Politik

Nachruf auf Wolfgang Schäuble Der verhinderte Kanzler

00:00
Diese Audioversion wurde künstlich generiert. Mehr Infos | Feedback senden

Helmut Kohls Allzweckwaffe, ein Mann für das Detail, politisches Schwergewicht: Es gibt viele Bezeichnungen für Wolfgang Schäuble. Er ist einer der wichtigsten deutschen Politiker in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Der Weg nach ganz oben bleibt Schäuble allerdings verwehrt. Und das hat auch mit Kohl zu tun.

Es war der 24. Oktober 2017, an dem Wolfgang Schäuble der Bundesrepublik Deutschland einen letzten großen Dienst erwiesen hat. Er kandidierte als Bundestagspräsident und damit für das zweithöchste Amt im Staat. Der CDU-Politiker erwies damit der Langzeitkanzlerin Angela Merkel, der er trotz zeitweiser Meinungsverschiedenheiten immer loyal zur Seite stand, einen letzten Dienst. Damit hat Schäuble für die ohnehin schwierigen Verhandlungen über ein Jamaika-Bündnis aus Union, FDP und Grünen einen Stolperstein aus dem Weg geräumt, weil die Liberalen das bislang von ihm geführte Finanzministerium für sich beanspruchten. Bekanntlich wurde aus Jamaika nichts, weil die FDP sich damals aus dem Staub gemacht hatte. Gewählt wurde Schäuble als Parlamentschef dennoch: mit den Stimmen der Großkoalitionäre von CDU, CSU und SPD.

Wolfgang Schäuble (1942-2023)

Wolfgang Schäuble (1942-2023)

(Foto: Markus Scholz/dpa/Archivbild)

Schäuble selbst passte die Lesart vom angeblich erzwungenen oder erbetenen Abschied aus dem mächtigen Finanzministerium nicht. Zeit seines Lebens legte er Wert darauf, Abschiede als alleinige Entscheidung zu handhaben. Teil irgendeines Koalitionspuzzles zu sein, war nicht die Sache des stolzen und mitunter störrischen Badeners. Aus seinem Umfeld verlautete, dass Schäuble sich bereits vor der Bundestagswahl 2017 zum Abschied aus dem Kabinett entschieden hatte. "Acht Jahre als Finanzminister sind genug", ließ Schäuble auf einer Veranstaltung am Rande der IWF-Tagung in Washington wissen. Das Gemurmel unter den Zuhörern genoss er sichtlich.

Kaum ein anderer Politiker hat die Entwicklung Deutschlands in den Nachkriegsjahrzehnten so maßgeblich beeinflusst wie Wolfgang Schäuble. Seit 1972 - er war damals 30 Jahre alt - saß er im Bundestag, damals war gerade das siebte Nachkriegsparlament gewählt und die sozial-liberale Koalition von Bundeskanzler Willy Brandt bestätigt worden. 53,2 Prozent bekam der junge, ehrgeizige Mann in seinem Wahlkreis Offenburg - also direkt gewählt, wichtig für die Stellung innerhalb der eigenen Reihen. Schäuble wurde Mitglied einer Unionsfraktion, in der trotz geringer Verluste Katzenjammer herrschte. Die Tage von Rainer Barzel als Vorsitzendem der CDU und der Bundestagsfraktion waren gezählt - 1973 gab er beide Ämter ab. Der Pfälzer Helmut Kohl erklomm im zweiten Anlauf den CDU-Chefsessel. Das bedeutet für das politische Leben des Badeners Schäuble eine zweite gravierende Änderung binnen eines Jahres.

Helmut Kohls Mann für das Detail.

Helmut Kohls Mann für das Detail.

(Foto: ASSOCIATED PRESS)

Die harten Bänke der Opposition und die etwas weicheren der Regierung kannte Wolfgang Schäuble. Seine Karriere nahm zunächst nur eine Richtung, die nach oben. Nach den Niederungen der Ausschussarbeit - Schäuble erwies sich mit seiner Arbeit in den Gremien für Sport und Finanzen und als Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarats bereits in den 1970er-Jahren als thematisch äußerst vielseitig - kam Kohl nicht mehr an ihm vorbei: Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion, Bundesminister für besondere Aufgaben und Chef des Kanzleramts sowie Bundesinnenminister - Schäuble wurde im System Kohl der wichtigste Mann und zu einer Art Allzweckwaffe. Die Deutschlandpolitik war das Feld, auf dem sich Schäuble tummelte. Seine große Nähe zu Kohl sollte später jedoch dafür sorgen, dass seine Karriere eine unvollendete blieb.

Einigungsvertrag und Attentat

Nach dem Attentat am 12. Oktober 1990 saß Schäuble im Rollstuhl.

Nach dem Attentat am 12. Oktober 1990 saß Schäuble im Rollstuhl.

(Foto: ASSOCIATED PRESS)

Ohne Schäuble hätte Kohls Kanzlerschaft womöglich nicht 16 Jahre lang gedauert. Seine Fraktionstätigkeit beschränkte sich nicht nur auf die Geschäftsführerfunktion. Er bügelte oft Scharten des mitunter überforderten Fraktionschefs Alfred Dregger aus. Er machte sich bei den CDU- und CSU-Parlamentariern nicht nur Freunde. Dregger mache die Reisen und Schäuble die Arbeit, beschrieb Kohl einmal die Arbeitsteilung, und er band Schäuble noch enger an sich. Als Kanzleramtschef bereitete Schäuble den Besuch von DDR-Staats- und SED-Chef Erich Honecker 1987 in der Bundesrepublik vor.

Als die Berliner Mauer im Herbst 1989 fiel, war er Innenminister. Ein Einigungsvertrag musste her. Wer verhandelte? Natürlich Schäuble. In der Zeit, als ein Tag eigentlich mehr als 24 Stunden haben musste, als ein gravierender wirtschaftlicher und sozialer Umbruch in Ostdeutschland stattfand, feilten Schäuble und seine Mitarbeiter mit DDR-Staatssekretär Günther Krause am Papier, das Ende August unterzeichnet wurde. Kohl fand als Kanzler der Einheit Eingang in die Geschichtsbücher.

1990 war für den größten Teil der Deutschen ein Jahr der Freude - für Schäuble ist es auch ein Schicksalsjahr. Das Attentat am 12. Oktober veränderte sein Leben maßgeblich. Schäuble überlebte, war aber seitdem an den Rollstuhl gefesselt. Kohl bangte um seinen Mann für das Detail, besuchte ihn im Krankenhaus. Kaum jemand glaubte in den Tagen, in denen es für Schäuble um Leben und Tod ging, dass er weiter an vorderster Front politisch tätig sein könnte. Doch Kohl hielt weiter an ihm fest - auch aus eigennützigen Gründen.

Von Kohl instrumentalisiert

Seit geraumer Zeit wurde Schäuble als Kohl-Nachfolger angesehen. Es tat ihm weh, dass sein Gefesseltsein an den Rollstuhl zu unüberlegten und verletzenden Äußerungen führte. "Ein Behinderter kann nicht Kanzler werden", sagte der spätere bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber. Der Behinderte machte dennoch große Politik. So bewirkte er in der Hauptstadtfrage einen Stimmungsumschwung. Am 20. Juni 1991 hielt er die Rede seines Lebens zugunsten Berlins. Schäuble gelang es, unentschlossene Abgeordnete umzustimmen. Berlin wurde Regierungssitz. Ohne Schäuble wäre der Berlin-Karren wohl gegen die Wand gefahren.

Nach dem Bruch mit Kohl.

Nach dem Bruch mit Kohl.

(Foto: REUTERS)

Als Unionsfraktionschef gab Schäuble auch den Gnadenlosen, der die Opposition regelrecht abkanzelte. Er hatte die Fraktion im Griff und sorgte damit allerdings auch dafür, dass die Kanzlerdämmerung unerträglich lange dauerte. Schäuble war ungeduldig, er erkannte den immer größer werdenden Reformstau: "Man kann nicht regieren, indem man über alles Konsenssoße gießt." Andererseits scheute der Fraktionsvorsitzende die finale Auseinandersetzung, wohl wissend, dass ihn die übermächtigen Kohl- Bataillone wegfegen würden. Schäuble wurde von Kohl instrumentalisiert, als Nachfolger ausgerufen. Ein gemeinsames Bild wurde 1997 geschossen. Der Kanzler, den die Mehrheit der Deutschen regelrecht satthatte, trat zur Bundestagswahl 1998 dennoch wieder an - und verlor.

Im CDU-Spendensumpf

Erst diese Niederlage machte Schäuble zum CDU-Vorsitzenden. Ein Scherbenhaufen musste zusammengekehrt werden. Nur war dieser für Schäuble zu groß. Die Spendenaffäre machte auch vor ihm nicht halt. Ein "dämlicher Fehler" (Schäuble) im Umgang mit der 100.000-Mark-Spende des Waffenhändlers Karlheinz Schreiber sorgte dafür, dass er im Spendenstrudel mit unterging. So durfte Schäuble nur etwas mehr als ein Jahr die CDU führen, denn sein langjähriger Förderer Kohl sorgte Anfang 2000 für seinen politischen Tiefpunkt. Er weigerte sich, die Namen der Spender zu nennen. Schäuble wurde damit indirekt zum Rücktritt gezwungen. Ohnmächtig musste er mit ansehen, wie seine ehrgeizige Generalsekretärin Angela Merkel die Macht in der CDU übernahm. Ihre Forderung in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 22. Dezember 1999, dass sich die Partei von Kohl abnabeln müsse, desavouierte Schäuble als Vertreter des Systems Kohl. Der Weg zum Kanzleramt war ihm für immer verbaut. Schäuble brach mit Kohl.

Angela Merkel übernimmt im Jahr 2000 den CDU-Vorsitz von Schäuble.

Angela Merkel übernimmt im Jahr 2000 den CDU-Vorsitz von Schäuble.

(Foto: picture-alliance / DPA)

Es unterschied Schäuble von anderen Politikern, dass seine politische Schwächeperiode nur zeitlich begrenzt war. Zwei Mal war er für hohe politische Ämter im Gespräch: als CDU-Bürgermeisterkandidat in Berlin und als Bundespräsident. Beide Male musste Schäuble zurückstecken.

Schäubles Verhältnis zu Merkel war nicht herzlich, aber von Respekt geprägt. Andererseits konnte und wollte Merkel auf Schäuble nicht verzichten. In der Großen Koalition leitete er wieder das Innenressort. Danach war er von 2009 bis 2017 Finanzminister. "Ich vertraue Wolfgang Schäuble", so begründete die Kanzlerin ihren Schritt kurz und knapp. Auch unter ihr war Schäuble wieder eine wichtige Allzweckwaffe.

Schäuble beim Abkanzeln seines Sprechers Michael Offer.

Schäuble beim Abkanzeln seines Sprechers Michael Offer.

(Foto: picture alliance / dpa)

Und Schäuble bohrte dicke Bretter. Die europäische Schuldenkrise forderte seine ganze Kraft. Den Euro, wegen dessen Einführung Kohl angeblich weiter im Kanzleramt bleiben wollte, musste Schäuble nun mit retten. Gesundheitliche Probleme - eine Operationswunde wollte einfach nicht verheilen - zwangen ihn später zum Pausieren. Das öffentliche Niedermachen seines Sprechers Michael Offer am 4. November 2010 vor versammelter Journalistenschar verdeutlichte, wie schlecht es Wolfgang Schäuble damals gehen musste. Ein endgültiger Ausstieg aus der Politik war im Bereich des Möglichen. Aber der Pflichtbewusste fing sich wieder und stürzte sich ins politische Getümmel.

Kein leichter Gesprächspartner

Schwieriges Verhältnis: Schäuble und Yanis Varoufakis.

Schwieriges Verhältnis: Schäuble und Yanis Varoufakis.

(Foto: dpa)

Schäuble war ein von der Politik Besessener mit vielen Gesichtern. Er war charmant, engagiert, durchsetzungsstark, schroff, sarkastisch - einige sprachen ihm auch ein gewisses Maß an Gerissenheit zu. Eines war er auf jeden Fall nicht: ein leichter Gesprächspartner. Das bekam sein griechischer Amtskollege Yanis Varoufakis zu spüren. Wäre es nach Schäuble gegangen, dann wären die Griechen aus der Eurozone geflogen ("dann isch over"), doch die Kanzlerin fuhr ihrem Finanzminister in die Parade.

Schäuble war durch und durch ein Mann der Exekutive. Das wurde spätestens während seiner Zeit als Bundestagspräsident deutlich. Dennoch war er der richtige Mann zur richtigen Zeit, denn der Einzug der AfD in das Parlament stellte den Hausherrn vor neuen Aufgaben. Schäuble meisterte sie, allerdings ohne den ganz großen Glanz zu verbreiten.

In den letzten Jahren als Parlamentarier war Schäuble eine Art graue Eminenz der CDU. Er mischte nicht mehr in vorderster Reihe mit. Einmal wurde er aktiv: Er setzte 2021 maßgeblich die Kanzlerkandidatur von Armin Laschet gegen CSU-Chef Markus Söder mit durch. Mit Laschet verlor die Union die Bundestagswahl. Dies sollte Schäubles letzte Niederlage in seinem politischen Leben gewesen sein. Wolfgang Schäuble starb am 26. Dezember im Alter von 81 Jahren im Kreise seiner Familie.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen