Das blosse Alter ist kein Grund, ein AKW vom Netz zu nehmen. Allein der technische Zustand zählt. Bei Beznau 1 ist der Nachweis der Sicherheit noch einmal erbracht. Ein Freipass ist dies jedoch keineswegs.
Jetzt ist es amtlich: Nach drei Jahren Stillstand darf Beznau 1 zurück ans Netz. Wegen mehrerer tausend kleiner Einschlüsse im Stahl des Reaktordruckbehälters war das Werk ausser Betrieb. Nun hat die Atomaufsichtsbehörde Ensi den Sicherheitsnachweis akzeptiert und der Kraftwerksbetreiberin Axpo die Absolution erteilt. Beznau 1, das älteste AKW der Schweiz und eines der ältesten der Welt, darf unbefristet weiterlaufen, solange es sicher ist und die Betreiber dies aus wirtschaftlichen Gründen wollen.
Die aufwendige und anspruchsvolle Untersuchung und der jetzige Entscheid haben eine weitreichende Bedeutung, die auf Staaten in der ganzen Welt ausstrahlen wird. Bisher galten 50 Betriebsjahre als Richtgrösse, und nur wenige Werke in den USA haben eine Betriebsbewilligung für 60 Jahre. Der Entscheid des Ensi dehnt die Betriebsdauer von AKW prinzipiell aus, denn er besagt: Nicht das blosse Alter einer Anlage ist massgebend, sondern allein ihr Zustand. Ist dieser tadellos und sind alle Kriterien für einen sicheren Betrieb erfüllt, liegen auch 60 Betriebsjahre im Bereich des technisch Möglichen. Bedeutsam ist dieser Entscheid vor allem deshalb, weil er nicht das politische Umfeld, nicht Proteste von Atomgegnern, nicht wirtschaftliche Erwägungen und auch nicht Fragen der Versorgungssicherheit berücksichtigt, sondern sich einzig und allein auf technische Analysen und Tests abstützt. Das macht ihn transparent und glaubwürdig.
Die Sicherheit jederzeit zu gewährleisten und bis zum letzten Tag nachzurüsten, ist eine Dauerpflicht der Betreiber – koste es, was es wolle.
Noch nie wurde das Herzstück eines Atomkraftwerks einer derart akribischen Prüfung unterzogen. Am Anfang standen bei Ultraschalluntersuchungen festgestellte Anomalien unbekannter Herkunft im Stahl und die grosse Schwierigkeit, wie man diese Einschlüsse und ihre möglichen Folgen für die Stabilität untersucht. Denn man kann den einbetonierten Reaktordruckbehälter nicht ausbauen, zerlegen und Materialproben zerbrechen und zerreissen. Am Ende nun steht die gesicherte Feststellung: Die Einschlüsse bestehen aus Aluminiumoxid, stammen aus dem Stahl-Giessprozess in den 1960er Jahren und haben keine negativen Auswirkungen auf die Widerstandskraft des Druckbehälters. Das Wegstück dazwischen jedoch ist es, was es ausmacht.
Die Betreiberin Axpo hat viel Aufwand betrieben, dem Phänomen auf den Grund zu gehen. Das Ensi, eingedenk der weltweiten Bedeutung, hat in diesem Prozess jeden Schritt hinterfragt und geprüft. Und das eingesetzte Review-Panel mit international ausgewiesenen Experten hat das Vorgehen als angemessen und die Ergebnisse als solide beurteilt. Mit dem Vorgehen, mit der Prüf- und Bewertungsmethodik, mit der Untersuchung von Vorlaufproben, der Herstellung eines Replikats des Stahlrings und metallurgischen Analysen und Bruchtests haben die Betreiber und die Aufsichtsbehörde zum Teil wissenschaftliches und methodisches Neuland betreten und zugleich internationale Standards für solche Untersuchungen gesetzt. Aber nur mit gesichertem Wissen lassen sich Zweifel ausräumen. Somit ist der Reaktorblock 1 von Beznau auch ein 150 Tonnen schweres Lehrstück, wie man mit Gründlichkeit und Vorsicht letztlich Glaubwürdigkeit herstellt.
Beznau 1 geht damit nach drei Jahren Stillstand als der weltweit am besten geprüfte Reaktor in die Verlängerung und wird wohl noch einige Jahre Strom produzieren. Gleichwohl ist dies für die Betreiber kein Freipass. In der Schweiz gibt es für AKW keine Laufzeitbegrenzung und keine Langzeitbetriebskonzepte für die letzte Phase. Vielmehr gilt die Formel: AKW dürfen laufen, solange sie sicher sind. Diese Sicherheit jederzeit zu gewährleisten und bis zum letzten Tag nachzurüsten, ist eine Dauerpflicht der Betreiber – koste es, was es wolle.