Lot Nr. 95


Jan Steen

[Saleroom Notice]
Jan Steen - Alte Meister

(Leiden 1626–1679)
Christus im Hause von Martha und Maria,
monogrammiert rechts unten (auf der Stufe): IS,
Öl auf Leinwand, 106 x 89 cm, gerahmt

Saleroom Notice:

Ausgestellt:
Amsterdam, Rijksmuseum, Tentoonstelling Bijbelsche Kunst, 8. Juli – 8. Oktober 1939, S. 80, Nr. 96 b

Provenienz:
Graf Karl August von Kospoth (1836–1928), Schloss Briese, Niederschlesien, bis 1932;
Kunsthandel D. Katz, Dieren, 1932;
Sammlung Willem Petrus J. A. Weebers ten Bos, Nijmegen (1899–1979), circa 1932-1979;
Sammlung A. J. M. Deckers, Heerlen, bis etwa 2015;
dort erworben durch den jetzigen Besitzer

Literatur:
C. Hofstede de Groot, W. R. Valentiner, Catalogue Raisonné of the Works of the Most Eminent Dutch Painters of the Seventeenth Century Based on the Work of John Smith, Bd. I, London 1908, S. 51A;
M. D. Henkel, Jan Steen und der Delfter Vermeer, in: A. Donath (Hg.), Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen, Bd. 13/14, Berlin 1931/1932, S. 265–266B;
D. Kirschenbaum, The Religious and Historical Paintings of Jan Steen, A Catalogue of Jan Steen Works, Oxford 1977, S. 149, Nr. 6, Abb. 128 (als nicht von Jan Steen);
K. Braun, Alle tot nu toe bekende schilderijen van Jan Steen, Rotterdam 1980, S. 162, Nr. B-9, mit Abb. (als zweifelhafte Zuschreibung an Jan Steen auf Grundlage einer Schwarz-Weiß-Fotografie);
A. Blankert, Vermeer, Paris 1986, S. 72, 74, Abb. 54

Dem vorliegenden Gemälde liegt die Fotokopie einer Echtheitsbescheinigung bei, ausgestellt am 27. Dezember 1990 von Karel Braun, welche die Zuschreibung an Jan Steen auf der Grundlage von Fotografien zur Gänze bestätigt.

Das vorliegende Gemälde ist in der Datenbank des RKD unter Nr. 268221 verzeichnet (als Jan Steen).

Das Bild wird auf ConnectVermeer.org als Werk Jan Steens geführt, „angeregt von Johannes Vemeers Jesus im Hause von Martha und Maria“. Connect Vermeer geht auf die Initiative des Kurators Adriaan Waiboer zurück und begleitete die Ausstellung Vermeer and the Masters of Genre Painting: Inspiration and Rivalry, Musée du Louvre, Paris, National Gallery of Ireland, Dublin, und National Gallery of Art, Washington, 22. Februar 2017 – 21. Januar 2018.

Das vorliegende Werk ist ein bemerkenswertes Zeugnis der Befruchtung wie Rivalität zweier führender Künstlerpersönlichkeiten des holländischen Goldenen Zeitalters, Jan Steen und Johannes Vermeer. Das auf Leinwand gemalte Bild Jan Steens zeigt die in einem zeitgenössischen niederländischen Interieur angesiedelte Begebenheit von Christus im Hause Marthas und Marias mit einer italianisierenden Landschaftskulisse im Hintergrund. Dem Thema widmete sich auch Vermeer, der seine Anregungen vermutlich wiederum von einer Komposition des Flamen Erasmus Quellinus II. bezog, die in Künstlerkreisen durch einen Kupferstich von Georg van den Velden nach dem Entwurf von Quellinus II. weithin bekannt war (Museum Boijmans Van Beuningen, Rotterdam, Inv.-Nr. L2012/3 17).

Braun schreibt, dass ihn die Bildtypologie sowie die allgemeine Eloquenz und Ausdruckskraft der Komposition davon überzeugen, hier zweifellos ein Werk von der Hand Steens vor sich zu haben. Er bemerkt das meisterhaft ausgeführte Fischstillleben auf einem Dreifuß im Vordergrund und den bescheiden gedeckten Tisch, um den die Protagonisten angeordnet sind. Weiters führt er aus, dass der mit den Initialen des Künstlers signierte Steinsockel, auf dem die Handlung stattfindet, charakteristisch für Steen ist und der Szene Bühnenwirkung verleiht. Er stellt fest, dass die Signatur offenbar echt ist und dass die Art und Weise der Monogrammierung das Werk in Steens Frühzeit verweist.

Blankert legt nahe, dass Steen das Bild zu einer Zeit gemalt hat, als er sich nicht in Leiden befand, nämlich während seines Aufenthalts in Delft, was eine Entstehungszeit um 1655 annehmen lässt. Blankert bemerkt die im Vergleich zu Vermeers im selben Jahr fertiggestellten Gemälde komplexere Anordnung der Figuren und die andere Malweise, weist jedoch auch auf die ähnliche Positionierung der drei Hauptakteure um einen Tisch und auf Steens Entscheidung für ganzfigurige Darstellungen hin (siehe A. Blankert et al., Johannes Vermeer van Delft: 1632–1675, Utrecht 1977, S. 16f.).

Wie im Lukasevangelium berichtet wird, entschied sich Maria dafür, lieber den Lehren Jesu zuzuhören, als ihrer Schwester Martha bei der Zubereitung des Essens behilflich zu sein. Steens Hinzufügung zweier männlicher Figuren verleiht der Szene mehr Gemeinschaftlichkeit und Drama, während der Turban des einen den biblische Rahmen glaubhaft macht.

Steen, der wie Vermeers Frau (und möglicherweise Vermeer selbst) Katholik war, hat hier die Anwesenheit Christi in einem häuslichen Umfeld dargestellt, mit dem Erlöser als zentraler Figur, wobei die typischen Fischstillleben und Utensilien gegenüber der Predigt Jesu in den Hintergrund treten. Die beiden ruhigen, heiteren Figuren der heiligen Martha und der heiligen Maria, die hier Teil einer beliebten Geschichte der Gegenreformation sind, stehen in Kontrast zu den üblicherweise bei Steen dargestellten Frauen. Das vorliegende Bild ist innerhalb von Steens Schaffen ob seiner ruhigen, gelassenen und missionarischen Atmosphäre hervorhebenswert, und obwohl ein den Boden leckendes Kätzchen dargestellt ist, entfällt hier der charakteristische Fokus auf ein für Steen so typisches „Gesellschaftsstück“ zugunsten eines Dialogs mit der Komposition des großen Delfter Meisters.

Steen schrieb sich nachweislich 1646 an der Universität von Leiden ein und war zwei Jahre später gemeinsam mit Gabriel Metsu Mitbegründer der Leidener Lukasgilde. Sein vielgestaltiges Werk mag seiner abwechslungsreichen und vielseitigen Ausbildung geschuldet sein: Zuerst lernte er in der Werkstatt des Utrechter Historienmalers Nicolaus Knüpfer, dann schloss er sich dem Genre- und Landschaftsmaler Adriaen van Ostade an, dessen kleine, bodenstänige Figuren Steens winterliche Szenen prägen; schließlich stand er Jan van Goyen als Gehilfe zur Seite.

Steens Bedeutung innerhalb des Kanons der niederländischen Malerei rührt von seiner meisterlichen Erfassung der charakteristischen Züge der oft laut und rau aufgefassten, typisch holländischen Familie. Das Sittenbild seiner Zeit – elterliche Vorbildhaftigkeit, Trunkenheit und Laster – wird in Kompositionen wie „Soo voer gesongen, soo na gepepen“ bzw. „Wie die Alten sungen, so pfeifen die Jungen“ ausgestellt.

Obschon er aus dem Kreis seiner Kollegen durch seine trocken-humorige Weltsicht hervortritt, ist das vorliegende Werk ein aussagekräftiges Beispiel dafür, wie der Leidener Meister der fröhlichen Gesellschaften und lasterhaften häuslichen Szenen seine Talente auch einsetzen konnte, um eine Geschichte überzeugend zu erzählen und dabei die heitere Gelassenheit und Würde seines Zeitgenossen, des großen Delfter Malers Vermeer, zu interpretieren.

Experte: Damian Brenninkmeyer Damian Brenninkmeyer
+43 1 515 60 403

oldmasters@dorotheum.com

10.11.2020 - 16:00

Erzielter Preis: **
EUR 222.900,-
Schätzwert:
EUR 200.000,- bis EUR 300.000,-

Jan Steen

[Saleroom Notice]

(Leiden 1626–1679)
Christus im Hause von Martha und Maria,
monogrammiert rechts unten (auf der Stufe): IS,
Öl auf Leinwand, 106 x 89 cm, gerahmt

Saleroom Notice:

Ausgestellt:
Amsterdam, Rijksmuseum, Tentoonstelling Bijbelsche Kunst, 8. Juli – 8. Oktober 1939, S. 80, Nr. 96 b

Provenienz:
Graf Karl August von Kospoth (1836–1928), Schloss Briese, Niederschlesien, bis 1932;
Kunsthandel D. Katz, Dieren, 1932;
Sammlung Willem Petrus J. A. Weebers ten Bos, Nijmegen (1899–1979), circa 1932-1979;
Sammlung A. J. M. Deckers, Heerlen, bis etwa 2015;
dort erworben durch den jetzigen Besitzer

Literatur:
C. Hofstede de Groot, W. R. Valentiner, Catalogue Raisonné of the Works of the Most Eminent Dutch Painters of the Seventeenth Century Based on the Work of John Smith, Bd. I, London 1908, S. 51A;
M. D. Henkel, Jan Steen und der Delfter Vermeer, in: A. Donath (Hg.), Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen, Bd. 13/14, Berlin 1931/1932, S. 265–266B;
D. Kirschenbaum, The Religious and Historical Paintings of Jan Steen, A Catalogue of Jan Steen Works, Oxford 1977, S. 149, Nr. 6, Abb. 128 (als nicht von Jan Steen);
K. Braun, Alle tot nu toe bekende schilderijen van Jan Steen, Rotterdam 1980, S. 162, Nr. B-9, mit Abb. (als zweifelhafte Zuschreibung an Jan Steen auf Grundlage einer Schwarz-Weiß-Fotografie);
A. Blankert, Vermeer, Paris 1986, S. 72, 74, Abb. 54

Dem vorliegenden Gemälde liegt die Fotokopie einer Echtheitsbescheinigung bei, ausgestellt am 27. Dezember 1990 von Karel Braun, welche die Zuschreibung an Jan Steen auf der Grundlage von Fotografien zur Gänze bestätigt.

Das vorliegende Gemälde ist in der Datenbank des RKD unter Nr. 268221 verzeichnet (als Jan Steen).

Das Bild wird auf ConnectVermeer.org als Werk Jan Steens geführt, „angeregt von Johannes Vemeers Jesus im Hause von Martha und Maria“. Connect Vermeer geht auf die Initiative des Kurators Adriaan Waiboer zurück und begleitete die Ausstellung Vermeer and the Masters of Genre Painting: Inspiration and Rivalry, Musée du Louvre, Paris, National Gallery of Ireland, Dublin, und National Gallery of Art, Washington, 22. Februar 2017 – 21. Januar 2018.

Das vorliegende Werk ist ein bemerkenswertes Zeugnis der Befruchtung wie Rivalität zweier führender Künstlerpersönlichkeiten des holländischen Goldenen Zeitalters, Jan Steen und Johannes Vermeer. Das auf Leinwand gemalte Bild Jan Steens zeigt die in einem zeitgenössischen niederländischen Interieur angesiedelte Begebenheit von Christus im Hause Marthas und Marias mit einer italianisierenden Landschaftskulisse im Hintergrund. Dem Thema widmete sich auch Vermeer, der seine Anregungen vermutlich wiederum von einer Komposition des Flamen Erasmus Quellinus II. bezog, die in Künstlerkreisen durch einen Kupferstich von Georg van den Velden nach dem Entwurf von Quellinus II. weithin bekannt war (Museum Boijmans Van Beuningen, Rotterdam, Inv.-Nr. L2012/3 17).

Braun schreibt, dass ihn die Bildtypologie sowie die allgemeine Eloquenz und Ausdruckskraft der Komposition davon überzeugen, hier zweifellos ein Werk von der Hand Steens vor sich zu haben. Er bemerkt das meisterhaft ausgeführte Fischstillleben auf einem Dreifuß im Vordergrund und den bescheiden gedeckten Tisch, um den die Protagonisten angeordnet sind. Weiters führt er aus, dass der mit den Initialen des Künstlers signierte Steinsockel, auf dem die Handlung stattfindet, charakteristisch für Steen ist und der Szene Bühnenwirkung verleiht. Er stellt fest, dass die Signatur offenbar echt ist und dass die Art und Weise der Monogrammierung das Werk in Steens Frühzeit verweist.

Blankert legt nahe, dass Steen das Bild zu einer Zeit gemalt hat, als er sich nicht in Leiden befand, nämlich während seines Aufenthalts in Delft, was eine Entstehungszeit um 1655 annehmen lässt. Blankert bemerkt die im Vergleich zu Vermeers im selben Jahr fertiggestellten Gemälde komplexere Anordnung der Figuren und die andere Malweise, weist jedoch auch auf die ähnliche Positionierung der drei Hauptakteure um einen Tisch und auf Steens Entscheidung für ganzfigurige Darstellungen hin (siehe A. Blankert et al., Johannes Vermeer van Delft: 1632–1675, Utrecht 1977, S. 16f.).

Wie im Lukasevangelium berichtet wird, entschied sich Maria dafür, lieber den Lehren Jesu zuzuhören, als ihrer Schwester Martha bei der Zubereitung des Essens behilflich zu sein. Steens Hinzufügung zweier männlicher Figuren verleiht der Szene mehr Gemeinschaftlichkeit und Drama, während der Turban des einen den biblische Rahmen glaubhaft macht.

Steen, der wie Vermeers Frau (und möglicherweise Vermeer selbst) Katholik war, hat hier die Anwesenheit Christi in einem häuslichen Umfeld dargestellt, mit dem Erlöser als zentraler Figur, wobei die typischen Fischstillleben und Utensilien gegenüber der Predigt Jesu in den Hintergrund treten. Die beiden ruhigen, heiteren Figuren der heiligen Martha und der heiligen Maria, die hier Teil einer beliebten Geschichte der Gegenreformation sind, stehen in Kontrast zu den üblicherweise bei Steen dargestellten Frauen. Das vorliegende Bild ist innerhalb von Steens Schaffen ob seiner ruhigen, gelassenen und missionarischen Atmosphäre hervorhebenswert, und obwohl ein den Boden leckendes Kätzchen dargestellt ist, entfällt hier der charakteristische Fokus auf ein für Steen so typisches „Gesellschaftsstück“ zugunsten eines Dialogs mit der Komposition des großen Delfter Meisters.

Steen schrieb sich nachweislich 1646 an der Universität von Leiden ein und war zwei Jahre später gemeinsam mit Gabriel Metsu Mitbegründer der Leidener Lukasgilde. Sein vielgestaltiges Werk mag seiner abwechslungsreichen und vielseitigen Ausbildung geschuldet sein: Zuerst lernte er in der Werkstatt des Utrechter Historienmalers Nicolaus Knüpfer, dann schloss er sich dem Genre- und Landschaftsmaler Adriaen van Ostade an, dessen kleine, bodenstänige Figuren Steens winterliche Szenen prägen; schließlich stand er Jan van Goyen als Gehilfe zur Seite.

Steens Bedeutung innerhalb des Kanons der niederländischen Malerei rührt von seiner meisterlichen Erfassung der charakteristischen Züge der oft laut und rau aufgefassten, typisch holländischen Familie. Das Sittenbild seiner Zeit – elterliche Vorbildhaftigkeit, Trunkenheit und Laster – wird in Kompositionen wie „Soo voer gesongen, soo na gepepen“ bzw. „Wie die Alten sungen, so pfeifen die Jungen“ ausgestellt.

Obschon er aus dem Kreis seiner Kollegen durch seine trocken-humorige Weltsicht hervortritt, ist das vorliegende Werk ein aussagekräftiges Beispiel dafür, wie der Leidener Meister der fröhlichen Gesellschaften und lasterhaften häuslichen Szenen seine Talente auch einsetzen konnte, um eine Geschichte überzeugend zu erzählen und dabei die heitere Gelassenheit und Würde seines Zeitgenossen, des großen Delfter Malers Vermeer, zu interpretieren.

Experte: Damian Brenninkmeyer Damian Brenninkmeyer
+43 1 515 60 403

oldmasters@dorotheum.com


Käufer Hotline Mo.-Fr.: 10.00 - 17.00
old.masters@dorotheum.at

+43 1 515 60 403
Auktion: Alte Meister
Auktionstyp: Saalauktion mit Live Bidding
Datum: 10.11.2020 - 16:00
Auktionsort: Wien | Palais Dorotheum
Besichtigung: 04.11. - 10.11.2020


** Kaufpreis inkl. Käufergebühr und Mehrwertsteuer

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