Wolfgang Schäuble
Wolfgang Schäuble (CDU) war bis 2021 Bundestagspräsident.
APA/dpa/Kay Nietfeld

In letzter Zeit hatte er sich zurückgezogen. Und dennoch: Die Nachricht vom Tod Wolfgang Schäubles kam am Mittwoch überraschend. Der 81-Jährige sei "friedlich" eingeschlafen, teilte seine Familie mit.

"Ich verliere mit Wolfgang Schäuble meinen engsten Freund und Ratgeber, den ich in der Politik je hatte" – so reagierte CDU-Chef Friedrich Merz auf Schäubles Tod. Dieser hatte eine der längsten politischen Karrieren hinter sich. Er war loyal, scharfzüngig, hart – auch mit sich selbst –, oft besserwisserisch, rhetorisch brillant, ausdauernd, ein Staatsdiener im Wortsinn. "Wer aus Angst vor Scheitern morgens nicht aufsteht, der wird gewiss sein Leben nicht so nutzen, wie es ihm geschenkt ist", hat er einmal gesagt.

Schäuble stammte aus Baden-Württemberg, geboren wurde er in Freiburg, 1972 zog er erstmals über den Wahlkreis Offenburg ins deutsche Parlament ein. In den 1980er-Jahren war er ein enger politischer Weggefährte des damaligen Kanzlers Helmut Kohl (CDU), wirkte als Chef des Bundeskanzleramtes (1984 bis 1989), als Innenminister (1989 bis 1991), danach war er Fraktionsvorsitzender.

Video: Langjähriger CDU-Politiker Wolfgang Schäuble ist tot.
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Attentat 1990

Triumph und Tragödie brachte das Jahr 1990 für ihn. Als Innenminister hatte er nach dem Fall der Mauer den Einheitsvertrag mit der DDR ausgehandelt und feierte am 3. Oktober 1990 die deutsche Wiedervereinigung. Neun Tage später jedoch wurde er von einem psychisch kranken Mann während einer Wahlkampfveranstaltung niedergeschossen. Seither war Schäuble vom dritten Brustwirbel abwärts gelähmt und saß im Rollstuhl.

Wolfgang Schäuble im Rollstuhl
Schäuble im Reha-Zentrum Langensteinbach, sechs Wochen nach dem Attentat.
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Politisch wollte er nicht zurückstecken. "Ein Krüppel als Kanzler? Diese Frage muss man stellen" – mit diesen Worten thematisierte er selbst 1997 in einem Gespräch mit dem "Stern" seine Behinderung. Kohl war damals längst nicht mehr so beliebt wie zu Zeiten der Wiedervereinigung, ein Reformstau lähmte das Land.

"Man kann nicht regieren, indem man über alles Konsenssauce gießt", grantelte Schäuble 1998. Viele sahen ihn als Kronprinzen, trotz des Rollstuhls. Doch dann, bei der Bundestagswahl 1998, wollte es "der Alte" noch einmal wissen. Kohl trat selbst an und verlor gegen den Sozialdemokraten Gerhard Schröder.

Schäuble und Merkel
Wolfgang Schäuble 1998 auf einer Pressekonferenz mit Angela Merkel.
APA/dpa/Thomas Köhler

Schäuble wurde zwar nach der verlorenen Bundestagswahl von 1998 CDU-Parteichef, aber blieb er nicht lange in der Funktion. 2000 holte die "Spendenaffäre" um Kohl die CDU ein, Schäuble musste einräumen, vom Waffenhändler Karl-Heinz Schreiber eine Spende von 100.000 D-Mark angenommen und nicht ordnungsgemäß verbucht zu haben. Ein "dämlicher Fehler" sei das gewesen, sagte er später. Doch den CDU-Vorsitz musste er im Jahr 2000 an Angela Merkel übergeben.

Ab diesem Zeitpunkt arbeitete er (auch) für sie und erlebte 2004 die nächste Enttäuschung. Jeder im politischen Berlin wusste, dass Schäuble gerne Bundespräsident geworden wäre. Doch Merkel einigte sich mit dem damaligen FDP-Chef Guido Westerwelle auf den weithin unbekannten Horst Köhler.

2017 Bundestagspräsident

Dennoch: Schäuble blieb loyal, und Merkel wollte ab 2005, als sie Kanzlerin wurde, auch nicht auf ihn verzichten. Sie berief ihn zuerst als Innenminister in ihr Kabinett, dies blieb er bis 2009. Dann wurde er acht Jahre lang Merkels Finanzminister, und in dieser Zeit lehrte er nicht nur viele Deutsche, sondern auch halb Europa, vor allem Griechenland, das Fürchten. Er zwang ihnen als "Zuchtmeister" einen eisernen Sparkurs auf, um den Euro zu retten, brachte gar einen "Grexit" ins Spiel. Die französische Zeitung "Le Monde" nannte ihn daraufhin den "Henker der Griechen", die griechische Regierungspartei Syriza karikierte ihn als Nazi.

Andere feierten ihn als "überzeugten Europäer", so sah Schäuble sich auch selbst. "Wir werden eine gute Zukunft nur haben, das lehrt die Geschichte, wenn wir Europa zusammenhalten, und zwar das ganze Europa. Wieder und wieder", mahnte er.

Wolfgang Schäuble mit seiner Frau Ingeborg im August 2017.
Wolfgang Schäuble mit seiner Frau Ingeborg im August 2017.
POP-EYE / Ben Kriemann via www.i

In Berlin gelang ihm 2014 sein persönlicher finanzpolitischer Triumph. Da konnte die große Koalition erstmals seit dem Jahr 1969 eine "schwarze Null" vermelden, also den Verzicht auf neue Kredite. Als Schäuble 2017 aus dem Finanzministerium ausschied, formierten die Mitarbeiter seines Ressorts auf dem Abschiedsfoto eine schwarze Null für ihn.

Schäuble, verheiratet mit Ingeborg und Vater von vier erwachsenen Kindern, war damals 75 Jahre alt, an Ruhestand war aber noch nicht zu denken. Er übernahm bis 2021 sein letztes hohes Amt und wurde Bundestagspräsident. Das war Merkels späte Wiedergutmachung. Denn protokollarisch steht dieses Amt über dem der Kanzlerin. (Birgit Baumann aus Berlin, 27.12.2023)