Die Limmat soll aus ihrem Korsett befreit werden – für die Lancierung eines grossen Renaturierungsprojekts reist der Baudirektor auf dem Wasserweg an

Zwischen der Zürcher Stadtgrenze und Schlieren bietet die Limmat ein monotones Bild. Nun soll der Fluss wieder mehr Raum erhalten und auch für Erholungsuchende attraktiver werden.

Dorothee Vögeli
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Visualisierung der Situation beim Kloster Fahr nach der geplanten Renaturierung des Limmatraums.

Visualisierung der Situation beim Kloster Fahr nach der geplanten Renaturierung des Limmatraums.

Nightnurse Images AG

Wer von der Zürcher Stadtgrenze entlang der Limmat in Richtung Kloster Fahr spaziert, hört nicht den Fluss, sondern die Autobahn rauschen. Auch optisch deutet nichts darauf hin, dass sich hier einst ein vielarmiges Gewässer durch eine Sumpflandschaft einen Weg bahnte. Doch die Naturidylle hatte bedrohliche Seiten: Wiederkehrende Hochwasser versetzten die Bevölkerung in Angst und Schrecken.

Um die Dörfer vor Überschwemmungen zu schützen und Kulturland zu gewinnen, wurde der Fluss vor über hundert Jahren kanalisiert und begradigt. Die Limmatkorrektion war eine ingenieurtechnische Meisterleistung des ausgehenden 19. Jahrhunderts. In der Folge trat der Fluss nur noch selten über die Ufer. Aber die Vielfalt an Tieren und Pflanzen verschwand. Und vor ganz grossen Hochwassern sind die Menschen im mittlerweile dicht besiedelten Limmattal auch heute nicht sicher.

Die Limmatkorrektion war eine ingenieurtechnische Meisterleistung des ausgehenden 19. Jahrhunderts.

Die Limmatkorrektion war eine ingenieurtechnische Meisterleistung des ausgehenden 19. Jahrhunderts.

Fotoarchiv Kantonale Denkmalpflege Zürich

Nun soll die Limmat auf einer Länge von 3,2 Kilometern aus ihrem Korsett befreit werden und einen Teil des Raums zurückerhalten, den sie vor der Begradigung hatte. Zwischen der Autobahnbrücke an der Stadtgrenze von Zürich und der Brücke Überlandstrasse vor Dietikon ist ein ambitioniertes Renaturierungs- und Hochwasserschutzprojekt vorgesehen.

Am Freitag lud die Baudirektion die Vertreterinnen und Vertreter der Standortgemeinden Schlieren, Oberengstringen und Unterengstringen sowie des Klosters Fahr zur feierlichen Projektlancierung ein. Erwartungsvoll versammelte sich die Gästeschar am Limmatufer beim Kloster Fahr. Angekündigt war auch Regierungsrat Martin Neukom. Doch vom obersten Schirmherr des Vorhabens fehlte zunächst jede Spur.

Schliesslich tauchte in der Ferne ein Weidling auf. Der von zwei Stehruderern flankierte Passagier entpuppte sich beim Näherkommen als Zürcher Baudirektor. Er habe sich für den Wasserweg entschieden, weil derzeit Energiesparen angesagt sei, sagte der grüne Amtsträger mit einem Augenzwinkern.

Urbanes Pendant zu den Thurauen

Neukom bezeichnete das Renaturierungsprojekt als grosses urbanes Pendant zu den Thurauen im Weinland. Und er hielt fest: «Es war richtig, die Flüsse und Bäche zu begradigen und zu befestigen.» Den damaligen Verantwortlichen sei zu wenig bewusst gewesen, dass der Landgewinn und der Hochwasserschutz die Natur schädigten. Heute hingegen sei klar, dass es für eine Vielfalt von Tieren und Pflanzen vielfältige Lebensräume brauche.

Auf einer Länge von über drei Kilometern soll eine Flusslandschaft entstehen, in der sich wieder eine Vielfalt von Tieren und Pflanzen ansiedelt.

Auf einer Länge von über drei Kilometern soll eine Flusslandschaft entstehen, in der sich wieder eine Vielfalt von Tieren und Pflanzen ansiedelt.

PD

Damit wieder eine artenreiche Flusslandschaft entsteht, soll sich die Limmat auf insgesamt 20 Hektaren zusätzlichem Land ausbreiten können. Es befindet sich weitgehend in öffentlichem Besitz. Betroffen ist ein einziger Privateigentümer, ein Landwirt, der Realersatz erhalten soll. Zum Herzstück des Projekts gehört das Gebiet Betschenrohr. Es besteht aus einem Erdbeerfeld und einem Familiengarten-Areal. Letzteres soll verkleinert und transformiert werden. Die Stadt Schlieren werde zusammen mit den Betroffenen Lösungen erarbeiten, sagte der Stadtingenieur Hans-Ueli Hohl.

Um den Prozess der Renaturierung zu initiieren, sollen Nebenrinnen ausgehoben werden. Der Gesamtprojektleiter Markus Federer sagte: «Dann wird der Baumeister Limmat die Flussumlagerung selber übernehmen.» Jedes Hochwasser bringe neues Geschiebe und Schwemmholz und verändere damit die Landschaft. Die Ausweitung des Flussraums bietet zudem Schutz vor Extremereignissen. Denn innerhalb neuer Schutzdämme haben die Wassermassen mehr Platz.

Laut dem Baudirektor Martin Neukom ist wegen der Klimaerwärmung mit mehr Extremereignissen zu rechnen. In den künftig ebenfalls häufigeren Hitze- und Trockenheitsperioden werde der renaturierte Limmatraum auch für die Bevölkerung eine kühlende Oase. Beim Gaswerk und beim Kloster Fahr sind Sitzstufen am Fluss vorgesehen. Man soll baden dürfen und den Naturraum ohne Zäune geniessen können.

Sich auf Gummibooten flussabwärts treiben zu lassen, soll weiterhin möglich sein, aber geordnet ablaufen. Der Gesamtprojektleiter Federer vermutet, dass das Anlanden an den neuen Kiesinseln ohnehin nicht attraktiv sein wird. Wegen der wuchernden Vegetation sei der Ausstieg wohl nicht so einfach, sagte er. Einzelne Zonen zwischen der Zürcher Stadtgrenze und Schlieren werden für die Bevölkerung nicht zugänglich sein. Vorgesehen sind aber Mischzonen für Mensch und Natur sowie «Naturfenster», die Einblicke in die Flusslandschaft geben.

Bauarbeiten beginnen frühstens 2027

In einem breit angelegten Prozess hat die Baudirektion vor drei Jahren mit Variantenstudien begonnen. Sie bezog die Standortgemeinden mit ein. Eine Begleitgruppe mit NGO und Interessengruppen wurde gebildet, Gespräche mit Direktbetroffenen wurden geführt. Nächstes Jahr wird das konkrete Bauprojekt erarbeitet. Dann folgt die öffentliche Auflage. Die Umsetzung des Revitalisierungsprojekts beginnt frühestens 2027. Gemäss neustem Stand belaufen sich die Kosten für Planung und Umsetzung auf rund 70 Millionen Franken. Finanziert wird das Projekt «Lebendige Limmat» grösstenteils durch Bund und Kanton.

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