und kaum verplante Freizeit. Die Anfälligkeit dieser Menschen für LS ist mittelmäßig hoch.
- Das Arbeitstier hat auch in der Freizeit einen sehr hohen Arbeitsbezug oder ist von der Arbeit zu erschöpft, um viel zu unternehmen. Auch Pflichten stehen bei diesem Typ in der Freizeit meist im Vordergrund, Sport und soziale Kontakte spielen eine geringere Rolle. Zusammen mit den Inaktiven haben die Arbeitstiere am häufigsten mit LS zu tun.
Home Office und Corona-Krise
Der YouGov-Studie zufolge neigen diejenigen, die besonders häufig unter Leisure Sickness leiden, eher dazu, während ihrer Freizeit beruflich erreichbar zu sein – sei es per E‑Mail oder telefonisch. Vom Job abzuschalten, scheint für sie schwierig. Im Homeoffice verschwimmen diese Grenzen umso mehr. „Personen, die verstärkt von Leisure Sickness betroffen sind, neigen eher dazu, unbezahlte Überstunden in Kauf zu nehmen. Das Homeoffice dürfte viele dazu verleiten, sich zum Beispiel abends noch einmal an den Schreibtisch zu setzen, wenn die Kinder endlich schlafen.“ Umso wichtiger sei es für diese Menschen, bewusst Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit zu setzen und mit dem Arbeitgeber zu sprechen, wenn sich die Situation nicht mehr bewältigen lasse.
Auch die aktuelle Corona-Krise wirke sich vermutlich unterschiedlich auf die verschiedenen Freizeittypen aus. „Wer zum Beispiel vorher schon soziale Kontakte brauchte um abzuschalten, hat jetzt ein weitaus größeres Problem als die Einzelgänger“, erläutert die Professorin. „Erstere müssen angesichts der krisenbedingten Einschränkungen nun andere Bewältigungsstrategien finden.“
Wenn das „Runterkommen“ entfällt
Für Menschen, die das Phänomen „Leisure Sickness“ schon vor der Krise aus persönlicher Erfahrung kannten, sieht die Expertin zwei mögliche Entwicklungen. „Wer ohnehin an Leisure Sickness leidet, könnte im Homeoffice noch mehr Probleme bekommen, da etablierte Bewältigungsstrategien zurzeit stark eingeschränkt sind. Oder diese Menschen bleiben aktuell von der Leisure Sickness verschont, weil Arbeit und Freizeit ohnehin nicht mehr getrennt werden können.“ Der Übergang vom Arbeits- in den Freizeitmodus entfiele demnach ganz. „Wenn aber der Stresspegel bleibt und ein Abschalten gar nicht mehr gelingt, leidet oft die Lebensqualität und es sind langfristige gesundheitliche Auswirkungen denkbar“, resümiert Claudia Möller. Mit anderen Worten: Wer gar nicht mehr in eine Erholungsphase hineinkommt, hat zwar kein Problem mit der Leisure Sickness – aber dafür sicherlich ein anderes: Die Folge könnte zum Beispiel ein Burnout sein.
So beugen Sie Leisure Sickness vor
Das Forscherteam der IUBH hat einige Tipps zusammengestellt, wie sich die Freizeitkrankheit vermeiden lässt (Quelle: UIBH Tourismus-Radar 2017):
- Nicht zu viel vom Urlaub erwarten: Wer zu hohe Ansprüche an den eigenen Urlaub hat, neigt dazu, sich zu stressen und kann nur schwer entspannen. Tipp: Lieber
weniger Aktivitäten buchen und sich spontan von Tag zu Tag entscheiden, wie die Freizeit gestaltet werden soll. - Das Smartphone ausschalten: Die ständige Erreichbarkeit kann belastend sein,
etwa das Checken von beruflichen E‑Mails im Urlaub. Tipp: Lieber mal das Smartphone, den Laptop und andere Medien ausschalten und sich bewusst machen, dass man nicht immer erreichbar sein muss. - Urlaub auf Balkonien genießen: Auch ein Urlaub zuhause kann spannend sein und Entspannung bieten. Tipp: Sich selbst nicht unter Druck setzen, wenn die Planung mal nicht so klappen sollte, wie ursprünglich gedacht – sei es wegen Pandemie-Maßnahmen oder wegen eines finanziellen Engpasses.
- Auch im Urlaub mal Pause machen: Vor allem am Tag der Anreise ist von Erholung oft noch nichts zu spüren, weil sich zum Beispiel Erschöpfung nach einem Flug oder der Autofahrt breitmacht. Tipp: Sich an diesem Tag die Zeit nehmen, um am Urlaubsort anzukommen und es sich erlauben, früh schlafen zu gehen. Umso erholter beginnt der nächste Tag!
- Sich nicht vor dem Urlaub auspowern: Berufstätige (besonders Selbstständige) neigen dazu, vor dem Urlaubsbeginn noch so viele Aufträge und Arbeiten wie möglich zu erledigen – und verausgaben sich dabei teils völlig. Tipp: Keine Angst vor dem Unerledigten haben und zufrieden mit dem, was noch getan werden konnte, in den Urlaub starten.
- Sich der eigenen Leistungen bewusst sein: Es hilft, sich einmal selbst auf die Schulter zu klopfen und sich auch bewusst zu machen, dass jeder einmal eine Auszeit verdient hat. Tipp: Trotz des täglichen Verantwortungsbewusstseins und der täglichen Pflichten lernen, sich Zeit für sich selbst zu nehmen und einfach mal zur Ruhe zu kommen.