Interview

Christoph Mörgeli: «Mein Neffe ist auf einer vernünftigen Linie, sofern man bei der SP davon sprechen kann»

Christoph Mörgeli ging aus Unzufriedenheit in die Politik, nun tut es ihm sein Neffe Rafael gleich. Aber aus einem anderen Antrieb – und für die falsche Partei. Ein klärendes Familiengespräch.

Stefan Hotz, Daniel Fritzsche 8 Kommentare
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«Das weckt halt den Gwunder, ein roter Mörgeli»: Christoph Mörgeli (rechts) muss die politische Einstellung seines Neffen Rafael oft erklären.

«Das weckt halt den Gwunder, ein roter Mörgeli»: Christoph Mörgeli (rechts) muss die politische Einstellung seines Neffen Rafael oft erklären.

Simon Tanner / NZZ

Sie heissen gleich, wohnen in Stäfa, sind beide Historiker und politisch engagiert. Wie oft müssen Sie diese Übereinstimmungen erklären?

Rafael Mörgeli: Als ich in die Juso eintrat, war das häufig Thema, vor allem zu später Stunde. Christoph war damals noch für die SVP im Nationalrat, sehr bekannt, aber auch stark profiliert – quasi der Anti-Juso. Da wurde ich oft gefragt, wie man sich die Weihnachtsfeier bei uns in der Familie vorstellen muss.

Ihre Antwort?

Rafael Mörgeli: Ich sagte jeweils, dass wir dann nicht politisieren, sondern das Persönliche in den Vordergrund stellen.

Christoph Mörgeli: Moment, ich kann mich an eine Weihnachtsfeier erinnern, als es anders war. Du warst noch ein Stück jünger, und wir haben über ein politisches Thema gesprochen. Deine Mutter wollte uns stoppen, aber du hast insistiert und darauf bestanden, zu Ende zu diskutieren. Das hat mich beeindruckt.

Der wesentliche Unterschied zwischen Ihnen ist neben dem Alter das Parteikürzel: Warum haben Sie als Onkel nicht mehr Einfluss auf den Neffen genommen?

Christoph Mörgeli: Ich bin offensichtlich gescheitert. Noch heute werde ich im Bekanntenkreis darauf angesprochen, wie es geschehen konnte, dass mein Neffe damals bei den Juso anheuerte. Das weckt halt den Gwunder, ein roter Mörgeli.

Eine politische Familie

dfr. · Christoph Mörgeli war jahrelang eine prägende Figur der SVP, bekannt und berüchtigt für seine harte Linie. 1997 wurde der Medizinhistoriker in den Zürcher Kantonsrat gewählt, 1999 in den Nationalrat. 2015 verpasste er die Wiederwahl nach einer Schlammschlacht rund um seine Tätigkeit an der Universität Zürich. Heute arbeitet der 62-Jährige als Journalist für die «Weltwoche».

Rafael Mörgeli, 29 Jahre alt, startete seine politische Karriere bei den Jungsozialisten. Heute ist er Präsident der SP-Ortspartei Stäfa. Nach den Sommerferien rückt der Historiker in den Zürcher Kantonsrat nach. Beruflich ist er Mittelschullehrer und Geschäftsführer der Stiftung Bildung der SP.

Wurden Sie als junger Mörgeli bei den Genossen nie in Sippenhaft genommen?

Rafael Mörgeli: Zum Glück nicht. Wir sind toleranter, als Sie vielleicht denken. Ich habe Christoph sogar einmal zu den Juso eingeladen. Das ging ganz gesittet zu und her. Es flogen jedenfalls keine Eier.

Wie haben Sie den Besuch erlebt?

Christoph Mörgeli: Ich habe das entspannt in Erinnerung. Es waren nur etwa zwanzig Leute da, die Stimmung war fast familiär, und ich wurde mit Fragen gelöchert.

Sie sind beide Historiker. Wir befinden uns am Zürichsee in Stäfa nah beim Denkmal für den Stäfner Handel 1795 und die Vorkämpfer für die Freiheit der Zürcher Landschaft. Welche Bedeutung hat jenes Ereignis für Sie?

Christoph Mörgeli: Neben dem Interesse an der Geschichte verbindet Rafael und mich sicher die Heimat im engeren Sinn. Wir sind beide in Stäfa aufgewachsen und hiergeblieben. Wir sind hier verwurzelt und vielfältig integriert. Die Geschichte spielt dabei sicher eine Rolle.

Wie deuten Sie den kettensprengenden Rebellen?

Christoph Mörgeli: Ich sehe darin den Widerspruchsgeist gegenüber zentralen Regenten, die meinen, sie hätten die Weisheit mit Löffeln gefressen. Die Stäfner haben bis heute etwas Aufmüpfiges. In dieser Tradition sah ich mich, als ich 1997 als frisch gewählter Kantonsrat vom Land in das Zürcher Rathaus einzog.

Rafael Mörgeli: Mich beeindruckt, wie sich die Leute gegen die Ungerechtigkeit wehrten, die damals gegenüber der Landschaft bestand. Damit kann ich mich sicher identifizieren. Auch ich bin jemand, der sich gegen Benachteiligungen wehrt; das nehme ich mir für meine künftige Arbeit im Kantonsrat vor. Vielleicht nicht auf die gleiche Art wie die Stäfner Rebellen früher. Ich habe bis jetzt noch kein Memorial verfasst.

Wie kam es, dass Sie beide ausgerechnet Geschichte studierten?

Rafael Mörgeli: In der Kantonsschule gab es Fächer, die ich als unglaublich schwierig und anstrengend empfand. Andere fand ich interessant, und dazu gehörte Geschichte. Ich bin froh, muss ich mich nicht mehr mit Mathematik und Chemie herumschlagen.

Christoph Mörgeli: Ich wusste ab der zweiten Klasse, dass ich mich mit Geschichte befassen werde. Ich las damals Meinrad Lienerts «Schweizer Sagen und Heldengeschichten», habe Tränen vergossen, wenn die Zürcher aufs Dach bekamen. Ich habe es bedauert, dass wir in der Schule so wenig Geschichte hatten. Bei mir war immer klar, dass da mein Interesse liegt.

Wie Ihre unterschiedliche Deutung des Stäfner Handels zeigt, ist Geschichte keine exakte Wissenschaft. Ein Konservativer erzählt sie anders als ein Linker.

Rafael Mörgeli: Den historischen Materialismus nach Marx und Engels halte ich persönlich für falsch. Dass Geschichte sich automatisch auf ein bestimmtes Ziel zubewegt, in welche Richtung auch immer, stimmt nicht. Es geschieht immer wieder Neues, und es wiederholt sich selten etwas gleich. Aber wissen, woher man kommt, und herausfinden, wohin man gehen will – das interessiert mich. Das hat nichts mit konservativ oder links zu tun. Ich befasse mich nicht aus einem politischen Instinkt heraus mit Geschichte, ich finde es einfach spannend.

Christoph Mörgeli: Ich habe alles, das theoriegeleitet war, abgelehnt. Mich haben immer die Quellen interessiert, sonst nichts. Ich wäre wohl auch ein guter Archivar geworden.

Rafael Mörgeli: Das ist bei mir auch so. Fast alle meine Arbeiten an der Universität waren quellenbasiert.

Lässt sich die Geschichte trotzdem für die Politik nutzen, etwa indem man sieht, welche politischen Systeme funktionieren und welche in den Abgrund führen?

Christoph Mörgeli: Das denke ich schon. Ich habe Geschichte auch studiert, um zu schauen, welche Ideologien was bewirken und welche Ansätze richtig sind. Ich interessierte mich zum Beispiel sehr für die liberalen ökonomischen Denker der Wiener Schule, Hayek und Mises. Ihre Schriften haben mich politisch geprägt.

Rafael Mörgeli: Vorhin sagtest du, du hättest alles Theoriegeleitete abgelehnt. Hayek, das ist reine Theorie. Die Ökonomie ist letztlich auch eine Sozialwissenschaft. Daran muss man Christoph manchmal erinnern. Mich beeindruckt die Geschichte der Arbeiterbewegung, wie sie sich mehr Rechte erkämpfte. Das lag auch auf der Linie des Stäfner Handels. Man muss kämpfen, um etwas zu erreichen. So verstehe ich Politik.

Christoph Mörgeli: Ich konnte mit dem Begriff der sozialen Gerechtigkeit nie etwas anfangen. Absolute Gerechtigkeit ist ohne einen absoluten Staat nicht zu erreichen. Davor graut es mir. Es gibt in unserer Welt Unterschiede, diese muss man akzeptieren und möglichst ohne Neid ertragen. Jenen, die es auf ehrliche Art zu etwas gebracht haben, sollte man nacheifern.

Wurde Ihnen dieses Weltbild als Kind vermittelt?

Christoph Mörgeli: Nein, ich komme aus einem Lehrerhaushalt. Da hat man nicht über die freie Wirtschaft, geschweige denn über Geld gesprochen. Dass man einmal gehört hätte, in der Schule, am Stubentisch, «Macht euch selbständig, werdet Unternehmer!», kam nie vor. Das finde ich bedauernswert.

Rafael Mörgeli: Das war bei mir zu Hause auch so. An der Kantonsschule aber habe ich es anders erlebt, ich besuchte das Wirtschaftsgymnasium. Da galt jeder als «future leader». Das hat mir nicht so viel gesagt, auch wenn ich vor allen Respekt habe, die sich selbständig machen. Ein absoluter Staat ist auch für mich ein Graus. Gestärkt werden sollten die Demokratie und die Mitbestimmungsrechte im Land – für alle Bewohnerinnen und Bewohner. So verstehe ich den Kern der SP. Sozial sind wir auch, aber wir sind erster Linie Demokratinnen und Demokraten.

Christoph Mörgeli: «Sogenannte unheilige Allianzen gefielen mir besser als heilige, die zu oft scheinheilig sind.»

Ihr Onkel hatte einen steilen politischen Aufstieg, sein Abgang aus Bern erfolgte 2015 abrupt durch die Nichtwiederwahl. Hat Sie das nicht abgeschreckt?

Rafael Mörgeli: Ich war damals sehr überrascht vom Wahlausgang. Es zeigte mir, dass man seine Politkarriere kaum steuern kann und sich nicht darauf verlassen sollte. Die Kündigungsfrist in der Politik ist kurz, und ein Abgang kommt plötzlich.

Können Sie sich die Ereignisse von damals heute erklären?

Christoph Mörgeli: Ich habe nie aus Freude Politik gemacht, sondern aus Unzufriedenheit. Weil ich das Gefühl hatte, es läuft etwas schief im Land. Dieses Bild hatte die Öffentlichkeit von mir, und es traf auch zu. Ich vertrat stets eine oppositionelle Haltung. Mit den Querelen an der Universität Zürich um das Medizinhistorische Museum, das ich leitete, haben sich meine Wähler nicht zu Unrecht gesagt: Der muss sich ja ständig um seinen eigenen Fall kümmern, nicht mehr um die Anliegen von uns Wählern und die Interessen des Landes. Das führte zu einer brutalen Abrechnung.

Ist auch bei Ihnen der Motor, sich politisch einzumischen, die Unzufriedenheit?

Rafael Mörgeli: Ich hoffe nicht, dass das der Grundton ist. Ich will versuchen, etwas in der Gesellschaft zu verändern – hin zum Positiven. Bei mir steht der Gerechtigkeitsgedanke stark im Vordergrund. Versuchen, dort Einfluss zu nehmen, wo man etwas bewegen kann. Absolute Gerechtigkeit gibt es nicht. Aber das Ziel ist richtig.

Kann der ehemalige Nationalrat, wenn nicht inhaltlich, dem Neffen einen Ratschlag mit auf den weiteren Weg geben?

Christoph Mörgeli: Ich glaube, es ist wichtig, dass man Politik im Milizprinzip macht und immer ein anderes Standbein hat. Ein Gewerbler in Stäfa riet mir vor vielen Jahren: Bewirb dich noch nicht für eine Behörde, schliess zuerst das Studium ab. Das war einer der besten Ratschläge, die ich je erhalten habe. Um 1991, als es Richtung EU ging, war ich dann bereit und sagte mir, jetzt musst du in die Hosen.

Sie haben sich beide sehr jung für Politik interessiert . . .

Christoph Mörgeli: Ich wurde tatsächlich sehr jung politisiert. Ich glaube, ich habe mit zehn Jahren zum ersten Mal SVP-Plakate aufgehängt.

Zur SP hatten Sie keinerlei Berührungspunkte?

Christoph Mörgeli: Ganz so absolut würde ich es nicht sagen. Es sollte immer um die Sache gehen. Wenn es hiess, die SP sei in einer Frage der gleichen Meinung, schreckte mich das nie ab – im Gegenteil. Sogenannte unheilige Allianzen gefielen mir sogar besser als heilige, die zu oft scheinheilig sind.

Im Moment schneiden Ihre Parteien, die SP und die SVP, bei Wahlen schlecht ab: Haben die Wählerinnen und Wähler genug von der Polarisierung?

Rafael Mörgeli: Das finden wir im nächsten Frühjahr heraus, wenn gewählt wird. Hier in Stäfa hatte die SP bei den Kommunalwahlen jedenfalls keine Probleme. Die SVP hat es hingegen ein weiteres Mal nicht in den Gemeinderat geschafft.

Christoph Mörgeli: Es hat sich einiges verändert. Die SVP lebte lange von markanten Exponenten in den Parlamenten, die dort auf den Putz hauten . . .

Mit Ihnen an vorderster Stelle . . .

Christoph Mörgeli: In den Gemeinden hatten wir dann aber die gmögigen Behördenmitglieder, die Kleinunternehmer, die Handwerker, die man persönlich kennt. Über die Jahre sind vor allem die Agglomerationen viel anonymer geworden. Es ist verrückt, wie rasch Stäfa von 10 000 auf 15 000 Einwohner gewachsen ist. In einem solchen Umfeld erhält die Parteibezeichnung eine grössere Bedeutung. Die SVP isst jetzt das bittere Brot der Opposition in diesem Land, die anderen Parteien unterstützen sich gegenseitig.

Rafael Mörgeli: Ich habe hier in Stäfa bei den letzten Wahlen von der gegenseitigen Unterstützung nicht viel gemerkt. Unsere Leute haben einfach die bessere Falle gemacht als eure.

Gibt Ihnen die Entwicklung zu denken?

Christoph Mörgeli: Das tut sie. Sogar die Linken sagten zu unserem Kandidaten für den Gemeinderat hier in Stäfa: Wärst du nicht in der SVP, würden wir dich wählen. Das ist schon bitter.

Heute neigt die SP auf nationaler Ebene mit Cédric Wermuth und Mattea Meyer an der Spitze auf die extreme Seite, zum Beispiel mit der Ablehnung der Frontex-Vorlage, obwohl man sonst eine Annäherung an die EU befürwortet. Ist das der richtige Weg?

Rafael Mörgeli: Es gibt einen anderen Stäfner in Bern – Ständerat Daniel Jositsch –, den ich sicher nicht auf dem linken Flügel der SP verorten würde. Er hat sich ebenfalls und mit guten, humanitären Gründen gegen die Frontex-Vorlage ausgesprochen. Ich habe nicht den Eindruck, dass mit dem neuen Präsidium der SP Schweiz ein starker Linksrutsch eingetreten ist.

Rafael Mörgeli: «Ich bin sicher kein Steinewerfer und Beleidiger. Da käme mir meine Höflichkeit in die Quere.»

Wie ist es eigentlich, an der wohlhabenden Goldküste für die SP zu politisieren?

Rafael Mörgeli: In Stäfa ist es noch etwas anders als in Herrliberg oder Erlenbach. Stäfa ist etwas grösser und multikultureller.

Trotzdem tritt die SP am bürgerlichen rechten Zürichseeufer doch ganz anders auf als in der linken Stadt Zürich?

Rafael Mörgeli: Klar, die Möglichkeiten, als Sozialdemokrat in der Stadt etwas zu bewegen, sind grösser. Ich bin fast an jeder Gemeindeversammlung auf der Verliererseite. Das bedeutet, dass man mehr auf die Leute zugehen und Allianzen schmieden muss. Deshalb interessiert mich auch die Arbeit im Kantonsrat mit wechselnden Mehrheiten so sehr. Man muss herausfinden, wo man etwas bewegen kann.

Bei der SVP war die Situation bei Ihrem Eintritt nicht unähnlich.

Christoph Mörgeli: Ja. Wir waren der Juniorpartner der FDP, eingebunden in einen bürgerlichen Block, der den Kanton Zürich dominierte. Mit dem Fall der Berliner Mauer begannen die Bürgerlichen auseinanderzudriften. Wir vertreten noch heute zu 100 Prozent, was damals FDP, SVP, CVP und etwa die Hälfte der SP vertraten: Immerwährende bewaffnete Neutralität, Unabhängigkeit, Freiheit, direkte Demokratie. Diese Standfestigkeit hat uns grossen Erfolg gebracht; heute sind wir nicht mehr Juniorpartner.

Dafür haftet das Bild der Kompromisslosigkeit an Ihnen.

Christoph Mörgeli: Es gibt Überzeugungspolitiker und Karrierepolitiker. Es braucht wahrscheinlich beide, in jeder Partei: Jene, die man in die Ämter bringt, und jene, die den Kurs halten. Mir ist wichtig, dass inhaltlich die Überzeugungspolitiker den Ton angeben. Wenn Regierungsräte die Parteien beherrschen, kommt es nicht gut.

Rafael Mörgeli: Es gibt schon verschiedene Arten von Politikern. Aber mir ist es lieber, etwas zu verändern, als nur die reine Lehre zu predigen. Da unterscheiden wir uns wohl. Ich bin auch für Zwischenschritte zu haben und reite nicht auf Prinzipien herum. Ausser es geht um zentrale Werte der Partei.

Sie waren zwar Juso-Sekretär, jetzt sind Sie Präsident einer SP-Ortspartei und bald Kantonsrat. Es scheint, Ihnen liegt die Politik in Parteigremien und Institutionen mehr als der Juso-Aktivismus.

Rafael Mörgeli: Das ist Ihre Einschätzung. Ich bin sicher kein Steinewerfer und Beleidiger. Da käme mir meine Höflichkeit in die Quere. Ich bin eher harmoniesüchtig. Aber ich sehe das auch als Stärke.

Dann ist Christoph Mörgeli verbal der grössere Provokateur.

Christoph Mörgeli: Ja, momoll. Ich sehe es mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Mein Neffe ist auf einer vernünftigen Linie, sofern man bei der SP davon sprechen kann. Er ist politisch solid und fundiert unterwegs, intelligent. Das ist schön für unseren gemeinsamen Namen. Etwas traurig stimmt mich, dass er das alles für die falsche politische Partei tut. Aber das muss ich akzeptieren.

Sie geben ihm eine politische Zukunft?

Christoph Mörgeli: Ich glaube schon. So wie er auftritt, seine Meinung vertritt, hat er Zukunft. Und es muss ihm ja nicht ergehen wie mir am Ende. Das ist auch eine Frage des Temperaments, wie man es anpackt.

Hatte Ihre Nichtwiederwahl im Rückblick eigentlich auch eine gute Seite?

Christoph Mörgeli: Natürlich. Ich gewann wieder mehr Unabhängigkeit, war nicht mehr so im Fokus. Ich wurde ja immer stark kritisiert. Ich brauchte das nicht unbedingt, aber das brachte es halt mit sich. Ich konnte austeilen, aber auch jederzeit einstecken. Aber weniger, wenn es unfair war, was ich auch erlebt habe. Ich musste mich wieder neu erfinden in einem Alter mit Mitte fünfzig, in dem das nicht unbedingt selbstverständlich ist. Es geht mir seither sicher nicht schlechter.

Sie schreiben nun als Journalist für die «Weltwoche». In letzter Zeit verliessen einige prominente Namen das Blatt wegen der Berichterstattung zum Ukraine-Krieg. Für Sie keine Option?

Christoph Mörgeli: Nein. Ich finde es bewundernswert, wie der Verleger Roger Köppel sagt: Meinungsvielfalt ist unsere Leitlinie. Das zieht er durch.

Rafael Mörgeli: Ich muss ehrlicherweise sagen, ich lese die «Weltwoche» nicht. Aber Unterstützung für jemanden wie Wladimir Putin, der einen Krieg beginnt und das Völkerrecht bricht, könnte ich nicht verteidigen.

Christoph Mörgeli: Von Unterstützung habe ich bis jetzt auch nie etwas gelesen. Und wenn ich «Putin-Versteher» höre: Ist jetzt auch noch das Verstehen verboten? Als Historiker sage ich: Alles hat eine Vorgeschichte. Auch diese muss man berücksichtigen.

In einem anderen Bereich, bei der Klimaerwärmung, gibt es wissenschaftliche Evidenz. Soll man auch dort Meinungsvielfalt gelten lassen?

Christoph Mörgeli: Die «Weltwoche» und die SVP bestreiten den Klimawandel nicht. Den hat es immer gegeben. Wir glauben aber nicht, dass wir deswegen den ganzen industriellen Fortschritt und Wohlstand preisgeben sollten, den wir auch der zweiten und dritten Welt zugestehen müssen.

Rafael Mörgeli: Der menschengemachte Klimawandel sollte unbestritten sein: Es ist so, weil es erwiesen ist. Wenn man nichts dagegen unternimmt, dann gambeln wir ziemlich hoch. Dann setzen wir den Planeten aufs Spiel. Ich bin nicht bereit, das einzugehen.

Im nächsten Februar sind kantonale Wahlen. Werden Sie Ihren Neffen trotz offensichtlichen inhaltlichen Differenzen wählen?

Christoph Mörgeli: Dafür haben wir zum Glück das Wahlgeheimnis. Ich wähle, wie ich will.

Und Sie, Rafael Mörgeli, werden Sie sich in Zukunft auch einmal einen Tipp beim Onkel abholen?

Rafael Mörgeli: Ich habe ihn auch in der Vergangenheit immer wieder gefragt, so zum Beispiel bevor ich für den Kantonsrat kandidierte. Ich bin offen für seine Ratschläge – aber weniger in inhaltlicher Hinsicht.

8 Kommentare
Werner Moser

Nicht nur ein klärendes-, sondern auch ein beachtlich unterhaltendes Familiengespräch. Beachtlich deshalb, weil es diesem Interview gelingt, das persönliche dieser beiden Herren zu beleuchten und das parteiliche "links" liegen zu lassen. Chapeau! Besten Dank dafür.

R. B.

Es hat Zeiten gegeben, in denen ich die Strassenseite gewechselt habe, wenn ich Christoph Mörgeli gesehen habe und mein Puls strebte gegen 180. Sprich: Seine Person (und seine Politik) konnte ich nicht ertragen. Umso mehr freut es mich, dass er so offen mit seinem Neffen und seinem Andersdenken umgeht.

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