Die Grüne Katharina Prelicz-Huber freut sich am Sonntagnachmittag in Zürich über das Zwischenresultat der Nationalrats- und Ständeratswahlen, das ihre Wiederwahl in den Nationalrat prophezeit. (Bild: Ennio Leanza / Keystone)

Die Grüne Katharina Prelicz-Huber freut sich am Sonntagnachmittag in Zürich über das Zwischenresultat der Nationalrats- und Ständeratswahlen, das ihre Wiederwahl in den Nationalrat prophezeit. (Bild: Ennio Leanza / Keystone)

Zwei Abgewählte, die es nochmals wissen wollten: Mörgelis Tragödie, Preliczs Triumph

Zwei politische Urgesteine setzten am Wahlsonntag in Zürich zu einem Comeback an. Christoph Mörgeli wird von der SVP-Wählerschaft abgestraft, nicht aber von der Parteispitze. Katharina Prelicz-Huber könnte die Mutter der grünen Überfliegerinnen sein und sitzt bald wieder im Zug nach Bern.

Rebekka Haefeli und Lena Schenkel
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Im SVP-Lager im Restaurant Rössli in Illnau steht der wiederum von der Wählerschaft verschmähte Christoph Mörgeli nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit. (Bild: Karin Hofer / NZZ)

Im SVP-Lager im Restaurant Rössli in Illnau steht der wiederum von der Wählerschaft verschmähte Christoph Mörgeli nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit. (Bild: Karin Hofer / NZZ)

Warum tun sie sich das an?, dürften sich viele gedacht haben. Obwohl der SVP-Politiker Christoph Mörgeli und die Grüne Katharina Prelicz-Huber wissen, wie bitter sich eine Abwahl aus dem Nationalrat anfühlt, traten sie nochmals an. Der angriffige Mörgeli gab sich im Wahlkampf geläutert und besonnen. Er dürfte nach der beruflichen auch auf eine politische Rehabilitierung gehofft haben. Prelicz-Huber wiederum wollte ihre langjährige Erfahrung unbedingt nochmals auf nationaler Ebene einbringen, da sich dort am meisten erreichen lasse. Natürlich durfte sie zudem damit rechnen, von der grünen Welle zu profitieren. Während sie mit Listenplatz 1 aus der Pole-Position startete, musste sich Mörgeli mit dem 15. Rang begnügen.

Preliczs Partei gewinnt am Ende drei Sitze, Mörgelis Partei verliert zwei. Trotzdem wird am Abend auch bei der Zürcher SVP in Illnau applaudiert und gejubelt – allerdings erst, als der Ständeratskandidat Roger Köppel den Saal des Restaurants Rössli betritt. Hinter ihm geht Christoph Mörgeli, weitgehend unbemerkt im Trubel. Er, der einst wie Köppel scharfzüngig an vorderster Front politisierte und polarisierte, wurde abermals in die zweite Reihe versetzt. Er hat die Wiederwahl nicht geschafft und darf nicht zurück ins Scheinwerferlicht. Trotzdem lächelt er im «Rössli»-Saal jedem zu; er wirkt, als könne ihm die Niederlage nichts anhaben.

Zitterpartie trotz grüner Welle

Im Cabaret Voltaire in Zürich 1 ist die Stimmung anhaltend im Hoch. Hier feiern die Grünen ihren Triumph. Für die 60-jährige Katharina Prelicz-Huber, ein Urgestein der Zürcher Politik, waren diese Wahlen aus persönlicher Sicht trotz dem allgegenwärtigen Klimathema eine Zitterpartie. Um 20 Uhr 18 fällt alle Last von ihr ab. In dieser Minute am Sonntagabend spricht sich’s herum: Die letzten Stimmen aus dem letzten Wahlkreis in der Stadt Zürich sind ausgezählt. Nun ist klar: Das Comeback ist geschafft.

Prelicz-Huber, die Spitzenkandidatin auf der Nationalratsliste der Zürcher Grünen, ist gewählt. Die Anspannung weicht von ihr. Ihre Schultern im schwarz-weiss gemusterten Jäckchen scheinen einen Zentimeter tiefer zu fallen, ihr Gesicht wird weich. Sie umarmt ihren erwachsenen Sohn und ihren Mann. Die beiden sind – zusammen mit ihrer Mutter und ihrem Bruder – mit einem Blumenstrauss ins Wahllokal der Grünen gekommen.

Im Dezember wird sie zum ersten Mal nach Jahren wieder mit einem politischen Auftrag in den Zug nach Bern steigen, unterwegs zur Wintersession. Es wird ihr vieles bekannt vorkommen, denn sie sass schon einmal im Nationalrat: zwischen 2008 und 2011, bis sie abgewählt wurde. 2015 versuchte sie bereits ein Comeback – ohne Erfolg. Damals kam sie auf dem dritten Platz ins Ziel und ging damit leer aus. Heute hat es geklappt.

«Das Volk ist mein Chef»

Mörgelis Comeback-Versuch in den Wahlen 2019 ist hingegen gescheitert. Die eigenen Wähler reichten ihn erneut nach hinten durch, vom 15. auf den 20. Rang. Immerhin: Ganz so arg und unerwartet wie 2015 erwischt ihn die Wahlklatsche diesmal nicht. Damals war der zuvor stets sehr gut gewählte SVP-Nationalrat im Nachgang der Affäre um seine Tätigkeit am Medizinhistorischen Institut der Universität Zürich vom 2. auf den 20. Platz katapultiert und damit klar abgewählt worden.

Das habe er schwer genommen, sagte Mörgeli im Frühling in einem TV-Interview – weil sein Amt ihm wichtig gewesen sei. Sollte es diesmal nicht klappen, sei das kein Weltuntergang. «Das Volk ist mein Chef», sagte er. «Wenn ich nicht gewählt werde, ist klar, dass die Leute mich nicht mehr wollen in der Politik.» Auch nun, im Restaurant Rössli in Illnau, gibt er sich bescheiden. Nicht er, sondern die Partei und Ständeratskandidat Roger Köppel seien im Zentrum dieser Wahl gestanden. Wie stark ihn die erneute Niederlage persönlich tatsächlich trifft, gibt er nicht preis. Er hat sein Pokerface aufgesetzt.

Greta und die «Klimahysterie»

Prelicz-Huber wagt am Nachmittag des Wahlsonntags noch nicht an einen Erfolg zu glauben. Die vergangenen Monate haben sie viel Energie gekostet. Eigentlich sei sie nudelfertig, sagt sie. Sie sitzt in ihrer Küche und trinkt Schwarztee. Sie habe versucht, sich mit Gartenarbeiten abzulenken, am Morgen sei sie selber an der Urne gewesen. Statt über ihren Seelenzustand redet sie lieber über die Grüne Partei – und über «Greta, die für viele Junge zur Symbolfigur geworden ist, weil sie dranbleibt». Auch die Grünen seien drangeblieben am Klimathema. Über Jahre, nicht erst seit gestern, wie andere Parteien. «Uns konnte man an unseren Leistungen, unserem Programm und unseren Überzeugungen messen.»

Mörgeli sagt, die SVP sei bei den Kantonsratswahlen im Frühling vom Klima-Tsunami überrollt worden und habe damals einen zu braven Wahlkampf geführt. Das habe ihn motiviert, nochmals anzutreten, obwohl ihm in der Partei viele davon abgeraten hätten. Er selbst nennt seinen Entscheid «mutig». Ein SVP-Kollege im «Rössli» sagt, Mörgeli habe wohl schlechte Berater gehabt. Ein anderer, er sei von Parteistrategen darum gebeten worden, sich nochmals zur Wahl zu stellen. Ein dritter sagt, es sei Mörgelis persönlicher Entscheid gewesen.

Der Gescheiterte selbst analysiert die Lage am Abend des Wahlsonntags so: Die SVP habe aufgrund der Klimadebatte beziehungsweise «Klimahysterie» auch bei den nationalen Wahlen mit einem massiven Einbruch rechnen müssen. Nun seien die Verluste weniger stark als erwartet. «Es hat sich gezeigt, dass es sich lohnt, wenn wir energisch gegen die Klimahysterie antreten und die Konsequenzen, vor allem auch die Kosten, aufzeigen», hält Mörgeli fest. Das sei auch dank Roger Köppel gelungen, der diese Themen als Zugpferd der Partei aufs Tapet gebracht habe.

Ein solches Zugpferd hätte auch Mörgeli sein wollen. «Ich dachte, es braucht jemanden, der die Leute mitzieht in diesem Wahlkampf», sagt er; schliesslich sei er ein bekanntes Gesicht. Inzwischen sitzt er auf einem schwarzen Ledersessel im Foyer des «Rössli». Drinnen im Saal klopfen die Parteikollegen Roger Köppel auf die Schulter. Mörgeli sagt: «Ich habe zur Kenntnis genommen, dass mein aktiver Einsatz an vorderster Front weniger gefragt ist.» Er habe keine Probleme damit, in der zweiten Reihe zu sein – das habe er schon unter Christoph Blocher bewiesen.

Christoph Mörgeli als ruhender Pol im SVP-Trubel in Illnau.(Bild: Karin Hofer / NZZ)

Christoph Mörgeli als ruhender Pol im SVP-Trubel in Illnau.
(Bild: Karin Hofer / NZZ)

Die angriffige SVP und der zahme Mörgeli

Bemerkenswert ist: Die SVP gab sich nach einem eher angepassten Wahlkampf im Frühling kämpferisch und provozierte zum Beispiel mittels des Plakats mit dem wurmstichigen Apfel. Just der ehemals bissigste Parteiexponent, Mörgeli, scheint aber zahm geworden zu sein. Seine – nach zwei schweren Autounfällen 2008 und 2018 – gesundheitlichen, beruflichen und politischen Rückschläge scheinen ihn geprägt zu haben. In seinem Empfehlungsschreiben für die Wahl schrieb er, er sei «sicher auch überlegter, bedachtsamer und abgeklärter» geworden. Von den Wählerinnen und Wählern wurde das nicht honoriert.

Katharina Prelicz-Huber redet sich schnell in Rage, politisiert mit Haut und Haar, gestikuliert wild. Sie musste sich angewöhnen, im Fernsehen auch einmal zu lächeln, anstatt Wut und Verve nach aussen zu zeigen. Als grüne Politikerin hat sie viele Auf und Ab erlebt. «Mein bitterster Moment war die Abwahl», hält sie fest. «Das war schlimmer, als vier Jahre später nicht gewählt zu werden.» 2011 habe sie gewisse Machtspiele der nationalen Politik noch nicht genau durchschaut, sagt sie rückblickend. «Ich habe erst da richtig realisiert, dass man bei einer solchen Wahl faktisch eben doch alleine kämpft.» Heute scheint sie jede Spur von Naivität verloren zu haben: «Meine Erfahrung kommt mir zugute», sagt sie. «Das ist mein Plus gegenüber den Jungen.»

Katharina Prelicz-Huber am Sonntagnachmittag vor dem Eingang zum Medienzentrum im Walcheturm in Zürich. (Bild: Karin Hofer / NZZ)

Katharina Prelicz-Huber am Sonntagnachmittag vor dem Eingang zum Medienzentrum im Walcheturm in Zürich. (Bild: Karin Hofer / NZZ)

Neben Katharina Prelicz-Huber haben am Ende des Tages zwei weitere grüne Frauen aus dem Kanton Zürich die Wahl in den Nationalrat geschafft: Marionna Schlatter, die Kantonalpräsidentin mit Jahrgang 1980, und Meret Schneider, Jahrgang 1992. Prelicz-Huber könnte von beiden die Mutter sein. Im Wahlkampf habe man sie das nie spüren lassen, rekapituliert sie – im Gegenteil. «Ich habe diese Wahlen als extrem teamorientiert erlebt. Und ich blühe auf, wenn ich mich im Team für Gerechtigkeit einsetzen kann.» An den zahlreichen Standaktionen habe sie sehr viel Zuspruch erfahren, gerade auch von jungen Leuten. Das zeige ihr, dass ihre Erfahrung wertgeschätzt werde. Eine Wahl wäre aus ihrer Sicht die Bestätigung dafür, dass sie stets geradlinig gekämpft habe.

Tief gefallen, hoch gelobt

So schlecht Mörgelis Standing inzwischen bei der Wählerschaft ist, so gut ist es noch immer an der Parteispitze. Auch am Wahlsonntag mag in Illnau niemand ein schlechtes Wort über ihn verlieren: Alle betonen, wie sehr sie sein Scheitern bedauerten und wie stark er sich in der Partei verdient gemacht habe. Gregor Rutz etwa bezeichnet ihn als «zuverlässigen Schaffer», auf den man zählen könne. Im Gegensatz zu dem in den Medien kolportierten Bild sei Mörgeli sehr differenziert und weder ein Blender noch ein Schwätzer. Köppel nennt ihn «selbstlos» und «authentisch».

Je höher seine Parteikollegen Mörgeli loben, desto tragischer erscheint sein Fall. «Er hat es nicht verdient, dass seine politische Karriere so zu Ende geht», sagt Max Binder. «Eine solche Niederlage mag man niemandem gönnen», pflichtet Toni Bortoluzzi bei. «Mörgeli leistet als Programmchef der Kantonalpartei ausgezeichnete Arbeit, doch das ist eben keine Wahlgarantie.» – Müsste er sein Amt nun nicht abgeben? «Die Nachfolgesuche für die Ämter ist im Gang», sagt Mörgeli – man werde sehen, wer sich finden lasse. Er hege keinen Groll gegen die Partei, sagt er, und werde sicher nichts hinknallen. «Ich würde es sehr schätzen, wenn er weiterhin rückwärtigen Dienst leistet», meint Binder. Auch der Präsident der Kantonalpartei, Patrick Walder, sagt: «Mit seinem analytischen und strategischen Denken sowie seiner Erfahrung ist und bleibt er der richtige Programmchef.»

Eine neue Garderobe

Die Zürcher Grüne Prelicz-Huber weiss aus Erfahrung, dass in Bern hohe Erwartungen in sie gesetzt werden – nicht nur politische. Als Nationalrätin wird sie der dauernden Beobachtung in der Öffentlichkeit ausgesetzt sein. «Mir ist bewusst, dass ich als Morgenmuffel nicht mit grauem Gesicht und schlechter Laune auf die Leute zugehen kann», sagt sie selbstkritisch. «Und ich muss mir eine Garderobe zurechtlegen, wie ich sie sonst niemals hätte.» Von einer Frau erwarte man im Bundeshaus, dass sie während der dreiwöchigen Session nicht zweimal dieselben Kleider trage.

Als ihr um 20 Uhr 18 am Sonntagabend ein grosser Stein vom Herzen fällt, hat Prelicz Tränen in den Augen. Die geglückte Wahl ist für sie das Tüpfelchen auf dem i für ihre Karriere. Nun wird sie feiern – auch ihren 60. Geburtstag, der vor einer Woche war. Auch für dieses Fest war sie vor den Wahlen viel zu angespannt.

«Roger, wollen wir?», fragt Mörgeli in Illnau seinen Kollegen Köppel. «Ja, ab nach Hause zu Frau und Kindern», sagt dieser mit einem Lachen. Und so schreiten die beiden in ihren dunklen Anzügen nebeneinander zur Tür hinaus.

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