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Seltenes NaturspektakelAbends ist der Himmel voller Vögel

Wer unter Ornithophobie, also der Angst vor Vögeln, leidet, sollte dem Wald zwischen Langenthal und Untersteckholz momentan fernbleiben. Allen anderen präsentiert sich dieser Tage ein Spektakel der besonderen Art: Jeden Abend finden sich Tausende von Bergfinken zur Nachtruhe ein.

Das Schauspiel beginnt gegen 16 Uhr. Erst sind es nur vereinzelte Trupps von Vögeln, die über die Waldlichtung fliegen. Dann werden es mehr und mehr, bis schliesslich der ganze Wald voll zu sein scheint und sich das Flattern und Rufen der Bergfinken wie ein rauschender Bach anhört.

Ein solches Naturereignis bleibt nicht unentdeckt. An die 120 Menschen stehen an jenem Abend im Wald, viele sind von weit her angereist. Autos mit Zuger, Bündner oder Freiburger Nummern stehen am Strassenrand. Man verhält sich mehrheitlich ruhig, niemand schreit oder macht sonst lauten Lärm.

Eine Million Vögel bleibt nicht verborgen. Schaulustige versammeln sich bei Untersteckholz, um das Spektakel zu verfolgen.

«Die meisten Leute, die herkommen, sind auch sonst an Vögeln interessiert und wissen, wie man sich zu verhalten hat», sagt Umweltnaturwissenschafter und Ornithologe Manfred Steffen. Will heissen: sich ruhig verhalten, auf den Wegen bleiben, den Tiere nicht zu nahe kommen.

Entdeckung bei der Milan-Zählung

«Die Bergfinken sind schon seit November im Gebiet», erzählt Steffen weiter. Er ist von Berufs wegen viel in der Natur unterwegs. Als er eines Abends bei Untersteckholz war, um Rotmilane zu zählen, hat er einen grossen Schwarm von Bergfinken in den Wald fliegen sehen. «Es waren da schon sehr viele, dass der Schlafplatz am Ende aber so gross sein würde, hätte ich nicht gedacht.»

Bergfinken sind etwas grösser als Spatzen und brüten in den Ländern Skandinaviens.

Manfred Steffen schätzt, dass es über eine Million Vögel sind. Diese Zahl nennt er auch auf der Website des Umweltschutzvereins Lebendiges Rottal, den er präsidiert.

«Nadelwälder sind beliebt»

Schlafplätze bilden sich nach und nach, und zwar dort, «wo es klimatisch günstig ist», wie Livio Rey von der Vogelwarte Sempach erklärt. Der Platz müsse vor Wind und Kälte geschützt sein. «Nadelwälder sind beliebt, dort ist es häufig ein bisschen wärmer.»

Die Bergfinken brüten in den Ländern Skandinaviens oder noch etwas weiter nördlich in Russland. Den Winter verbringen sie im südlicheren Europa, auch in der Schweiz. «Es sind jedes Jahr Bergfinken zu beobachten», so Rey. Dass sie aber dermassen gehäuft auftreten wie jetzt im Oberaargau, «das passiert nur alle paar Jahre».

Zum Schlafen in den Nadelwald, auf Futtersuche im Laubwald: Bergfinken sind viel unterwegs.

Dafür muss vor allem eine Voraussetzung gegeben sein: Die Buchen müssen ein Mastjahr hinter sich haben, also besonders viele Samen gebildet haben. «Buchnüsschen sind die Hauptnahrung von Bergfinken», erklärt Rey. Um diese zu finden, nehmen sie weite Wege auf sich: Bergfinken sind in einem Radius von bis zu 40 Kilometern rund um den Schlafplatz unterwegs.

Neben dem Angebot an Nahrung müssen gemäss Livio Rey zwei weitere Faktoren gegeben sein, damit Bergfinken in so grosser Zahl erscheinen: Es darf kein Schnee liegen, weil die Vögel sonst ihre Nahrung nicht mehr finden; und, ganz einfach, es müssen weiter im Norden schlechtere Bedingungen herrschen als hier.

Verhalten gibt Rätsel auf

Warum sich die Bergfinken zu so grossen Schlafgemeinschaften zusammenfinden, weiss man nicht genau. «Es gibt verschiedene Theorien dazu», so Rey, «aber noch keine definitive Antwort.» Ebenfalls keine gesicherte Antwort gibt es auf die Frage, wie lange die Bergfinken im Oberaargau bleiben: «Wenn alles stimmt, kann es sein, dass sie erst im März wegfliegen, wenn sie sich auf den Weg zurück in ihre Brutgebiete machen.»

Dass den Bergfinken die Nahrung ausgeht oder sie diese anderen Vögeln, wie etwa den Meisen oder den Buchfinken, streitig machen, sei nicht zu befürchten, erklärt Rey: «Von der vorhandenen Menge Buchennüsschen fressen Bergfinken drei Prozent bis maximal ein Viertel.» Das hätten Untersuchungen ergeben. «Bei einer Buchenmast hat es für alle genug.» Übrigens mögen nicht nur Vögel die Samen der Buchen, auch Wildschweine machen sich gern darüber her.

Genug Futter, ein passender Schlafplatz, viel Gesellschaft – und Menschen, die sich zu benehmen wissen: Eigentlich müsste man meinen, die Bergfinken hätten einen ruhigen Winter im Oberaargau. Doch es gibt da ein paar natürliche Störenfriede: Am Himmel über Untersteckholz zieht ein Sperber seine Runden. Er ist auf der Suche nach Beute – ein Bergfink käme ihm gerade recht.