Als "Schnepfen" werden im Deutschen nicht nur bestimmte Vogelarten bezeichnet, sondern despektierlich auch bestimmte Frauen, insbesondere Vertreterinnen des horizontalen Gewerbes, die auch als Bordsteinschwalben bekannt sind. Der Grund dafür ist nicht ganz klar. Am Äußeren dürfte es – zumindest prima vista – nicht liegen: Die meisten Schnepfenarten – wie die die hierzulande am besten bekannte Waldschnepfe – besitzen ein unscheinbares braunes Gefieder, der Schnabel ist fast so lang wie das Tier selbst, dazu liegen die Augen an den Seiten des Kopfes.

Waldschnepfen sind eigentlich völlig unauffällig und gut getarnt. Doch ihr Gefieder kann an bestimmten Stellen auch extrem hell glänzen.
Zeichnung: Henrik Grönvold, gemeinfrei

Promiskuität und Schnepfenstrich

Es dürfte also eher am Verhalten liegen, konkret an der Balz im Frühling: Da fällt zum einen auf, dass männliche Waldschnepfen sehr charakteristische Laute von sich geben. Dafür gibt es auch ein eigenes onomatopoetisches Verb: Waldschnepfen quorren. Vermutlich liegt die Brücke zu Sexarbeiterinnen aber eher darin, dass Waldschnepfen einerseits promisk sind und sich andererseits auf den sogenannten Schnepfenstrich begeben.

Mit diesem Wort wird der typische Balzflug der Schnepfen bezeichnet, bei dem sich die Männchen für rund drei Wochen in der Dämmerung im Zickzack über die Landschaft bewegen.

Waldschnepfen im Flug gibt es kurz vor Minute 4:00.
Kalle Nibbenhagen

Der Balzflug dient zur Kontaktaufnahme, wobei das Weibchen das fliegende Männchen anlockt. Im besten Fall folgt eine Bodenbalz mit Paarung. (Vom erratischen Flugverhalten der Schnepfenvögel leitet sich übrigens noch ein anderes Wort ab: Einige dieser Arten werden auf Englisch "snipes" genannt, was zum Sniper führte, dem treffsicheren Scharfschützen.)

55 Prozent reflektiertes Licht

Aber zurück zu den Waldschnepfen: Die seit Jahrhunderten bejagten und nach wie vor gerne verspeisten Vögel (Stichwort "Schnepfendreck") sind eigentlich ornithologisch bestens erforscht. Doch erst vor kurzem hat ein internationales Team von Vogelkundigen herausgefunden, dass die strahlend weißen Schwanzfederspitzen der Waldschnepfen (Scolopax rusticola, englisch: "Eurasian woodcock") heller sind als alle anderen Vogelfedern. (Sämtliche Federn der Walschnepfe gibt es hier.)

Waldschnepfe mit besser ersichtlicher weißer Schwanzspitze.
Zeichnung: Charles Whymper, gemeinfrei

Keine anderes Gefieder reflektiert mehr Licht als diese Schwanzspitzen, schreiben die Fachleute um Jamie Dunning (Imperial College London) in einem auf "Biorxiv" veröffentlichten Preprint – nämlich bis zu 55 Prozent des Lichts. Das ist ein Drittel mehr als bei der neuen Nummer zwei, der ebenfalls ziemlich weißen Raubseeschwalbe, oder dem Alpenschneehuhn (englisch: "rock ptarmigan").

Anteil des vom Gefieder reflektierten Lichts bei der Waldschnepfe (Schwanzfedern), der Raubseeschwalbe, beim Alpenschneehuhn, beim Gelbscheitelpipra, der Schnee-Eule, der Falkennachschwalbe und beim Polar-Birkenzeisig.

Im zweiten Schritt erstellten die Ornithologinnen und Ornithologen ein Computermodell der mikroskopischen Struktur der Federn, um zu berechnen, wie die Lichtteilchen von dem als Keratin bekannten Faserprotein abprallen. Sie kamen zu dem Schluss, dass die Schwanzspitzen der Waldschnepfe ihren einzigartigen Glanz durch die mikroskopische Struktur winziger Widerhaken erhalten, die wie Lamellen einer Jalousie parallel zueinander angeordnet sind und die Reflexionsfläche der Federn vergrößern.

Der Zweck der Federspitzen

Bleibt die Frage, wozu die auffälligen Schwanzspitzen der Vögel dienen – und damit sind wir wieder beim Schnepfenstrich: Es scheint offensichtlich, dass die Schwanzspitzen der fliegenden Männchen, die von unten gut ersichtlich sind, wohl auf bestimmte Weise die Aufmerksamkeit der Weibchen auf sich ziehen. Umgekehrt stecken die Weibchen ihre aufgefächerten Schwanzspitzen nach oben, um so die Männchen anzulocken.

Wie genau das passiert, muss allerdings noch erforscht werden, schreibt das Team um Dunning in seinem noch nicht begutachteten und offiziell publizierten Artikel. Denn in der Dämmerung sind die weißen Schwanzspitzen (siehe Video oben) tatsächlich eher schwer auszumachen.

Dennoch: Es dürfte bei den extraordinär hellen Schwanzspitzen, wie nicht anders zu erwarten, letztlich um Sex gehen – beziehungsweise dessen Anbahnung durch einen für Artgenossinnen und Artgenossen auffälligen optische Reiz. "Schnepfe" in seiner metaphorischen Bedeutung hat damit ex post eine zusätzliche wissenschaftliche Erklärung bekommen, die womöglich doch auch etwas mit dem Äußeren zu tun hat. (Klaus Taschwer, 28.12.2022)