Die Akromegalie stellt Arzt und Patient vor eine Herausforderung, da die Symptome aufgrund des chronischen Verlaufs vom Patienten nicht bemerkt bzw. als physiologische Alterserscheinungen interpretiert werden. Durch den Wachstumshormonexzess, meist bedingt durch ein Hypophysenadenom, wird vermehrt Insulin-like Growth Factor-1 (IGF-1) sezerniert und es kommt zur Ausbildung der für die Akromegalie pathognomonischen Stigmata sowie zu lebensbedrohlichen Komorbiditäten.

Fallbericht:
Eine 58-jährige Patientin stellt sich erstmals in der Hausarztpraxis aufgrund einer banalen Tonsillitis vor. Als Nebendiagnosen bestehen eine fragliche Penicillinallergie sowie ein chronischer Nikotinabusus. Zudem fallen vergröberte Gesichtszüge mit tiefer Nasolabialfalte, geschwollene Augenlider, Makroglossie, Makrotie, vergrößerte Nase, tiefe Stimme und vergröberte Hände mit teils angedeuteten Trommelschlägelfingern auf (Abb. 1 und 2). Auf gezielte Nachfrage werden diese Veränderungen von der Patientin bagatellisiert, sie sei beschwerdefrei und ein Leidensdruck bestehe nicht.

Der Terminus Akromegalie wurde erstmals 1886 von dem französischen Arzt Pierre Marie genutzt, welcher jedoch nicht der Erstbeschreiber dieses Krankheitsbildes war [1].

Die Prävalenz beträgt zwischen 2,8 und 13,7 Patienten/100.000 Einwohner mit einer Inzidenz von 0,2 – 1,1 Patienten/100.000 Einwohner/Jahr. Die Diagnose wird mit einer Latenz von 4,5 bis 5 Jahren gestellt und die Patienten befinden sich zum Diagnosezeitpunkt meist in der 5. Lebensdekade [2].

Typische Symptome

Das früheste Symptom, welches die Patienten meist bemerken, ist eine Vergrößerung der Akren [3]. Darüber hinaus kann es durch eine Vergrößerung des Kiefers zur Malokklusion bzw. zu einem vergrößerten Zahnabstand kommen, was zur Konsultation eines Zahnarztes führt. Durch zunehmende Adenomgröße können im Verlauf Kopfschmerzen oder eine bitemporale Hemianopsie durch Kompression des Chiasma opticum auftreten [4]. Viele Patienten haben zum Diagnosezeitpunkt bereits Komplikationen wie arterielle Hypertonie, Kardiomyopathie, Karpaltunnelsyndrom, Arthropathie, Diabetes mellitus, Schlafapnoe, Struma, Malignome, Nierensteine oder Kolonpolypen entwickelt [3, 4]. Bei der Behandlung sollte man sich daher nicht auf die alleinige biochemische Kontrolle beschränken, sondern alle Patienten bezüglich bereits bestehender Komorbiditäten überprüfen und therapieren, um eine Mortalitätsreduktion zu erreichen [5].

Fallbericht Fortsetzung:
Aufgrund des unphysiologischen Erscheinungsbildes erfolgt im Einvernehmen mit der Patientin trotz fehlender Beschwerden die Bestimmung von IGF-1 bei klinischem Verdacht auf eine Akromegalie. Es zeigt sich ein 3,7-fach über der Obergrenze liegender IGF-1-Spiegel. Zur weiteren Abklärung wird die Patientin zur MRT sowie an eine universitäre endokrinologische Fachambulanz überwiesen. Es wird eine autonome Wachstumshormonsekretion nachgewiesen, welche die Verdachtsdiagnose einer Akromegalie laborchemisch bestätigt. Die MRT offenbart ein Makroadenom (12 x 11 x 10 mm) der Hypophyse, rechtsseitig, mit partieller Tangierung der A. carotis interna rechts und freier Abgrenzbarkeit des Chiasma opticum (Abb. 3). Die ambulant veranlasste Perimetrie zeigt Einschränkungen des Gesichtsfeldes von oben, vermutlich durch die bestehenden Oberlidödeme.

Diagnostik

Zur Abklärung der Verdachtsdiagnose Akromegalie wird folgendes diagnostisches Vorgehen empfohlen: Als Screeningparameter sollte initial IGF-1 bestimmt werden. Ist dieser erhöht, empfiehlt sich die Vorstellung an einer erfahrenen endokrinologischen Einrichtung zur Durchführung eines oralen Glukosetoleranztests zum Nachweis einer unzureichenden Suppression des Wachstumshormons. Anschließend sollte eine MRT der Sellaregion erfolgen. Bei Nachweis eines Makroadenoms (> 10 mm) sollte noch eine Perimetrie veranlasst werden [4]. Aufgrund der langen Latenz bis zur Diagnosestellung liegt bei fast 80 % der Patienten ein Makroadenom vor [3].

Fallbericht Ende:
Bei der Patientin wurde die Indikation zur transsphenoidalen Exstirpation des Hypophysenadenoms gestellt, welche komplikationslos erfolgte. Es wurde eine postoperative MRT-Kontrolle in drei Monaten vereinbart und die Patientin bleibt in engmaschiger endokrinologischer Behandlung, insbesondere um bei ggf. fehlender Remission weitere Therapien einzuleiten.

Therapie

Als primäre Therapie erfolgt im Allgemeinen eine transsphenoidale Resektion. Dadurch gelingt einem erfahrenen Chirurgen bei Mikroadenomen (< 10 mm) eine Remission bei 85 % der Patienten, bei Makroadenomen (> 10 mm) jedoch nur bei 40 – 60 % [4]. Daher benötigen viele Patienten eine weitere Therapie. Als medikamentöse Therapie stehen Dopaminagonisten (z. B. Cabergolin, Quinagolid) mit einer biochemischen Kontrolle der Erkrankung bei 20 – 30 %, Somatostatinanaloga (z. B. Octreotid oder Lanreotid) mit einer Kontrolle bei 60 – 70 % oder Wachstumshormonrezeptorantagonisten (z. B. Pegvisomant) mit einer Erfolgsrate bei 70 – 80 % der Patienten zur Verfügung [4]. Die Strahlentherapie kommt als Therapiereserve zum Einsatz, da bis zum Einsetzen eines Behandlungserfolgs Jahre vergehen können und bei mindestens 50 % der Patienten eine partielle oder komplette Hypophyseninsuffizienz auftritt [4].

Fazit für die Praxis
Die Akromegalie ist eine seltene, für die Betroffenen jedoch erhebliche Erkrankung mit unbehandelt erhöhter Morbidität und Mortalität. Daher sollte man bereits bei klinischem Verdacht IGF-1 zum Screening bestimmen und die Patienten an eine erfahrene endokrinologische Einrichtung überweisen. Aufgrund verschiedenster Beschwerden werden teils diverse Fachrichtungen von den Patienten konsultiert, hier wäre ein größeres kollektives Bewusstsein für diese Erkrankung für eine frühere Diagnosestellung von Vorteil. Da die Akromegalie nach wie vor zu spät entdeckt wird, bestehen bei der Mehrzahl der Patienten bei Diagnose bereits Komplikationen bzw. ein Makroadenom.


Literatur:
1. de Herder WW (2009) Acromegaly and gigantism in the medical literature. Case descriptions in the era before and the early years after the initial publication of Pierre Marie (1886). Pituitary 12:236-244
2. Lavrentaki A, Paluzzi A, Wass JA, Karavitaki N (2017) Epidemiology of acromegaly: review of population studies. Pituitary 20:4-9
3. Reid TJ, Post KD, Bruce JN, Nabi Kanibir M, Reyes-Vidal CM, Freda PU (2010) Features at diagnosis of 324 patients with acromegaly did not change from 1981 to 2006: acromegaly remains under-recognized and under-diagnosed. Clin Endocrinol (Oxf). 72:203-208
4. Rados L, Jenni S, Christ E (2016) Akromegalie: Diagnose und Behandlung im Jahre 2016. Swiss medical forum 16:605-612
5. Abreu A, Tovar AP, Castellanos R, Valenzuela A, Giraldo CM, Pinedo AC, Guerrero DP, Barrera CA, Franco HI, Ribeiro-Oliveira A Jr, Vilar L, Jallad RS, Duarte FG, Gadelha M, Boguszewski CL, Abucham J, Naves LA, Musolino NR, de Faria ME, Rossato C, Bronstein MD (2016) Challenges in the diagnosis and management of acromegaly: a focus on comorbidities. Pituitary 19:448-457


Autor:

Dr. med. Marcus Uhler

MVZ des Städtischen Klinikums Dessau
06842 Dessau-Roßlau

Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert



Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2018; 40 (8) Seite 44-45