Asim Ibrahimi vor seinem zerstörten Haus in Kumanovo. Auch er weiß nicht, warum in der Stadt eigentlich geschossen wurde.

Foto: Adelheid Wölfl/STANDARD

Besar M. zittert noch immer. "Als ich um fünf Uhr Früh am Samstag die Schießerei gehört habe, habe ich zum Fenster rausgeschaut. Da haben mich die Soldaten in dem Panzerwagen gesehen und geschossen", erzählt der 72-Jährige. Er drückte sich an die Wand. "Gott hat mir geholfen", sagt er, "sonst wäre ich tot." Seine Familie wohnt mitten in dem Viertel in Kumanovo, in dem sich Sicherheitskräfte am Samstag und Sonntag Feuergefechte lieferten. "Wir sind doch keine Terroristen. Warum haben die uns nicht evakuiert? Warum haben sie die Zivilbevölkerung nicht rausgebracht?", fragt seine 20-jährige Tochter. Die Familie traut sich nicht, ihren Namen zu sagen. Die Einschusslöcher im Haus bezeugen, dass hier jemand auf eine harmlose Familie schoss. Frau M. sagt: "Ihr habt das nur auf Fotos gesehen, aber wir haben die Bilder im Kopf."

In Kumanovo will auch keiner die Terroristen oder Kriminellen gesehen haben, mit denen sich die Sicherheitskräfte die Gefechte lieferten. Laut Aussagen der Leute vor Ort handelte es sich um Polizisten und Militärs in drei verschiedenen Uniformen. Keiner weiß, ob es zivile Opfer gab. Die Familie M. - vier Personen - hat sich stundenlang zwischen den Türrahmen versteckt. Das Nachbarhaus liegt in Trümmern. Hier wohnen die Brüder Ibrahimi, einer von ihnen hat 20 Jahre in der Schweiz gelebt. Das Haus wurde erst vor zwei Jahren fertig. Nun sieht man überall Einschusslöcher von Granatwerfern. Keiner weiß, wer hier überhaupt kämpfte. Viele denken, dass es sich um bezahlte Leute gehandelt hat.

Unklare Hintergründe

Seit dem Polizeieinsatz gegen eine Gruppe von Kriminellen in Kumanovo, bei der acht Polizisten getötet und 37 verletzt wurden, ist die Verunsicherung in Mazedonien weiter gestiegen. Denn die Polizeiaktion wird als Versuch der Regierung gesehen, ihre Haut zu retten, indem sie einen äußeren Feind konstruiert und sich als Retter des Landes darstellt.

Doch diese Geschichte kaufen viele Mazedonier der Regierung nicht mehr ab. Auch die westlichen Staaten gehen auf Distanz. In einem überaus deutlichen Statement von US-Botschafter Jess Bailey vom Montag wurde klar, dass man nicht länger zusehen will. Die Botschafter der wichtigsten EU-Staaten standen hinter Bailey, als dieser endlich Rechenschaft von der Regierung bezüglich der Missetaten, die durch die publizierten abgehörten Telefonate in den vergangenen Monaten publik wurden, einforderte. "Dieses fortwährende Nichtstun wirft ernsthafte Zweifel über die Verpflichtung der Regierung Mazedoniens zu demokratischen Prinzipien und den Werten der euroatlantischen Gemeinschaft auf", so Bailey.

In der EU überlegt man, die Beitrittsverhandlungen mit Mazedonien nicht länger zu empfehlen. Doch das dürfte dem Regime völlig egal sein. Mazedonien macht schon seit Jahren keine Anstalten mehr, die geforderten Reformen durchzuführen. Der angestrebte EU-Beitritt ist zu einem reinen Lippenbekenntnis verkommen. (Adelheid Wölfl aus Kumanovo, DER STANDARD, 13.5.2015)