Montag, 06. Mai 2024

Archiv

Sturtevant-Retrospektive
Nachgemacht, aber nicht kopiert

Die amerikanische Künstlerin Elaine Sturtevant machte Ikonen der Pop Art zum Kunstobjekt: Sie schuf etwas Neues, indem sie zum Beispiel Werke von Andy Warhol oder Roy Lichtenstein kopierte. An der Planung der Retrospektive im New Yorker MoMA hatte die verstorbene Künstlerin noch mitgearbeitet.

Von Sacha Verna | 12.11.2014
    Die Künstlerin Elaine Sturtevant posiert am 04.06.2011 in Venedig bei der Eröffnung der 54.Kunstbiennale Venedig vor der Preisverleihung für die Fotografen.
    Elaine Sturtevant am 04.06.2011 bei der Eröffnung der 54.Kunstbiennale Venedig (Felix Hörhager, dpa picture-alliance)
    Die Pop Art machte Ikonen der Populärkultur zum Kunstobjekt. Bei Andy Warhol waren es Suppendosen und Marilyn Monroe, bei Roy Lichtenstein Comicstrips und bei Jasper Johns das Sternenbanner. Sturtevant machte Ikonen der Pop Art zum Kunstobjekt. Die amerikanische Künstlerin kopierte die Suppendosen, Comicstrips und Sternenbanner ihrer Kollegen, variierte sie gelegentlich und erklärte diesen Akt zur Kunst. Heute spricht man bei diesem Verfahren von Appropriation Art.
    Elaine Frances Sturtevant, genannt Sturtevant, verstarb im vergangenen Mai im Alter von 89 Jahren. An der Planung der Retrospektive im New Yorker Museum of Modern Art war sie allerdings noch beteiligt. Peter Eleey hat mit ihr diesen Rückblick auf ihr Werk aus den letzten fünf Jahrzehnten organisiert. Es ist die erste große Sturtevant-Schau in einem amerikanischen Museum seit 1973.
    "Sturtevant schuf etwas Neues aus etwas, das nicht neu zu sein schien. Damit zwang sie uns, darüber nachzudenken, was Fortschritt bedeutet. Sie wollte nicht, dass wir eines ihrer Werke für einen Jasper Johns halten. Sie wollte uns vielmehr den Blick unter die Oberfläche der Kunst eröffnen, auf das, was sie die verborgene Bausubstanz, das lautlose Innere der Kunst nannte. Damit meinte sie die Art, wie Kunst gemacht wird, wie sie zirkuliert und wie sie schließlich kanonisiert wird."
    Wiedererkennbarkeit von Sturtevants Objekten
    Die Ausstellung beginnt mit Arbeiten aus den 1960er-Jahren, darunter Versionen von Andy Warhols Blumenbildern, für die Warhol Sturtevant seine Siebdruckplatten verwenden ließ. Joseph Beuys ist mit mehreren Fettstühlen vertreten, sowie Aufnahmen von nachgestellten Beuys-Aktionen, in denen sich Sturtevant selber als Meisterin mit Filzhut inszeniert.
    Die Widererkennbarkeit der Werke sei entscheidend gewesen, sagt Peter Eleey:
    "Das ist mit ein Grund, weshalb sehr wenige Frauen bei ihr auftauchten. Nicht, weil es keine Künstlerinnen gab, sondern weil deren Arbeiten zu jener Zeit nicht über denselben Wiederkennungseffekt verfügten wie die von Männern."
    Ohne Interesse an Fragen der Originalität
    Mitte der 1990er-Jahre wandte sich Sturtevant dem Fernsehen zu. Statt aus den Sphären der Kunst stammt das Material für ihre Videos aus der Unterhaltungs- und Werbeindustrie. Über Türme und Wände von Monitoren hetzen Bilderfetzen, die von einem pochenden Soundtrack unterlegt sind, der durch sämtliche Räume schallt. Im Gegensatz zu anderen, die mit Appropriation Art assoziiert werden - Sherrie Levine etwa oder Richard Prince -, hätten Fragen der Originalität und der Autorschaft Sturtevant nie interessiert, sagt Peter Eleely:
    "Sie wollte uns Zeichen von Dingen präsentieren, die uns an andere Orte bringen, nicht solche, die in formalen Fragen danach versanden, wer was besitzt und wer was womit tun kann."
    Künstlerische Multiplikation durch künstlerische Reproduktion, Mehrwert durch Meta-Metamorphose: Diese Ausstellung demonstriert die Unergiebigkeit dieses Prinzips. Eine mit Penis-Kritzeleien verzierte Tapete von Robert Gober wird in Sturtevants Fassung nicht aufregender. Und hätte Marcel Duchamp geahnt, wie oft seine Readymades noch recycelt werden würden, hätte er sich vermutlich aufs Schachspielen konzentriert. Laut Sturtevant definiert sich ihr Werk durch das, was es nicht ist. Wie sich zeigt, ist das sehr wenig.