Gerhard Richter: Engadin

16. Dezember 2023 - 13. April 2024 Segantini Museum, St. Moritz
Gerhard Richter: Engadin

Gerhard Richter: Engadin

Gerhard Richter (geb. 1932) ist einer der führenden und berühmtesten Künstler der Gegenwart; seine Werke befinden sich in internationalen Sammlungen und wurden in zahlreichen Museen und Galerien in Europa und den USA ausgestellt. 1989 kam Richter für einen Urlaub nach Sils, und während über 25 Jahren hielt er sich regelmässig für Sommer- oder Winterferien in dem Oberengadiner Dorf auf. Erstmals thematisiert diese Ausstellung, die an drei Standorten in St. Moritz und Sils gezeigt wird, Richters enge Beziehung zu dieser Landschaft. Über siebzig Werke aus Museen und privaten Sammlungen – Bilder, übermalte Fotos, Zeichnungen und ein Objekt – veranschaulichen die Faszination, welche das Oberengadin auf ihn ausübte.

Das Werk, das die drei Ausstellungsorte miteinander verbindet, denn es ist an jedem von ihnen zu sehen, ist eine Stahlkugel, die Richter als Edition anfertigen liess und 1992 in einer von Hans Ulrich Obrist kuratierten Ausstellung im Nietzsche-Haus präsentierte. Jedes Exemplar der Kugel trägt den Namen eines Oberengadiner Bergs. Die matt glänzende, unfassbar wirkende Kugel, die alles, was sie umgibt, leicht spiegelt, ist ein Sinnbild für die erhabene und zugleich abweisende Erscheinung der Natur, wie sie im Gebirge besonders eindrücklich hervortritt.

Im Segantini Museum und bei Hauser & Wirth sind Bilder ausgestellt, die Richter nach Fotos malte, die er bei Wanderungen im Oberengadin aufnahm. Mit diesen Bildern eröffnete er ein neues Kapitel in seiner Landschaftsmalerei, die ihn als vermeintlich unzeitgemässe Gattung stets angezogen hatte. Richters Landschaften mit Engadiner Motiven sind exemplarisch für die Ambiguität seiner Malerei; sie bewegen sich zwischen der verführerischen Verklärung der Natur und der Erfahrung ihrer Fremdheit. Besonders eindrücklich ist das Bild „Wasserfall“ (1997) aus dem Kunst Museum Winterthur, an dem Richters Auseinandersetzung mit der Malerei des 19. Jahrhunderts, von der Romantik zum Realismus, sichtbar wird. Einige Motive, Bilder des Piz Materdell und des Silsersees, übermalte Richter später und verwandelte sie zu abstrakten Bildern, deren melancholische Stimmung auf die Eindrücke der Landschaft antwortet.

Die Fotos, die Richter aus dem Oberengadin nach Hause brachte, dienten ihm nicht allein als Vorlagen für Bilder. Viele von ihnen nutzte er, um sie mit Ölfarbe oder Lackfarbe zu bearbeiten. Es reizte Richter, das fotografische Bild mit feinen Farbspuren zu akzentuieren, es mit Flecken und Klecksen zu stören oder es mit der Rakel fast gänzlich mit Farbe zu überziehen, um auf diese Weise Abbildung und Farbmaterie in Berührung zu bringen, sie einander anzunähern oder sie aufeinanderprallen zu lassen. An den beiden Ausstellungsorten in St. Moritz sind über fünfzig dieser attraktiven kleinformatigen Arbeiten zu sehen. Dieses neue Kapitel in seinem OEuvre hatte Richter erstmals in der erwähnten Ausstellung im Nietzsche-Haus präsentiert, die ihm ganz eigentlich als Probelauf dafür diente. Einige der ersten übermalten Fotos wurden zu diesem Anlass im Künstlerbuch „Sils“ (1992) abgebildet, dessen von Richter gestaltete Maquette bei Hauser & Wirth zu sehen ist.

Im Nietzsche-Haus schliesslich sind erstmals die 39 Fotos ausgestellt, die Richter in Sils für das Buch „Dezember“ machte, das er 2010 gemeinsam mit dem Autor und Filmemacher Alexander Kluge bei Suhrkamp publizierte. Die verschneiten Tannen, die Richter aufnahm, sind stumme Begleiter von Kluges Texten, die prägenden historischen Ereignissen gewidmet sind.