Kommentar

Beznau erhält grünes Licht – aber keinen Freipass

Das blosse Alter ist kein Grund, ein AKW vom Netz zu nehmen. Allein der technische Zustand zählt. Bei Beznau 1 ist der Nachweis der Sicherheit noch einmal erbracht. Ein Freipass ist dies jedoch keineswegs.

Helmut Stalder
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Beznau: Noch nie wurde das Herzstück eines Atomkraftwerks einer derart akribischen Prüfung unterzogen. (Bild: Alessandro della Bella / Keystone)

Beznau: Noch nie wurde das Herzstück eines Atomkraftwerks einer derart akribischen Prüfung unterzogen. (Bild: Alessandro della Bella / Keystone)

Jetzt ist es amtlich: Nach drei Jahren Stillstand darf Beznau 1 zurück ans Netz. Wegen mehrerer tausend kleiner Einschlüsse im Stahl des Reaktordruckbehälters war das Werk ausser Betrieb. Nun hat die Atomaufsichtsbehörde Ensi den Sicherheitsnachweis akzeptiert und der Kraftwerksbetreiberin Axpo die Absolution erteilt. Beznau 1, das älteste AKW der Schweiz und eines der ältesten der Welt, darf unbefristet weiterlaufen, solange es sicher ist und die Betreiber dies aus wirtschaftlichen Gründen wollen.

Die aufwendige und anspruchsvolle Untersuchung und der jetzige Entscheid haben eine weitreichende Bedeutung, die auf Staaten in der ganzen Welt ausstrahlen wird. Bisher galten 50 Betriebsjahre als Richtgrösse, und nur wenige Werke in den USA haben eine Betriebsbewilligung für 60 Jahre. Der Entscheid des Ensi dehnt die Betriebsdauer von AKW prinzipiell aus, denn er besagt: Nicht das blosse Alter einer Anlage ist massgebend, sondern allein ihr Zustand. Ist dieser tadellos und sind alle Kriterien für einen sicheren Betrieb erfüllt, liegen auch 60 Betriebsjahre im Bereich des technisch Möglichen. Bedeutsam ist dieser Entscheid vor allem deshalb, weil er nicht das politische Umfeld, nicht Proteste von Atomgegnern, nicht wirtschaftliche Erwägungen und auch nicht Fragen der Versorgungssicherheit berücksichtigt, sondern sich einzig und allein auf technische Analysen und Tests abstützt. Das macht ihn transparent und glaubwürdig.

Die Sicherheit jederzeit zu gewährleisten und bis zum letzten Tag nachzurüsten, ist eine Dauerpflicht der Betreiber – koste es, was es wolle.

Noch nie wurde das Herzstück eines Atomkraftwerks einer derart akribischen Prüfung unterzogen. Am Anfang standen bei Ultraschalluntersuchungen festgestellte Anomalien unbekannter Herkunft im Stahl und die grosse Schwierigkeit, wie man diese Einschlüsse und ihre möglichen Folgen für die Stabilität untersucht. Denn man kann den einbetonierten Reaktordruckbehälter nicht ausbauen, zerlegen und Materialproben zerbrechen und zerreissen. Am Ende nun steht die gesicherte Feststellung: Die Einschlüsse bestehen aus Aluminiumoxid, stammen aus dem Stahl-Giessprozess in den 1960er Jahren und haben keine negativen Auswirkungen auf die Widerstandskraft des Druckbehälters. Das Wegstück dazwischen jedoch ist es, was es ausmacht.

1964 beschloss die damalige NOK (heute Axpo), in Döttingen im Kanton Aargau ein Kernkraftwerk zu bauen. Beznau 1 ging am 1. September 1969 in Betrieb. Die Aufnahme zeigt den Bau des Reaktorgebäudes 1967. (Bild: PD)
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Das Auffangbecken unterhalb des Reaktors von Beznau 1 wird 1966 als Erstes betoniert. (Bild: Keystone)
Anspruchsvolle Hochbauten für das Kernkraftwerk Beznau (KKB), aufgenommen 1966. – Das Kernkraftwerk Beznau 1 ist mit Jahrgang 1969 eines der ältesten Atomkraftwerke weltweit. (Bild: Keystone)
Blick in den Reaktordruckbehälter beim Einsetzen von Brennelementen 1971. – Seit der Inbetriebnahme führte man zur Steigerung der Sicherheit verschiedene Nachrüstungen und Erneuerungen am Kernkraftwerk aus. (Bild: Keystone)
1967 transportierte die Firma Welti-Furrer den Atomreaktor und benötigte einen Sondertransport nach Beznau. (Bild: Comet / ETHZ)
Die beiden Blöcke Beznau 1 und 2 liegen auf einer künstlichen Insel in der Aare. (Bild: Christoph Ruckstuhl / NZZ)
Während Revisionsarbeiten im Juni 2012 gewähren die Betreiber Einblick ins Kraftwerk Beznau 1. (Bild: Christian Beutler / NZZ)
Eintritt durch die Panzertür in den Reaktorraum von Beznau 1 (27. Juni 2012). (Bild: Christian Beutler / NZZ)
Der Reaktorraum während der Revisionsarbeiten (27. Juni 2012). (Bild: Christian Beutler / NZZ)
Brennelemente im geöffneten Reaktordruckbehälter (27. Juni 2012). (Bild: Christian Beutler / NZZ)
Beim Betreten müssen speziell gekennzeichnete Schuhe getragen werden, die beim Verlassen wieder ausgezogen werden, so dass nichts hinein- oder hinausgelangen kann (27. 6. 2012). (Bild: Christian Beutler / NZZ)
Die Durchfahrt zwischen den Gebäuden muss immer frei bleiben.(Bild: Karin Hofer / NZZ)
In einem gesicherten Raum auf dem Gelände werden Fässer mit kontaminierten Materialien zwischengelagert. (Bild: Karin Hofer / NZZ)
Sauber aufgereiht und beschriftet, hängen im Kommandoraum die Schlüssel zu allen Räumen. (Bild: Karin Hofer / NZZ)
Wenn die Kommandozentrale ausfällt, kann das Kraftwerk vom unabhängigen, gesicherten Notstandskommandoraum aus gesteuert werden.(Bild: Karin Hofer / NZZ)
Mehrere leistungsstarke Dieselgeneratoren sorgen im Notfall für die Stromversorgung. (Bild: Karin Hofer / NZZ)
Schaltschema des nuklearen Teils des Kraftwerks an der Wand im Kommandoraum.(Bild: Karin Hofer / NZZ)
Hunderte von Anzeigen liefern ständig Informationen in den Kommandoraum. (Bild: Karin Hofer / NZZ)

1964 beschloss die damalige NOK (heute Axpo), in Döttingen im Kanton Aargau ein Kernkraftwerk zu bauen. Beznau 1 ging am 1. September 1969 in Betrieb. Die Aufnahme zeigt den Bau des Reaktorgebäudes 1967. (Bild: PD)

Die Betreiberin Axpo hat viel Aufwand betrieben, dem Phänomen auf den Grund zu gehen. Das Ensi, eingedenk der weltweiten Bedeutung, hat in diesem Prozess jeden Schritt hinterfragt und geprüft. Und das eingesetzte Review-Panel mit international ausgewiesenen Experten hat das Vorgehen als angemessen und die Ergebnisse als solide beurteilt. Mit dem Vorgehen, mit der Prüf- und Bewertungsmethodik, mit der Untersuchung von Vorlaufproben, der Herstellung eines Replikats des Stahlrings und metallurgischen Analysen und Bruchtests haben die Betreiber und die Aufsichtsbehörde zum Teil wissenschaftliches und methodisches Neuland betreten und zugleich internationale Standards für solche Untersuchungen gesetzt. Aber nur mit gesichertem Wissen lassen sich Zweifel ausräumen. Somit ist der Reaktorblock 1 von Beznau auch ein 150 Tonnen schweres Lehrstück, wie man mit Gründlichkeit und Vorsicht letztlich Glaubwürdigkeit herstellt.

Beznau 1 geht damit nach drei Jahren Stillstand als der weltweit am besten geprüfte Reaktor in die Verlängerung und wird wohl noch einige Jahre Strom produzieren. Gleichwohl ist dies für die Betreiber kein Freipass. In der Schweiz gibt es für AKW keine Laufzeitbegrenzung und keine Langzeitbetriebskonzepte für die letzte Phase. Vielmehr gilt die Formel: AKW dürfen laufen, solange sie sicher sind. Diese Sicherheit jederzeit zu gewährleisten und bis zum letzten Tag nachzurüsten, ist eine Dauerpflicht der Betreiber – koste es, was es wolle.