Diagnose Akromegalie: Die Leidensgeschichte von Nicole Wever

Die 34-Jährige klagt lange Zeit über Abgeschlagenheit und Kreislaufschwäche

Roland Thöring

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Der Ring passt nicht mehr: Die Akromegalie hat die Finger dicker werden lassen. Die krankheitsbedingte Ausschüttung des Wachstumshormons hat bei Nicole Wever zudem dazu geführt, dass sie Schuhe nicht mehr in der Größe 37, sondern 40 tragen muss. - © Roland Thöring
Der Ring passt nicht mehr: Die Akromegalie hat die Finger dicker werden lassen. Die krankheitsbedingte Ausschüttung des Wachstumshormons hat bei Nicole Wever zudem dazu geführt, dass sie Schuhe nicht mehr in der Größe 37, sondern 40 tragen muss. (© Roland Thöring)

Verl. Das Gemeine an dieser Krankheit ist, dass sie kaum jemand kennt. Auch die meisten Ärzte haben sie nicht auf dem Schirm. So gesehen ist die Leidensgeschichte von Nicole Wever eine typische.

Jahrelang ist die 34-Jährige von Arzt zu Arzt gezogen, hat sich Blut abnehmen lassen und wurde per Ultraschall untersucht. Woher ihre Abgeschlagenheit kam, warum der Kreislauf schwächelte, niemand wusste es. Die sichtbaren körperlichen Veränderungen wurden nicht auf die Erkrankung zurückgeführt. Auch nicht, als die Verlerin Schuhe in Größe 40 statt 37 tragen musste.

Vor drei Jahren dann endlich die Diagnose: Akromegalie.
An der Akromegalie, Folge eines Tumors der Hirnanhangdrüse, erkranken jährlich nur drei bis vier Menschen pro eine Million Einwohner. Die deutsche Gesellschaft für Endokrinologie schätzt, dass in Deutschland lediglich zwischen 3.000 und 6.000 Betroffene leben, in einer Stadt von der Größe Verls statistisch gesehen also nur einer. Nicole Wever ist betroffen.

Vor etwa neun Jahren traten die ersten Begleiterscheinungen auf. „Doch die sind zunächst nur mir aufgefallen", sagt die 34-Jährige. Als sie mit den Symptomen zum Arzt ging, sei sie in der Regel auf Ratlosigkeit und oft auf Unverständnis gestoßen, berichtet Wever.

Zweimal hatten die Mediziner einen wenig hilfreichen Rat parat: „Ich kann Ihnen einen guten Psychologen empfehlen". Die Verlerin blieb mit ihrem Leiden dann lieber allein: „Bevor die mich einweisen, halte ich besser still, habe ich mir dann gedacht." Vor vier Jahren musste die studierte Grafikdesignerin krankheitsbedingt ihre Selbstständigkeit aufgeben.

Dann kam der Tag des Zusammenbruchs. „Ich bin einfach weggekippt", erinnert sich Nicole Wever. Ihr Mann Frank, Diabetiker, prüfte ihren Blutzuckerwert: Der war dramatisch gesunken. Die Diabetologin ihres Mannes überwies sie zum Zuckertest ins Herz- und Diabeteszentrum nach Bad Oeynhausen. „Mein Glück", sagt Nicole Wever heute. Den folgenden Hungertest brach sie zwar nach zwei Tagen ab, aber sie traf hier auf den Arzt Christian El-Saqqa. „Für ihn war Akromegalie kein Fremdwort. Er stellte mir so komische Fragen: Ist Ihre Zunge gewachsen, haben sich Ihre Hände oder Füße vergrößert, wie steht es um die Körperbehaarung?"

„Sie haben 
einen Tumor 
im Kopf."

Danach ging es für Schichtaufnahmen des Kopfes in den Kernspintomographen und am Folgetag stand die Diagnose fest: „Sie haben einen Tumor im Kopf". Christian El-Saqqa überbrachte quälende Stunden später die wirklich gute Nachricht. Der Hirnanhangdrüsentumor sei gutartig und operabel, die ungehemmte Ausschüttung des Wachstumshormons, das inzwischen auch die Gesichtszüge verändert und zu einer tieferen Stimme geführt hatte, könne gestoppt werden.

Wenige Wochen später wurde Nicole Wever im Uniklinikum Erlangen operiert. Sechs Stunden lang. „Vom 2,8 Zentimeter großen Tumor konnte bis auf einen fast unsichtbaren Teil alles entfernt werden", sagt sie. Zwei Jahre lang erhielt sie einmal im Monat eine Injektion mit dem Wachstumshormonhemmer Somatostatin.

Doch wie geht es jetzt weiter? „Ich habe meinen Arzt gefragt, wie lange ich das Medikament nehmen muss." Der Arzt riet zum Versuch, die Spritzen abzusetzen. Sieben Wochen ist das jetzt her, das Ergebnis ernüchternd: „Ich habe innerhalb von zwei Wochen zwölf Kilogramm zugenommen. Trotz Diät, Schrittzähler und täglichem Training", sagt Nicole Wever. Die Schweißausbrüche sind wieder da, die Mattigkeit, der Kreislauf macht schlapp. Der fünf Jahre alte Trauring passt nicht mehr. Die 34-Jährige musste sich komplett neu einkleiden. Die Folgen der Akromegalie sind zurück.

Nicole Wever ist trotzdem kämpferisch. Sie hat erreicht, dass ihr das lindernde Medikament wieder verschrieben wurde. In zwei bis vier Wochen wird die Wirkung einsetzen. Sie leidet aber auch darunter, „dass man mit dieser Krankheit nicht ernst genommen wird". Aus Unwissenheit sogar von manchem Arzt nicht.

Sie will informieren, indem sie sich mit ihrer äußerst seltenen Krankheit nicht versteckt, und sie will Informationen mit anderen Betroffenen austauschen. Die zu finden, ist allerdings nicht einfach: „Ich habe eine Facebook-Gruppe zur Akromegalie gegründet. Die Resonanz war gleich null."

Nicole Wever sucht deshalb weiter nach Kontakt zu anderen Akromegaliekranken. Sie ist erreichbar unter der folgenden E-Mail-Adresse:
nicole-wever@t-online.de

Information

Akromegalie: Zahlen und Fakten

  • Akromegalie entsteht durch einen (gutartigen) Tumor der Hirnanhangsdrüse, der vermehrt und unkontrolliert Wachstumshormon ausschüttet.
  • Kommt es bereits im Kindesalter dazu, so entsteht ein Riesenwuchs.
  • Die Akromegalie wird am häufigsten zwischen dem 3. und 5. Lebensjahrzehnt diagnostiziert.
  • In Deutschland leben etwa 3.000 bis 6.000 an Akromegalie Erkrankte, etwa 250 bis 330 Neuerkrankungen werden pro Jahr diagnostiziert.
  • In der Regel vergehen ungefähr acht Jahre vom Auftreten erster Symptome bis zur Diagnose.
  • Die körperlichen Veränderungen (wie zum Beispiel ausgeprägte Vergrößerung von Händen, Füßen, Kinn, Ohren, Nase und Zunge) sind anfangs gering, das Krankheitsbild entwickelt sich schleichend.
  • Die kräftig erscheinenden Patienten klagen über rasche Ermüdbarkeit, verringerte körperliche Belastbarkeit, Konzentrationsschwäche, vermehrte Schweißneigung, oft über Kopfschmerzen und gelegentlich über diffuse Gelenkbeschwerden.
  • Der Überschuss an Wachstumshormon verändert nicht nur das Aussehen, sondern schädigt auch innere Organe und kann beispielsweise zu Diabetes und Herzerkrankungen führen.
  • Therapieziel ist die Beseitigung des Wachstumshormonüberschusses durch die vollständige Entfernung des Tumors.

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