«Fyylsch du di als Winnetou? Wichtig isch doch, du blybsch du»: Die heikle Gratwanderung der Basler Fasnacht zwischen Woke, Klima und LGBTQ

Kein Thema hat die Basler Fasnacht so stark beschäftigt wie das Klima. Manche Verse waren durchaus ernst. Auch bei anderen Sujets müssen Pointen so sitzen, dass die Balance gehalten wird.

Daniel Gerny 6 min
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Waggis-Larven an der Basler Fasnacht. Der Waggis ist eine Traditionsfigur, deren Wurzeln im Elsass liegen.

Waggis-Larven an der Basler Fasnacht. Der Waggis ist eine Traditionsfigur, deren Wurzeln im Elsass liegen.

Manuel Geisser / Imago

Ganz in Schwarz und Weiss gehalten, rückt die auffällige «Ladärne» auf dem Basler Münsterplatz schon von weitem ins Blickfeld: Das Motiv erinnert an einen Appenzeller Scherenschnitt, zu sehen ist ein traditioneller Alpabzug. Mehr Idylle geht kaum.

Aus der Nähe allerdings wird das wahre Bild erst sichtbar: Aus dem Berg, von dem die Bauern das Vieh abziehen, sprüht Feuer. Dürres Geäst säumt den Weg ins Tal, die Alphütten brennen, Eis schmilzt, Tiere rennen um ihr Leben – dystopische Weltuntergangsstimmung überall. Darunter die Textzeile:

Die Laterne der «Seibi-Mysli».

Die Laterne der «Seibi-Mysli».

dgy. / NZZ

Im letschte Gletscher gän mir s Gleit, will d Menschheit überall veseit.

Das «Ladärne»-Kunststück kommt von den «Seibi-Mysli», also der Frauenabteilung der Traditionsclique «Seibi». «Alpesäge – d Gletscher stäärbe», heisst ihr Sujet. In liebevollen Details hat die Clique den Horror des Klimawandels in den Bergen bildlich umgesetzt, unterlegt mit Versen, bei denen das Schmunzeln beinahe gefriert:

Kumm, mir gön go wandere, seit ei Gletscher zum andere.

Ebenso kunstvoll ist der «Zeedel» gestaltet, in Form einer Klimakatastrophen-adäquaten Neuinterpretierung des Volkslieds «Lueget vo Bäärge und Daal». In Strophe zwei heisst es zum Beispiel:

Lueget do aabe an See.
S fäält au scho s Wasser fir s Veh.
Looset, wie d Wälder, die scheene,
Unter der Summerhitz steene.
Dr Himmel vom Waldbrand ganz root,
S Klima isch nimmi im Loot.

Der ernst anmutende «Seibi»-Auftritt ist nicht untypisch für die Basler Fasnacht. Auch wenn sie für den Witz bekannt ist, geht es bei aller Ironie mitunter durchaus nachdenklich zu und her. Kein anderes Thema beschäftigt die Basler Fasnacht in diesem Jahr so sehr wie der Klimawandel – und alles, was damit zusammenhängt.

«Dr Ysbäär sait zue synere Frau . . .»

Über 400 Einheiten nehmen am diesjährigen «Cortège» – dem offiziellen Umzug – teil, der jeweils am Montag und am Mittwoch stattfindet. Der Klimawandel wurde und wird von nicht weniger als 56 Gruppen ausgespielt. In einer Zeit von Temperaturanstieg, Strommangellage und Klimaklebern liegen Umweltthemen geradezu auf der Hand. «D Querschleger» dichten auf ihrem «Zeedel»:

Iberschwemmig gits, und d Gletscher dien schmelze
D Holländer laufe gly uff Stelze
Dr Ysbäär sait zue synere Frau
Ich ha nassi Fiess, ich haus jetzt, ciao!

Bedrohlich auch die «Ladärne» der jungen Garde der «Olympia»: Zu sehen ist ein glühend heisser Erdball mit Fieberthermometer im Mund. Dazu zwei hübsche Verse ganz am Rand und ganz nebenbei:

Die Laterne der jungen Olympia.

Die Laterne der jungen Olympia.

dgy. / NZZ

E Pinguin wünscht sich vo sym Bappe
Als Sunneschutz e Dächlikappe.

Und mit beissender Ironie:

Mit Glace im Muul am Swimmingpool
Isch Klimawandel zimlig cool.

«D Giftschnaigge» machen sich derweil über die Energieversorgung Gedanken und kommen zu einer durchzogenen Analyse:

Akku unser – d Not isch gross, und d Bitt isch klai:
Schängg uns Energie ganz ohne CO zwai.
Erschaffe häm mir di us Kobalt, Lithium und sältne Ärde,
Du selsch für uns d Erleesig wärde.

Fossil isch out, und E isch in.
I gseh e gwisse Sinn do drin.
Doch wurd i au druff wette,
Mit däm elai – kasch d Wält nid rette.

Klima als Topthema: eine Clique am Cortège.

Klima als Topthema: eine Clique am Cortège.

Georgios Kefalas / Keystone

Nach so viel düsteren Gedanken hilft nur ein Glas Wein im «Leuezorn». Das ist eine der traditionellen Fasnachtsbeizen mitten in der Altstadt, wo am Montag- und am Mittwochabend jeweils die Schnitzelbänggler auftreten. Dort macht sich «D Giftspritzi» auf entwaffnende Weise über die Klimakleber lustig – und genaugenommen nicht nur über sie:

Findsch s Klima doof, hoggsch uff e Boode,
Und gläbsch di fescht mit diine Händ.
Au ych lyym mi uff d Freye Strooss,
Mach kai Wangg, blyyb reegigsloos.
Doo froggt e Bäärner: «Exgüsee,
Sit Dir ä Spiiler vom EffCeeBee?»

Sehr witzig zum selben Thema auch «S Rollator-Röösli», eine ältere Dame mit frechem Mundwerk, die jeweils mit ihrem Enkel Ruedi auftritt:

Y muess saage, s isch mer pyynlig naime duure
My Gebiss, das kheyt mer ständig us dr Schnuure
Dr Ruedi filzt mer myni Haftgreem, die Banaane
und gläbbt sich fescht dermit uff den Autibaane

An jenes Thema, das die Welt im letzten Jahr am meisten beschäftigte, wagte sich die Basler Fasnacht kaum heran. Putins Krieg kam nur ganz am Rande vor, bei der «Lälli» zum Beispiel: «Wältwyt duets aim eergere: S gilt wider s Rächt vom Steerggere.» Auch «D Junteressli» versuchen es, wenn auch nur sehr andeutungsweise:

Und bisch emoll so richtig zfriide
bedroht der nägschti Krieg der Friide.

Doch damit hat sich’s fast schon. Viel stärker beschäftigt die anhaltende Diskussion über Political Correctness in all ihren Ausformungen. So viele Indianer und Rastalocken wie in diesen Tagen gab es in Basel wohl kaum je zu sehen.

«D Sälbschtzensur, so foot sie aa»

Kein Wunder: Eine Welt, in der «Wokeness» über allem steht und Trigger-Warnungen zum Bühnenleben gehören, ist quasi das Gegenteil der Basler Fasnacht. Auf der «Ladärne» der «Bâloinese 75» ist Winnetou bezeichnenderweise überlebensgross zu sehen. Mit einer Schere in der Hand, die die Schere im Kopf symbolisiert:

Fyylsch du di als Winnetou?
Wichtig isch doch, du blybsch du.

Streckenweise überaus witzig ist auch der «Zeedel» der alten Garde des «Dupf-Club» unter dem Motto: «Uns isch unwool» (wobei man für den folgenden Vers wissen muss, dass es sich bei der Fasnachtsfigur Waggis ursprünglich um die Karikatur eines Bauern aus dem französischen Grenzgebiet handelt).

Kai Waggis het jee e Elsässer gfroggt,
ebs iin nit gruusig bloggt,
dass me iin als versoffene Biezer zaigt,
wo zmitts im Gsicht e gwaltige Zingge drait.

Oder het jee aine vomene Zircher wisse welle,
ebs rächt isch, dass me iin in e Liecht duet stelle,
wo bräggt isch vo lauwarmer Luft,
wo usere riisige Schnurre pufft.

Die Guggemuusig «Sonate-Schlyffer» zieht am Cortège durch die Strassen.

Die Guggemuusig «Sonate-Schlyffer» zieht am Cortège durch die Strassen.

Georgios Kefalas / Keystone

Dass sich die Basler Fasnacht heftig gegen zensorische Eingriffe wehrt, erklärt sich mit ihrem Selbstverständnis. Sie ist mit ihrer stark satirischen Seite davon selbst bedroht. Die Fasnacht hat einen gesellschaftspolitischen Stellenwert, indem sie Mächtige kritisiert, Strömungen aufs Korn nimmt und dabei möglichst niemanden schont.

Das erfordert Freiheit, eine gewisse Respektlosigkeit und die Lust, Grenzen auszuloten, ohne den Anstand zu verlieren. Oder wie es «Bâloinese 75» formulieren:

D Fasnacht grootet blangg ins Graue,
Me derf kai faarbig Sujet haa.
Sunsch kenntsch dr Subventioon verbaue.
D Sälbschtzensur, so foot sie aa.

Diskriminierende Ausreisser sind dabei eher selten. Vor hundert Jahren griff eine Clique ganz tief in die rassistische Kiste und zog mit antisemitischen Kostümen und Sprüchen durch die Stadt. Seit die Fasnacht in den 1960er Jahren einen grösseren gesellschaftspolitischen Stellenwert erhalten hat, werden Sujets jedoch genauer betrachtet und durchaus auch kontrovers diskutiert. Vor ein paar Jahren geriet die Gugge «Negro-Rhygass» wegen ihres Namens und Logos in einen Shitstorm und passte darauf ihr Signet an.

«D Frau Döbeli – also friehner dr Hans»

Interessanterweise werden die gerne und oft vorgetragenen Klagen über die angeblich immer enger werdenden Grenzen des Sagbaren aber auch kritisch beäugt: Die «Rhygwäggi» jedenfalls können die Empörung über das mögliche Verschwinden von Winnetou aus den Bücherregalen nur schwer nachvollziehen und sprechen von «Hyschteryy in der Preeryy».

Derbyy isch diir im Grund scho glaar:
E mänggs wirggt hüt sonderbar
was doozmol glääse hesch und glaubt
und jetz im Biechergstell verstaubt

Drum legsch du zletscht bim Biechermischte
em May sy Wärgg in d Gratis-Kischte
Nit well de muesch, das isch dr Clou:
Wells Zyt isch – bye-bye Winnetou!

Zu den Sujets, die für die Fasnächtlerinnen und Fasnächtler eine Gratwanderung bedeuten, gehört unbestreitbar die LGBTQ-Bewegung. Gesellschaftlich ist das Thema relevant und damit für die Fasnacht automatisch vorgegeben – doch das Absturzrisiko ist gross. Nicht immer gelingt die Balance. Elegant schafft es aber der «Doggter FMH»:

Si, d Frau Döbeli – also friehner dr Hans
zieht nocheme Joor Trans Bilanz.
«Ych Duubel schaff jo jetz als Frau
1 Joor lenger fir d AHV!»

So – und damit wäre die Fasnacht, Ausgabe 2023, für uns schon fast vorbei. Doch das letzte Wort soll der Schnitzelbangg «Fäährimaa» im «Leuezorn» haben – mit einem absoluten Spitzenvers zu einer ganz klassischen und pointentechnisch völlig unproblematischen Politaffäre, made in Switzerland. Vielleicht ist er gerade deswegen so grossartig:

Es isch e Nagel in dr Luftruum vo mym Velopnöö drunge
ähnligs isch em Berset über Franggryych glunge
es isch aifach passiert, wie das s Schiggsal so länggt
doo hett dä Nagel öbbe glyychvyyl wie dr Berset dänggt.