Polit-Absturz
Mörgeli weiss, wie sich Freysinger fühlt: «Es tut halt ein bisschen weh»

Am letzten Wochenende erlebte Staatsrat Oskar Freysinger im Wallis den politischen Absturz. 2015 fiel Christoph Mörgeli, Rang zwei damals auf der Zürcher SVP-Liste, ins Vakuum der Abwahl. Gibt es Parallelen des Scheiterns? Wir trafen Mörgeli in Zürich.

Max Dohner
Drucken
Ewig gegen die Übermacht: Christoph Mörgeli.

Ewig gegen die Übermacht: Christoph Mörgeli.

Chris Iseli

Gewisse Weinbrände ändern über Zunge und Gaumen die Note. Offenbaren im Nachgang einen zweiten Charakter. Etwas Ähnliches passiert mit Christoph Mörgelis Lächeln. Es ist gewinnend, bis man sich fragt: Warum lacht Mörgeli ausdauernd? Auch dort, wo nichts Lustiges dem Gespräch zugrunde liegt? Und dann, eben im Nachgang, bleibt dieses Lächeln in der Luft hängen. Wie abgelöst, als lächelndes Gebiss. Da wirds etwas gespenstisch.

Natürlich kann das auf Einbildung beruhen und ursächlich auch jener Person zugeordnet werden, die Mörgeli zuhört, nicht Mörgeli selber. Ohnehin sollte bei einem Mann solcher Verzerrung – fremder wie auch selber betriebener Verzerrung – stets das von Zweifel sein: Kann man einem Mörgeli unbefangen gegenübersitzen, ohne ein Mörgeli-Bild im Kopf?

Und umgekehrt: Ist Mörgeli überhaupt willens, die verbeulte Rüstung des öffentlichen Streiters auch mal abzulegen und nur im zivilen Hemd über Turnierpolitik und Schlammschlacht zu berichten?

Zwei Feuermäuler im Raum

Die Begegnung findet statt in der Redaktion der «Weltwoche». In der aktuellen Nummer steuert Mörgeli, zu sechzig Prozent angestellt beim Magazin, gleich mehrere Artikel bei. Darunter einen historischen Abriss zum Titelthema über abgetriebene oder getötete Babys.

Einmal betritt der Chef den Raum, Roger Köppel, und bittet Christoph um eine Präzisierung der Begriffe. Trotz jetzt zweier Feuermäuler im Raum ist keine auch noch so leise Spannung zu spüren darüber, wer hier in Sachen Stil und Sprache sattelfester sei.

Fest steht auch, dass es Anlass zum Lachen gibt. Anlass ist ein Witz über Mörgelis Lieblingsgeist oder -gespenst, Micheline Calmy-Rey. Eingeladen bei Christoph Blocher in Herrliberg, betrachtete die ehemalige Bundesrätin die Bilder an der Wand: «Das ist ein Anker!» «Nein», sagte Blocher, «ein Hodler.» «Dann ist das hier», sagte Calmy-Rey «auch ein Hodler.» Blocher schüttelte abermals den Kopf: «Nein, Micheline, das jetzt ist ein Anker.» «Oh», ruft Calmy-Rey weiter vorn entzückt, «das kenne ich: ein Picasso!» – «Nein», sagt Blocher, «das ist ein Spiegel.»

Verspottet werden hier zwei Leute auf einen Schlag – die Magistratin und der Expressionist. Das allein wäre schon ziemlich gemein. Der Witz aber rechnet zusätzlich damit, dass die Zuhörer sofort Calmy-Rey und Picassos Frauenporträts mischen, von sich aus.

Der Witz funktioniert nur, wenn stimmt, womit er spekuliert: dass die Leute im Allgemeinen ziemlich fies sind. Ein solches Menschenbild kann man zynisch nennen. Warum aber soll in jedem Fall zynisch sein, was bloss den Finger auf die unschöne Wahrheit legt? Tut die Satire doch auch.

Mehr Einfluss als früher

Mörgeli schreibt regelmässig Kolumnen mit – nicht ganz gleichmässig – satirischem Biss. Vor zehn Jahren zeichnete ihn die Fachzeitschrift «Schweizer Journalist» aus als «Kolumnist des Jahres». Handwerklich verdient; die Jury nahm ihren Job wahr. Manche aber fühlten sich in ihrer Hämegemütlichkeit gestört: Biss Satire etwa nicht mehr brav von links? Ätzte plötzlich auch mal rechts?

An einem Workshop in Interlaken, eingeladen von der «Jungfrau-Zeitung», empfahl Mörgeli: «Die Satire muss sich an drei Dinge halten: Kürze. Sie sollte nur ein Thema haben. Und sie muss verletzen.» Ohne Stachel bleibe sie wirkungslos. «Tut halt ein bisschen weh.»

Den Stachel hoch präzis setzen kann freilich nur der, der genau weiss, wo der Nerv sitzt. Ähnlich wie beim Witz über Calmy-Rey. Es braucht – negativ gesagt – kalte Beobachtung, böse Fantasie. Und positiv gesagt: Es braucht vielleicht genaue Erinnerung, wo man selber mal verletzt worden war.

Der Antrieb hinter Mörgelis politischem Furor sei zynisch und böse, sagen viele: menschenfeindlich, verächtlich, ohne Empathie. Nein, sagen andere, das stilisiere den Mann zu sehr ins Macchiavellistische. Mörgeli fehle das Mitleidlose gegen sich selbst, das einen Machtintriganten erst wirklich gefährlich und erhaben mache.

Sie halten Mörgeli für jenen Buben auf dem Pausenplatz, der beim Wählen der Fussballteams stets als Letzter irgendwem noch untergeschoben wird. Das zeige seine Wehleidigkeit, die Rolle, worin er sich bevorzugt sehe: als Einzelkämpfer und Märtyrer, der sich – bzw. die Heimat – ständig verteidigen müsse gegen eine erdrückende Übermacht.

Man kann Mörgeli all das vortragen, ohne Watte drum rum. Er lauscht, fährt einem nicht ins Wort, braust nicht auf, als hätte es ein «Sind Sie vom Aff bisse!» nie gegeben. Anderseits winkt er auch nicht herablassend, zum Zeichen, wie ihn die ollen Kamellen bloss ermüden.

Den Einzelkämpfer will er nicht relativieren; als solchen bezeichnet er sich ja selbst. Wehleidig? Nein, er meine vielmehr, er sei hart im Nehmen. Die Übermacht haben selbstredend immer die anderen. Nie die wählerstärkste Partei, der Mörgeli seit früher Jugend angehört, deren Programm und Strategie er heute noch prägt. «Vielleicht mit mehr Einfluss als früher», sagt er.

Anders reagiert als Freysinger

Den sicherlich schwierigsten Tag in seiner Karriere, die unerwartete Abwahl, schildert Mörgeli mit den bekannten Schuldzuweisungen («politischer Brotkorbterror»), tatsächlich aber ohne Wehleidigkeit. Das Wort «Karriere» korrigiert er: «Ich bin einer, der daran nie gedacht hat.» Kann er nachfühlen, was am vergangenen Sonntag Oskar Freysinger passiert ist?

«Ein schmerzlicher Fall, in jeder Hinsicht», sagt Mörgeli, «aber das wäre es für jeden Schulpfleger, jede Schulpflegerin auch.» Freysinger tauchte vier Tage lang ab; hielt Mörgeli ihn da auch mal für suizidgefährdet? «Nein, nicht in einem Umfeld, wie es Freysinger hat, mit Frau und Kindern. Sicherlich macht man sich Gedanken, wie es materiell weitergeht.»

Anders als Freysinger stellte sich Mörgeli einen Tag nach der Abwahl der Öffentlichkeit (TeleZüri), zusammen mit Roger Köppel, dem Überflieger jenes Wochenendes. Und bekam schnell wieder Boden unter die Füsse. Während Christoph Blocher Götti ist von Mörgelis Tochter, nahm jetzt Köppel sozusagen Göttipflichten wahr für den doppelt ausgebooteten Genossen.

«Die doppelte Tragik», sagt Mörgeli, «bestand ja darin, dass ich am Medizinhistorischen Museum der Universität Zürich meine Stelle verlor wegen der Politik. Und mein politisches Amt wegen der Ereignisse an der Universität.» Ausserdem litt er an den Folgen eines schweren Autounfalls – sie seien spürbar noch heute. Auch die Ehe war unrettbar in die Krise geraten.

Ein Amigo und die Verdrahtung

Das ist Gegenwind, der manch anderen für lange aus dem Gleichgewicht geworfen hätte. Nun heisst es von der Politik, namentlich von Parteifreunden, dass sie einem noch während einer Umarmung das Messer in den Rücken stossen können. Um geliebt zu werden, sagt Mörgeli, müsse man zuletzt in die Politik gehen: «Liebe finden Sie anderswo.» Dennoch stärkten hier Parteifreunde Mörgeli den Rücken.

Köppel verschaffte ihm Arbeit auf der Redaktion und ein Mandat zurück im Parlament, als aussenpolitischer Berater. Aktuell lobt Köppel in den höchsten Tönen Mörgelis neues Werk, seinen Wälzer über 100 Jahre SVP. Das Lob mag verdient sein. Aber wie viel wert ist Lob aus einem Lautsprecher, dessen Verdrahtung man kennt? Wie viel Abhängigkeit von einem Amigo ist ausserdem einem Einzelkämpfer noch würdig und klug? «Damals nahm mir die Unterstützung die Mutlosigkeit», sagt Mörgeli, «heute habe ich auch meine Research Mörgeli GmbH, eine Beraterfirma.»

Also reden wir am Schluss vom Tod. Als langjähriger Vizepräsident der Europäischen (!) Totentanz-Vereinigung (der Sensemann kennt halt keine Nation) ist Mörgeli fasziniert von dieser grossen, alle Künste umfassenden Kulturtradition.

Wir fragen: «Macht Sie jene Kälte immun?» Woher bezieht Mörgeli den Mut, sich rücksichtslos in Kämpfe zu verbeissen, schon als Gymnasiast allein auf rechter Flur, Kämpfe gnadenlos durchzustehen, einen Biss nie zu bereuen? Wie bei Samuel Schmid, den Mörgeli zu Tränen trieb. Ist das wieder nur Instinkt, stets zu wittern, wo bei anderen der Nerv sitzt, wo ihre Tapferkeit endet und die Schwäche beginnt? Oder steckt darin auch etwas vom gleichgültigen Gleichmacher Tod?

Mörgeli lacht ... und überlegt: «Journalisten, sagt er, halluzinierten ihn gern als makabren Geistertänzer bei Mitternacht im Wald. Sein Interesse am Totentanz sei aber wissenschaftlich. Hingegen seien es Lebende, sehr vitale Menschen gewesen, die ihm das Rüstzeug zum Streit weitergegeben hätten: weniger die Eltern als seine Grosseltern.

Da sei zwischen Hundwil AR, Töss und Rebstein im Rheintal eine Rueche-Mélange entstanden, die, akademisch zugeschliffen, zweifellos von Nutzen sei im politischen Gefecht. Abgesehen davon, dass er eine Bauernwelt kennen gelernt habe «wie heute im Balkan». Neben dem Plumpsklo bei Verwandten, wo der Knabe Christoph hockte, lagen Schnipsel des «Tages-Anzeigers»: «Zeitungspapier diente hervorragend zu dem Zweck.»