Gesundheit

Präsentismus: Diese Gründe treiben Menschen dazu, krank zur Arbeit zu gehen

Wer einen Infekt hat und eigentlich ins Bett gehört, sitzt manchmal trotzdem am Schreibtisch. Das ist aus verschiedensten Gründen nur selten eine gute Idee.
Krank zur Arbeit Mann am Schreibtisch
Getty Images

Die Nase läuft und der Kopf schmerzt: Während manche Menschen mit einem Infekt zu Hause bleiben, schleppen andere sich krank zur Arbeit. Dieses Phänomen wird auch als Präsentismus bezeichnet – und es ist weit verbreitet.

Die Gründe dafür sind unterschiedlich: Wer krank arbeiten geht, glaubt etwa, unverzichtbar zu sein oder fürchtet um seinen Job. Das falsch verstandene Pflichtgefühl führt allerdings nicht selten dazu, dass Infekte verschleppt werden oder sich die ganze Abteilung ansteckt und ausfällt. (Lesen Sie auch: Ihre Kopfhaut schmerzt? Das können Sie dagegen tun)

Drei Viertel der Berufstätigen gehen krank zur Arbeit

Präsentismus ist keineswegs selten: Eine Studie der Krankenkasse Pronova BKK hat etwa gezeigt, dass rund drei Viertel der Berufstätigen auch dann zur Arbeit gehen, wenn sie krank sind. Besonders auffällig ist dieser Trend bei unter 30-Jährigen.

Am häufigsten kommen Mitarbeitende mit Rückenschmerzen noch ins Büro (49 Prozent). Mit einem ansteckenden Infekt und negativem Corona-Test arbeiten rund 20 Prozent der Befragten noch in Präsenz – und insgesamt kuriert sich nur eine Minderheit zu Hause vollständig aus. (Auch interessant: Warum bin ich so müde? Die Ursachen für starke Müdigkeit und wie man sie bekämpfen kann)

Präsentismus ist vor allem bei unter 30-Jährigen verbreitet.

Getty Images

Ein Grund: Selbstwert durch Leistung

Ursachen für Präsentismus gibt es viele: Betroffen sind vor allem Menschen, die ihren Selbstwert aus ihrer Arbeit ziehen: Sie können sich so schlecht fühlen, wenn sie keine Leistung erbringen, dass sie sich lieber trotz Krankheit auf den Weg zur Arbeit machen.

Auch wer Angst um seinen Arbeitsplatz hat oder sich beweisen möchte, ist eher anfällig für Präsentismus. Das sagt auch Coach und Verkaufstrainer Dirk Kreuter: „Besonders betroffen dürften Mitarbeitende sein, die noch relativ neu im Unternehmen sind und ihren Arbeitseifer zeigen wollen.“ (Auch lesenswert: Hörschwäche: Das sind die 5 Anzeichen dafür – auch bei jungen Menschen)

Produktivität leidet, Fehler nehmen zu

Dabei ist es keine gute Idee, sich krank zur Arbeit zu quälen, wenn der Körper signalisiert, dass man eigentlich ins Bett gehört. „Sich krank ins Büro zu schleppen, schadet natürlich in erster Linie der eigenen Gesundheit, aber auch die eingeschränkte Leistungsfähigkeit kann sich dadurch in die Länge ziehen“, sagt der Experte. Wer sich schlapp fühlt, ist nicht so produktiv wie sonst, die Konzentration und die Produktivität leiden – und damit nimmt auch die Wahrscheinlichkeit für Fehler zu.

Die Gefahr verschleppter Infekte geht auch aus der Studie der Pronova BKK hervor. „Wer sich nicht in Ruhe auskuriert, der riskiert, dass Viruserkrankungen auch das Herz oder andere Organe angreifen oder sich durch Medikamente unterdrückte Symptome verschlimmern“, wird Dr. Gerd Herold zitiert, Beratungsarzt bei der Pronova BKK. An der Gewohnheit vieler Beschäftigter, auch krank am Arbeitsplatz präsent zu sein, hätten auch die Erfahrungen mit dem Infektionsschutz während der Corona-Pandemie anscheinend nichts geändert. (Lesen Sie auch: Nächtliches Schwitzen: Was ist es und was kann man dagegen tun?)

Die Studie zeigt außerdem, dass 34 Prozent der Beschäftigten auch mit leichten Erkrankungen in den Betrieb gehen, während sich nur 18 Prozent in dieser Situation für die Arbeit im Homeoffice entscheiden. Selbst bei einer Corona-Erkrankung mit einem milden Verlauf kommen noch rund neun Prozent der Beschäftigten zur Arbeit – und gefährden damit alle anderen.

Eine Lösung: Arbeit zu Hause ermöglichen

Unternehmen können selbst eine Menge dazu beitragen, damit das nicht passiert. Hilfreich ist dafür etwa, dass die Arbeit in Präsenz nicht so einen hohen Stellenwert im Unternehmen hat. Kreuter sieht hier als eines der Hauptprobleme fehlendes Vertrauen in die Mitarbeitenden und den Wunsch nach Kontrolle auf Seiten der Arbeitgeber. (Auch interessant: Zahnarzt verrät: Das haben Zähne mit der sportlichen Leistungsfähigkeit zu tun)

„Das Problem beginnt aber nicht erst dort, wo der Arbeitgeber Anwesenheit voraussetzt, sondern schon bei der Auswahl der Belegschaft“, sagt er. „Als Führungskraft muss ich jedem Einzelnen in meinem Unternehmen auch in körperlicher Abwesenheit – beispielsweise im Homeoffice – vertrauen können, dass er seine bestmögliche Leistung abliefert.“

Wer Angst um seinen Arbeitsplatz hat oder sich beweisen möchte, ist anfällig für Präsentismus.

Getty Images

Präsentismus mit weitreichenden Folgen

Außerdem hilft es, wenn Unternehmen die Schwelle für Mitarbeitende möglichst niedrig halten. „Dazu gehört auch zu kommunizieren, dass Krankheit zum Leben gehört und sich niemand dafür schämen muss“, sagt der Experte. (Auch lesenswert: Stressresistenz: Wie Resilienz als stiller Helfer gegen Stress wirkt)

Klar sollte auch sein, dass es Folgen für das gesamte Unternehmen haben kann, wenn Mitarbeitende mit einem ansteckenden Infekt in Präsenz arbeiten. Sollten sich Kollegen anstecken, kann das weite Kreise ziehen: „Es entsteht eine Krankheitsspirale, die den Betrieb und der Gesundheit auf lange Sicht teuer zu stehen kommen kann“, sagt der Coach.

Lieber eingeschränkt zu Hause arbeiten

Kreuter hat außerdem einen pragmatischen Vorschlag, um mit dem Thema umzugehen: „Wenn ein Mitarbeiter sich arbeitsfähig fühlt – und sei es nur für zwei Stunden – kann er auch aus dem Homeoffice arbeiten.“ Das sei allemal sinnvoller, als sich stundenlang in ein überfülltes Wartezimmer zu setzen und sich dort noch mehr Risiken auszusetzen, um einen Krankenschein zu bekommen. (Lesen Sie auch: Gesündestes Obst im Check: Das sind unsere 9 Favoriten)

Präsenz sei einerseits wichtig für ein gutes Arbeitsklima und auch für die Produktivität, sagt der Coach. Ein zusammenstehendes Team ist einfach leistungsfähiger. „Andererseits muss auch jeder Mitarbeiter seine Grenze eigenständig ziehen.“

Bei Fieber ab ins Bett

Wer Fieber hat, gehört klar ins Bett und nicht zur Arbeit. Auch bei einem ansteckenden Infekt wie etwa einer Magen-Darm-Grippe sollte man dem Team die eigene Anwesenheit besser ersparen. Letztlich entscheidet auch das eigene Befinden darüber, ob man in Präsenz arbeitet, im Homeoffice besser aufgehoben ist – oder sich lieber gleich ins Bett legt, um sich auszukurieren. (Auch lesenswert: Kreislaufprobleme: Wie Sie diese erkennen und was wirklich schnell hilft)

„Vielleicht geht es mir morgens noch gut und bereits am Mittag habe ich Fieber“, sagt Kreuter. In dem Fall sollte jeder Mitarbeitende ehrlich zu seinen Vorgesetzten und zu sich selbst sein und sich lieber auskurieren. „Um den Graubereich dazwischen abzudecken, ist die schon angesprochene Flexibilität des Arbeitgebers wichtig: Lieber zwei Stunden Homeoffice und danach auskurieren als drei Stunden Wartezimmer und länger ausfallen.“