Ein «Rugguseli» zum Sonnenaufgang

Feiert die Schweiz Geburtstag, wird im Land gejodelt. Vor allem in der Ostschweiz ertönt dazu der Klang vom Talerschwingen. Eine neue App hat es nun auch Städtern angetan.

Manuela Nyffenegger, Gonten
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Walter Neff (links), Urs Fässler (Mitte) und Thomas Manser geben in Gonten eine Kostprobe vom Talerschwingen. (Bild: Adrian Baer / NZZ)

Walter Neff (links), Urs Fässler (Mitte) und Thomas Manser geben in Gonten eine Kostprobe vom Talerschwingen. (Bild: Adrian Baer / NZZ)

Am kommenden 1. August feiert nicht nur die Nation, sondern es feiern auch zwei Halbkantone. Auf den Hügeln und in den Tälern des Appenzellerlands wird des Beitritts zur Eidgenossenschaft vor 500 Jahren gedacht. Auf dem Kronberg ist diesmal alles etwas anders als sonst. Innerrhoder und Ausserrhoder treffen sich zum grossen Tag schon frühmorgens auf dem Berg. Dass dies hier, wo die sennischen Traditionen noch Teil der Volkskultur sind, von Musik und Gesang begleitet wird, überrascht nicht. So wird denn zum Sonnenaufgang auch auf dem Appenzeller Hausberg ein Rugguseli, ein vielstimmiger Naturjodel ohne Worte, aus den Kehlen des Innerrhoder Chrobeg-Chörlis erklingen, das für diese Art Jodel bekannt ist. Dazu werden auch «Schölle gschötted» (Schellen geschüttelt) oder Taler geschwungen.

Wohltuender Klang

Dass Klänge eine beruhigende Wirkung nicht nur auf Menschen, sondern auch auf Tiere haben können, weiss man im Appenzellerland schon lange. Wird mit dem Vieh zur Alp gefahren, tragen die vordersten drei Kühe je eine unterschiedlich grosse Glocke. Zusammen ertönt ein Dreiklang, der die ganze Herde in ordentlichem Trott zusammenhält. Fehlen die Glocken, gebärdet sich das Vieh viel unruhiger.

Die gleichen «Schölle» werden auch zur Begleitung des Naturjodels verwendet, wie Walter Neff, Dirigent des 22-köpfigen Chrobeg-Chörlis in Gonten, erklärt. Ein solches Spiel aus drei 12 bis 15 Kilogramm schweren Glocken hat seinen Wert – 20 000 Franken kostet ein wohlabgestimmtes, handgefertigtes «Instrument» schnell einmal.

Da sind die drei konischen Talerbecken, die anstelle der Schellen das Rugguseli – oder das Zäuerli, wie die Ausserrhoder sagen – begleiten können, leichter und mit insgesamt rund 450 Franken auch kostengünstiger. Früher als Milchbecken verwendet und dann ausser Gebrauch geraten, werden sie heute wieder von einigen Töpfern von Hand hergestellt. Walter Neff hört sich bei seinem Lieferanten jeweils durch eine ganze Serie von Becken, bis er einen schönen Dreiklang der etwa 3, 5 und 6 Liter fassenden Gefässe beisammen hat. Wird die Münze, heute ein Fünfliber, regelmässig geschwungen, legen die Talerbecken einen feinen Klangteppich für die Jodelstimmen. Bisweilen hört das geübte Ohr sogar die Obertöne heraus, die den Eindruck erwecken, als seien noch viel mehr Talerschwinger am Werk.

Geschick gefragt

Bis es so weit ist, braucht es etwas Geschick. Auch im Chrobeg-Chörli schafft es nicht jeder, der Münze den richtigen Schubs für den Start zu geben. Ist der Talerschwinger bei einem Auftritt etwas nervös, landet der Fünfliber schnell auf dem Beckenboden oder – noch viel schlimmer – schiesst über den Beckenrand hinaus. «Da heisst es dann Ruhe bewahren», betont Walter Neff. «Sonst geht gar nichts mehr.» Bleibt, den Talerschwingern des Chörlis gute Nerven zu wünschen, wenn dann – wie an diesem 1. August – bei Sonnenaufgang der Bundespräsident zuhört.

Informationen zu den Feierlichkeiten am 1. August: www.kronberg.ch; www.chrobeg-choerli.ch