CAIRO AG Schweiz

Attraktiv und faszinierend –
der Vitra-Campus in Weil am Rhein

Der Vitra-Campus ist ein einzigartiges architektonisches Ensemble in Weil am Rhein. Hier baut die internationale Architektur-Elite, hier gedeiht das Projekt Vitra in all seiner visionären Kraft und hier gehen Architektur, Design, Kunst, die umliegende, sanft hügelige Rheintal-Landschaft und nicht zuletzt die Endmontage der Vitra-Möbel Hand in Hand. Aber gerade auch in architektonischer Hinsicht gleicht die Realisierung eines Projektes auf diesem Campus einer Erhebung in den Adelsstand, und die großen Namen, die sich hier verewigt haben, strahlen mit ihrer Anziehungskraft in die ganze Welt aus. Ob Jean Prouvé mit seiner filigranen Tankstelle, Zaha Hadid mit ihrem markanten Feuerwehrhaus, Tadao Ando mit seinem kontemplativen Konferenzbau, Richard B. Fuller mit seinem „Dome“ oder die Produktionshallen von Nicholas Grimshaw, Frank O. Gerhy, Álvaro Siza und SANAA, das Vitra Design Museum, ebenfalls aus der Feder von Gehry, das mehrfach verschachtelte Vitra Haus von Jacques Herzog und Pierre de Meuron (bekannt als Herzog & de Meuron) oder die Balancing Tools von Claes Oldenburg – hier baut, wer Rang und Namen hat. Und dieses geballte Renommee färbt natürlich auch auf den Campus aus. Architekturstudenten aus aller Herren Länder frequentieren den Campus, um die Gebäude von Angesicht zu Angesicht zu studieren, Design-Liebhaber aus aller Welt suchen den Vitra Flagship Store auf, um Ihr liebstes Stück vor Ort zu erstehen oder gleich bei der Fertigung des eigenen Eames Lounge Chairs zuzuschauen. All dies waren für uns Gründe Genug, den Campus von Vitra einmal aufzusuchen und auf dieser Seite in allen Einzelheiten vorzustellen.

Vitra. Nicht einfach nur ein Name, nicht einfach nur irgendeine Firma. Nein, Vitra ist eine Institution, ein fortlaufendes architektonisches, kulturelles und selbstverständlich auch unternehmerisches Projekt, das weltweit Inspirationen evoziert. Doch soll es hier nicht – wie man meinen könnte – um das vielgerühmte Mobiliar dieser nicht weniger gerühmten Firma gehen, nein, wir möchten Ihnen auf dieser Seite einige der vielfältigen architektonischen Facetten des Vitra Campus in Weil am Rhein bei Basel vorstellen. Den Anstoß zu der Errichtung dieses Campus hat, fast schon biblisch, ein Feuer gegeben. Nachdem 1981 ein Großbrand das Gros der Vitra-Produktionsgebäude zerstörte, ist auf dem Firmengelände ein heterogenes Ensemble zeitgenössischer Architektur entstanden. Vitra produziert zwar seit 1950 in Weil, die Geburtsstunde des Campus ist aber die besagte Brandkatastrophe. An nur wenigen Orten der Welt kumulieren derart viele Bauwerke der bedeutendsten Architekten des 20. Jahrhunderts zu einem einzigartigen Architekturpark wie in Weil am Rhein. Die Baustile könnten differenter kaum sein, und doch fügt sich jedes einzelne Gebäude in das große Ganze des Vitra Campus, dessen architektonische Erscheinung und landschaftsästhetische Wirkung viel mehr ist als bloß die Summe seiner Teile. Schon die Anfahrt legt davon Zeugnis ab. Wir nähern uns aus dem Ortsinneren dem Campus, und das zu Fuß. Überhaupt, so sind wir später überzeugt, sind die eigenen Füße das beste Vehikel, um den Vitra Campus zu erkunden. Private Wagen sind auf dem Gelände ohnehin nicht zugelassen.

Schon von Weitem wird das Vitra Haus mit seinen versetzten Giebeln, unter denen eine große Eames-Chairs-Kollektion gezeigt wird, sichtbar. Stolz und freigeistig ragt es in die an dieser Stelle ebene Landschaft, die sich rechter Hand zu den hohen Weinbergen des Oberrheintals erhebt – an unserem Besuchstag umso schöner, denn keine Wolken trüben die gleißend tief stehende Dezembersonne. Wir passieren das Eingangstor und haben eine Art „Hauptstraße“ des Campus vor uns, die schnurgerade verläuft und schlagartig die quadratkilometergroße Ausdehnung des Campus vor Augen führt. Wir folgen dieser Straße wenige Meter und lassen unsere Aufmerksamkeit von einem kleinen, im Vergleich zu den umliegenden Bauten geradezu miniaturhaft erscheinenden Minigebäude ablenken. Ein schlichter Bau, fast vollständig verglast, mit roten Zierstreifen, wenigem Interieur und einem unscheinbaren Hinterzimmer – wir stehen vor der berühmten Tankstelle von Jean Prouvé. Berühmt ist diese Tankstelle, weil sie zu den ersten seriell hergestellten Tankstellen der Welt gehört. Sie wurde zu Beginn der 1950er Jahre für die französische Firma Mobiloil Socony-Vacuum gebaut und steht seit 2003 als eine von drei noch existenten Exemplaren auf dem Vitra Campus in Weil. Die großflächigen Glasscheiben werden von winkelförmigen Aluminiumelementen zusammengehalten, Tragwerk und Wandaufbau sind konstruktiv und farblich deutlich voneinander getrennt. Dass Jean Prouvé (1901-1984) als gelernter Kunstschmied nur ein autodidaktischer Architekt war, lässt sich die Tankstelle nicht ansehen. Prouvé war immer darum bemüht, Produktionstechniken aus der Industrie auf die Architektur zu übertragen, ohne Abstriche an der ästhetischen Qualität machen zu müssen. Er stammt aus dem lothringischen Nancy und hat 1971 einen internationalen Skandal dadurch ausgelöst, dass er als Nichtarchitekt zum Vorsitzenden der Jury für den Architekturwettbewerb des Centre Pompidou in Paris berufen wurde. Sein ursprünglicher Beruf findet sich in seiner Architektur in der Weise wieder, als dass viele seiner Bauten demontierbar und also an anderen Orten wieder montierbar sind – wie mit der Tankstelle geschehen. Sie bildet ein architektonisches Kleinodium inmitten des von postmodernen Bauten geprägten Vitra Campus, ist aber durch die Weitläufigkeit des Geländes nicht zu übersehen und wird auch ihrer architekturästhetischen Anziehungskraft nicht beraubt. Kleine Tankstelle, große Wirkung.

Was ist das schönste Feuerwehrhaus, das Sie kennen? Nun ja. Feuerwehrhäuser kennen wir als pragmatische Zweckbauten ohne weiteren ästhetischen Anspruch. Ein flache Fahrzeughalle und ein schmuckloser, höchstens zweigeschossiger Anbau für die Mannschaftsräume. Feuerwehrhäuser sind zumeist von einer architektonischen Ausdrucklosigkeit, derentwegen sie uns nicht länger in der Erinnerung bleiben. Oder haben Sie das Bild der Feuerwache Ihres Wohnortes oder der nächstgelegenen Stadt im Kopf? Wahrscheinlich nicht – und uns, so geben wir unumwunden zu, geht es genauso. Wir alle haben aber meist ein Bild eines Rathauses, eines Fernsehturms, eines Einkaufszentrums, Museums-, Unternehmens- oder Behördengebäudes im Kopf. Wenn Sie das Feuerwehrhaus auf dem Vitra Campus in Weil am Rhein gesehen haben, wird sich das schlagartig ändern. Denn dieses Bild wird nicht so schnell wieder Ihrer Erinnerung entfallen.

Wir beschreiten eine schnurgerade Straße, bis diese eine leichte Biegung macht. Wir sehen graue Sichtbetonfragmente. Wir stehen vor nichts Geringerem als der berühmten, berüchtigten, wenn nicht sogar der unter Architekturliebhabern bekanntesten Feuerwache der Welt. Geschaffen hat sie Zaha Hadid (1950-2016) im Auftrag von Rolf Fehlbaum, dem damals geschäftsführenden Direktors von Vitra, der mit Frank Gehry und Tadao Ando bereits zwei namhafte Architekten für den Campus von Vitra gewinnen konnte. Die Feuerwache wurde als Reaktion auf den Großbrand von 1981 gebaut, in dem ein Großteil des Firmengeländes den Flammen zum Opfer fiel – es dauerte aber über zehn Jahre lang, bis aus der Planung ein Gebäude wurde. Seit 1993 bereichert Zaha Hadids markantes Gebäudekunstwerk den Vitra Campus, und mittlerweile ist sie eine nicht mehr wegzudenkende, bizarr-schöne Architekturikone, die jährlich tausende Besucher aus aller Welt anzieht. Die Feuerwache zeigt eindrücklich, dass Zaha Hadid nicht einfach nur eine Architektin ist, sondern eine Künstlerin, die traditionellen Architekturvorstellungen nicht nur mit ihrer Feuerwache ein Requiem spielt. Zaha Hadid ist ein Superstar der neuesten Architekturgeschichte. Die gebürtige Irakerin stammt aus einem Elternhaus, das westlichen Lebensentwürfen nicht abgeneigt war und deren Wohnhaus stark vom Bauhaus-Stil beeinflusst war. Entsprechend weltbürgerlich ausgerichtet war ihre Schulausbildung, die Hadid in einem schweizerischen und britischen Internat absolvierte. Dem folgte ein Studium der Architektur an der amerikanischen Universität in Beirut; ihre Diplomarbeit verhandelt den Plan für ein Hotel in London. Dortselbst hat sich Hadid 1980 mit einem eigenen Büro selbstständig gemacht. Doch der Durchbruch ließ auf sich warten. Viele Projekte verblieben im Stadium des Entwurfes. Tatsächlich gelang Zaha Hadid der Sprung auf die internationale Bühne mit der Feuerwache für Vitra. Die Feuerwache ist die Blaupause für alles weitere Schaffen Hadids. Der zerklüftete Bau hat keine rechten Winkel, wirkt wie eine Akkumulation von unerwarteten Ecken, harten Kanten und spitzen Zacken und irritiert mit stürzenden Linien, schrägen Winkeln, spitz zulaufenden Wänden und einem eigentümlichen Eindruck von Unvollendetheit.

Treten wir also ein, in dieses gänzlich farblose Gebäude. Von innen wirkt der Bau nicht weniger verunsichernd als von außen. Uns ist, als seien wir betrunken – wir sind es natürlich nicht. Es sind die schiefen Ebenen, die stürzenden Wände und abschüssigen Böden, die uns suggerieren, wir stünden auf einem sturmgepeitschten Schiff – ein Eindruck, den die zulaufenden Wände bestärken. Ein Gang zur Toilette durch die offenen Umkleideräume lässt uns glauben, wir müssten uns irgendwo festhalten – doch auch das ist nicht nötig. Wir stehen hier in einem Gebäude, das einen sprichwörtlich schwindeln lässt, ein Gebäude, dessen Wirkung physisch spürbar ist – weshalb die Feuerwache auch berüchtigt ist. Vielleicht können Sie die Wirkung des Gebäudes beim Betrachten der Bilder nachvollziehen? Zaha Hadid hat als erste Frau den Pritzker-Preis verliehen bekommen, der gerne auch als Nobelpreis für Architektur bezeichnet wird und in Fachkreisen höchste Anerkennung genießt. Wer die Feuerwache von Vitra betritt, spürt, wofür der Preis verliehen wurde. Hier lässt sich erleben, dass Zaha Hadid durch Architektur die Wahrnehmung des Raumes zu ändern vermag. Ihre Bauten zielen nicht darauf ab, bekannte Wahrnehmungsmuster zu bestätigen, sondern den Menschen zu neuen Wahrnehmungen aufzufordern. Die Feuerwache ist mehr Skulptur als Gebäude und ihre Wirkung ist an diesem Ort vor allem auch deshalb so stark, weil die nah benachbarten Gebäude traditionell rechtwinklige Werkshallen sind. Dass die Feuerwache als solche gar nicht mehr genutzt wird, weil die Weiler und Basler Feuerwehren im hoffentlich nicht eintretenden Fall eines Brandes zuständig wären, spielt dabei kaum noch eine Rolle. Die Wirkung dieses Betonkunstwerks bleibt ohnehin bestehen, ob in ihm nun Feuerwehrautos geparkt werden oder nicht. Das Gebäude wird mittlerweile für Veranstaltungen oder Ausstellungen des Vitra Design Museums genutzt, aber dieses Gebäude ist auch gänzlich leer ein hinreißendes Erlebnis und immer eine Reise wert.

Beton ist wunderschön – muss man doch konzedieren, wenn man den Konferenzpavillon von Tadao Ando in Augenschein nimmt, der nahe dem Haupteingang liegt und ob seiner höchst eigenwilligen Architektur allzu schnell übersehen werden kann. Muße lohnt also, für den Vitra Campus! Der Konferenzpavillon macht sich zunächst nur durch eine rechtwinklige Betonmauer bemerkbar, die wie ein landschaftliches Gliederungselement verschiedene Achsen andeutet. Ohne den Pavillon betreten zu haben, werden wir an dieser Mauer drei der wichtigsten architekturästhetischen Prinzipien Andos ansichtig: Erstens das Spiel mit geometrischen Formen, zweitens die Verwendung von unverkleidetem Sichtbeton und drittens ein konsequenter Reduktionismus, der ein Gebäude radikal auf seine Grundstrukturen reduziert und völlig auf Dekorationselemente verzichtet. Die Gebäude von Tadao Ando brauchen keine Dekoration, weil sie selbst schon Dekoration sind – und zwar der sie umgebenden Landschaft. Und das ist der Grund, warum der Bau von Ando übersehen werden kann: Der Konferenzpavillon fügt sich mit beeindruckender Eleganz in den flachen Vitra Campus ein, denn nur ein Teil des Gebäudes liegt tatsächlich zu ebener Erde. Die Haupträume des Gebäudes befinden sich unterhalb der Grasnarbe, ohne aber darin befindlichen Personen den Eindruck zu vermitteln, sie befänden sich in einem dunklen Tiefgeschoss.

Wir gehen die Mauer entlang auf den Haupteingang des Pavillons zu. Der Weg dorthin ist lediglich ein schmaler Pfad, der sich dicht an die Mauer anschmiegt. Ando zitiert mit diesem ebenfalls rechtwinklig geführten Fußweg die Meditationswege japanischer Klöster, ohne aber die klösterliche Tradition der westlichen Welt außer Acht zu lassen: der orthogonale Pfad entlang der übermannsgroßen Betonplatten kann auch als eine Reverenz an die Kreuzgänge europäischer Klöster betrachtet werden. Andos Mauer gleicht diesem Verständnis nach einem klösterlichen Innenhof, der zu einer Seite hin offen ist. Der Konferenzpavillon steht übrigens zwischen mehreren Kirschbäumen, und Kirschbäume sind in Japan von großer traditioneller Bedeutung. Ando hat also auf dem Vitra Campus einen Entwurf realisiert, der gänzlich dem kulturellen Hintergrund verpflichtet ist, dem Ando entstammt. Im Inneren verstärkt sich der asketische Eindruck, den das Gebäude schon von außen dem Besucher andient. Im Entrée fällt der Blick auf eine verglaste Wandseite, die mehrere Meter unter die Bodenhöhe reicht und die Sicht freigibt nach draußen, auf die Straße und in einen großzügigen Innenhof, sowie nach drinnen bzw. unten, den Hauptraum des Gebäudes. Über eine raumgreifend geschwungene Treppe erreicht man die eigentlichen Räume des Gebäudes, als da wären Konferenzraum und Speisesaal, Küche und Sanitärräume sowie flexibel zu nutzende Räumlichkeiten. Glas und Beton dominieren auch im Inneren des Gebäudes. Der Sichtbeton ist von kühler Eleganz, die auch haptisch erfahrbar ist. Das minimalistische Interieur mit roten, schwarzen und dunkelgrauen Stühlen sowie naturfarbenen Holztischen bildet einen farblichen Kontrastpunkt zum unverputzten Beton, ohne das jedoch die harmonische Atmosphäre des Gebäudes dadurch gestört würde – ganz im Gegenteil: Die Schönheit des rohen Betons wird durch die so ganz anders gearteten Materialien des Mobiliars zusätzlich intensiviert. Der Sichtbeton wird durch senkrechte und waagerechte Achsen sowie sichtbare Rödellöcher, an denen eigentlich eine Verschalung verankert wird, strukturiert. Dadurch entsteht ein ruhiges, symmetrisches Oberflächenraster von mathematischer Anmutung. Der Verzicht auf die Verschalung des Betons ist zum weltweit wiedererkennbaren Markenzeichen von Tadao Ando geworden. Die Maße der verbauten Betonplatten lehnt Ando ebenfalls an lange Traditionen an. Die Bauteile sind in der Größe von Tatami-Matten gehalten, japanischen Reisstrohmatten, mit denen seit jeher die Washitsu genannten, traditionell eingerichteten Räume japanischer Häuser ausgelegt werden. Durch zwei üppig bemessene Innenhöfe und großflächige Fensterfronten sind sämtliche Innenräume mit Tageslicht ausgeleuchtet. So muss niemand, der sich in dem Gebäude aufhält, einen Keller-Koller bekommen. Die schlanke Treppe ist eine Fortsetzung des Mauerpfades nach innen, und auch das ist Merkmal des Ando’schen Bauens: Die Wegführung ist häufig schmal, zumeist auch gewunden.

Ähnlich wie Jean Prouvé, der Schöpfer der oben vorgestellten, ebenfalls auf dem Campus gelegenen Tankstelle, ist auch Tadao Ando der Ausbildung nach kein Architekt in dem Sinne, Architektur studiert zu haben. Ando ist „lediglich“ Autodidakt – weshalb sein Aufstieg zum berühmtesten Architekten Japans und einem der bekanntesten der Welt umso beeindruckender ist. Seine Häuser und Villen, Kirchen und Tempel, Museen und Wohnanlagen zeigen eine unverwechselbare Handschrift und sind überall auf der Welt unverkennbar der Feder Andos zuzuordnen. Der feine Sichtbeton, die offenen Schalungsanker, das grazile Spiel mit Tiefen, Lichteinfällen, Sichtachsen und der umgebenden Landschaft machen jedes Bauwerk Andos zu individuellen Kunstwerken. Dies gilt natürlich auch für das Konferenz- und Tagungsgebäude auf dem Vitra Campus, welches erheblich dazu beiträgt, dass dieser Campus regelmäßig von Architekturliebhabern aus aller Welt aufgesucht und auch von uns für einen Besuch ausdrücklich empfohlen wird.

Wann haben Sie das letzte Mal gezeltet? Nun, kehren wir also dem beeindruckenden Ando-Bau den Rücken und begeben wir uns nach Westen. Dort sehen wir eine weiße Kuppel, die von einem geometrischen Gestänge gehalten wird. Die Kuppel nimmt ob ihrer auffällig runden Form eine Sonderstellung auf dem Vitra Campus ein – denn ein Gebäude ist sie im strengen Sinne nicht. Tatsächlich sehen wir hier ein Zelt vor uns. Es ist der Dome. Der Dome ist eine Zeltkonstruktion des amerikanischen Architekten Richard B. Fuller (1895-1983), die mit naturfarbenen Holzbohlen ausgelegt ist und deren einziger Einrichtungsgegenstand am Tage unseres Besuches ein langes, geschwungenes Sideboard war. Der Dome ist nicht beheizt, weshalb sich Außen- und Innentemperatur die Waage halten – allein die Sonnenstrahlung vermag, den Innenraum ein wenig aufzuwärmen. Mathematisch gesprochen ist der Dome auch kein Zelt, sondern eine geodätische Kuppel. Geodätische Kuppeln sind Kuppelkonstruktionen, deren Oberfläche in Dreiecke abstrahiert wird. Diese Dreiecke können mit statischem Material wie Glas oder elastischem wie einer Zeltplane ausgefüllt oder eben, wie im Falle des Domes, als tragende Struktur für ein darunter befindliches Material verwendet werden. Das trigonometrische Gerüst des Domes besteht aus Aluminiumstangen, die für einen schnellen Auf- und Abbau durch ein Stecksystem verbunden sind. Geodätische Kuppeln sind im Vergleich zu konventionellen Gebäuden wesentlich erdbebensicherer, bieten eine konstante Sonnenbestrahlung sowie die Möglichkeit, Fenster an beliebigen Stellen anzubringen. Die Kuppel auf dem Vitra Campus kommt ganz ohne Fenster aus. Genutzt wird der Dome für Ausstellungen und Veranstaltungen aller Art. Der amerikanische Architekt, Erfinder und Konstrukteur Richard B. Fuller (1885-1983) war ein Pionier dieser geodätischen Kuppeln, die er ab den 1940er Jahren systematisch weiterentwickelte. 1954 ließ er sich das Konstruktionsprinzip patentieren und den endgültigen internationalen Durchbruch feierte er 1967 mit einem geodätischen Kuppelbau für die EXPO in Montreal. Radarkuppeln und Planetarien dürften seitdem zu den bekanntesten Fällen zählen, in denen geodätische Kuppeln zur Anwendung kommen. Der Dome auf dem Vitra Campus entstand 1975 und wurde 1978 in Detroit als Autosalon genutzt. Rolf Fehlbaum, ein Sohn des Vitra-Gründer Willi Fehlbaum, erstand den Dome 2000 auf einer Auktion und ließ diesen als weitere Architekturattraktion auf dem Vitra Campus wiederaufbauen. Von Stund‘ an hat der Dome erheblichen Anteil an der architektonischen Heterogenität des Vitra Campus, wie er auch zur Anziehungskraft beiträgt, die viele Besucher aus aller Welt und auch uns Jahr für Jahr nach Weil am Rhein zieht. Vielleicht ja bald auch Sie?

Nachdem wir also der Tankstelle von Prouvé ansichtig geworden sind, uns der im wahrsten Sinne des Wortes schrägen und spürbar effektvollen Architektur von Zaha Hadid hingegeben haben, anschließend im kontemplativen Konferenzbau Tadao Andos wieder zu uns gekommen sind, um das Fullersche Zelt in Augenschein zu nehmen, wollen wir nun die Hallen betrachten, in denen gleichermaßen klassisch bewährtes wie progressiv zukunftsgewandtes Mobiliar gefertigt wird. Solche Werkshallen finden sich bei jedem produzierenden Unternehmen und alle eint eine Zweckmäßigkeit, die selten Rücksicht nimmt auf ästhetische Außenwirkung. Bei Vitra ist das anders. Vitra überlässt nichts dem Zufall. Und so sind hier auch vermeintlich unscheinbare Zweckbauten architektonische Höhepunkte, im Fall der Werkshallen erschaffen von Nicholas Grimshaw, Frank O. Gerhy, Álvaro Siza und SANAA.

Werkshallen sind im Allgemeinen zunächst nichts mehr als flache, großflächige Gebäude mit der vereinfacht formulierten Bestimmung, sämtliche Produktionsprozesse auf einer Ebene übersichtlich und effizient zu ermöglichen. Das gilt natürlich auch für die Werkshallen von Vitra. Doch wird hier auch auf die ästhetische Qualität Wert gelegt. Zweckdienlichkeit und Schönheit sind gleichberechtigte Prinzipien, die wie in einem Vitra-Möbel auch in der Architektur des Campus zum Tragen kommen. Dem wollen wir auf unserem weiteren Spaziergang nachgehen. Es bietet sich an, die Werkshallen chronologisch abzuschreiten. Die älteste der Hallen ist die Doppelhalle aus der Feder von Nicholas Grimshaw (*1939), erbaut 1981 und 1986. Zu Beginn der 80er Jahre lag die Produktion von Vitra sprichwörtlich danieder, denn ein Großbrand hat einen Großteil der Bausubstanz aus den 50er Jahren vernichtet. Es galt, einen Neuanfang zu bewältigen. Dafür wurde Grimshaw engagiert, ein renommierter britischer Architekt, der bis dato mit einem ungewöhnlichen Apartmenthochhaus in London sowie der britischen BMW-Zentrale in Bracknell, einer Kleinstadt westlich von London, von sich Reden gemacht hat und später Ehrenmitglied des Bundes deutscher Architekten wurde. Mit seinen Produktionshallen hat Grimshaw den Grundstein für den Vitra-Architekturpark gelegt. Nähert man sich dem Campus, besticht das Gebäudetandem schon von weitem mit seinem metallisch-blausilbrigen Farbeindruck, der dem einer Bachforelle gleicht. Bemerkenswert daran ist jedoch nicht nur der optische Eindruck: Von der Planung bis zur Fertigstellung der Halle vergingen nur sechs Monate. Möglich war dies durch vorgefertigte Fassadenteile aus Aluminiumblech in Wellenstruktur, die bei Sonnenlicht die irisierenden Lichteffekte bewirken. Die Hallen beherbergen neben der Produktion auch zwei Showrooms sowie das Citizen Office.

1989 wurde die zweite Produktionshalle errichtet, diesmal nach einem Entwurf des kanadisch-amerikanischen Architekten Frank O. Gehry (*1929). Gehry ist Träger des Pritzker-Preises (der renommierteste Architekturpreis der Welt, gilt mittlerweile als eine Art Nobelpreis für Architekten) und muss als solcher einem deutschen Publikum kaum mehr vorgestellt worden, weil er hierzulande berühmt-berüchtigte Gebäude geschaffen hat, die in einer breiten Öffentlichkeit nicht immer unumstritten waren – man denke nur an den verdrehten Gehry-Tower in Hannover, das Gebäude der DZ Bank in Berlin (am Brandenburger Tor) oder den Neuen Zollhof in Düsseldorf, der ohne Gesimse und Sockel auskommt und mit seiner fließenden Fassade wie ein schmelzendes Stück Eis im Sonnenschein wirkt. Gehrys Produktionshalle für den Vitra-Campus entspricht in Höhe und Grundfläche der benachbarten Grimshaw-Halle und ist in Summa von einer sachlichen Formensprache geprägt; nur im Eingangsbereich zeigt sich, wofür Gehry weltweit gefeiert wird: geschwungene Rampen und ein überstehendes Dach sind geprägt durch eine weitschweifige Linienführung, wodurch dem Bau (wie so vielen anderen Gehry-Gebäuden auch) eine dynamische, organische Note anhaftet. Bei Gehry fallen Design und Architektur in eins, und dies wird insbesondere dann deutlich, wenn man das Vergnügen hat, die tunnelartigen Rampen zu beschreiten, durch die man zu einer Kantine, zu Büros, Schau- und Produktionsräumen sowie einem Testzentrum gelangt. Wenige Jahre später (1994) wurde die dritte Produktionshalle auf dem Campus in Betrieb genommen.

Ganz im Gegensatz zu den Grimshaw- und Gehry-Bauten ist die Halle von Álvaro Siza (*1933) in Backstein gehalten, womit ein materialer Bezug zu den alten Werkstätten genommen wird, die den Flammen zum Opfer fielen. Die Produktionshalle von Siza ist in einem gewissen Sinne ein kontaktfreudiges und verbindendes Gebäude, das einen nicht unerheblichen Beitrag zur Heterogenität des Campus leistet. Indem diese Halle als schlichter, schnörkelloser Zweckbau fungiert, kommen die Eigenheiten der sie umgebenden Gebäude hervorragend zu Geltung. Doch ist dies nur der erste Eindruck. Auf den zweiten Blick zeigt sich nämlich, dass auch Sizas Halle mit einem konstruktiv-ästhetischen Clou aufwartet, der nicht direkt ersichtlich ist: einer höhenverstellbaren Brückendach-Konstruktion. Man müsste schon auf Regen warten, um die technische Besonderheit zu bemerken: Bei Regen senkt sich das Dach ab, um Fahrzeugen und Personal einen witterungsgeschützten Zugang zur Halle zu ermöglichen. Durch die geschwungene Gestalt wird außerdem die Sichtachse zum Feuerwehrhaus von Zaha Hadid nicht beschränkt. Je nach Standort und Lichteinfall wirkt der Schatten der Brücke zudem so, als setzte sich diese auf dem Ziegelwerk fort. Der Portugiese Siza, der mit vollem Namen Álvaro Joaquim de Melo Siza Vieira heißt, hat damit einen eigenständigen Beitrag zur Entstehung des Vitra Campus geleistet. Der Name Siza – ebenfalls ein Pritzker-Preisträger – ist ein weiterer ikonischer Name in der Riege der international angesehenen Architekten, die für Vitra bauen durften; so gilt Siza als einer der bedeutendsten portugiesischen Vertreter der architektonischen Moderne, dessen Bauten eine formale Strenge charakterisiert. Das zeigt sich auch in der scharfen Silhouette seiner Halle, deren konsequente Schönheit zum einen im warmen Rot-Ton des verwendeten Fassadenmaterials liegt, zum anderen aber gerade auch in der Absenz jedweder Zierelemente zur Geltung kommt. Weniger ist eben mehr!

Als vierte und vorerst letzte Halle ist die nahezu kreisrunde Werkshalle des japanischen Architekturbüros SANAA hinzugekommen. Diese ist seit 2010 funktionaler Bestandteil des architektonischen Ensembles; ästhetisch gehört sie seit 2012, der Fertigstellung der Fassade, vollends zum Campus. Mit ihrer ovalen Form hebt sie sich deutlich von den übrigen, rechteckigen Produktionshallen ab. SANAA hat diese Form gewählt, um dem Lastkraftwagenverkehr genügend Zirkulationsfläche zu bieten. Die Fassade ist wie auch die der Grimshaw’schen Halle wellenförmig strukturiert; tritt man nahe an das Gebäude heran, offenbart sie eine schier zerbrechliche Schönheit. SANAA (Sejima And Nishizawa And Associates) ist ein japanisches Architekturbüro unter der Leitung von Kazuyo Sejima und Ryūe Nishizawa. Wie auch Gehry und Siza sind die beiden Pritzker-Preisträger; in Deutschland bekannt geworden durch einen kubischen Bau für die Zeche Zollverein in Essen. SANAA wird weltweit respektiert für minimalistische Gebäude, die in der Hauptsache aus unbehandeltem Sichtbeton sowie Aluminium, Glas und Stahl erbaut sind. Eine reduzierte Architektur als die von SANAA scheint kaum möglich, und so ist mit der ovalen Halle sowohl die architektonische Heterogenität des Vitra Campus profiliert als auch dessen Anziehungskraft für Architekturliebhaber aus aller Welt gestärkt worden.

Bei Vitra in Weil am Rhein können Sie sehen, wie der Lounge Chair gefertigt wird, Sie können in aller Ruhe durch das Vitra Haus schlendern, die imposanten Gebäude verschiedener Designer bestaunen und die Wechselausstellungen auf sich wirken lassen. Neben all diesen, den Zuschauern bereits zugänglichen Attraktionen bei Vitra, gibt es aber noch mehr. Da ist zum Beispiel die Sammlung des Vitra Design Museum, die zu den wichtigsten Möbeldesign-Beständen überhaupt zählt, bisher aber nicht dauerhaft gezeigt wurde. Die Sammlung umfasst tausende Möbelstücke, Leuchten und sowohl Archive als auch Nachlässe berühmter Designer. Glücklicherweise hat sich Vitra nun entschlossen diese Sammlungen tagtäglich zugänglich zu machen. Da es für diese großen Lagerbestände einen geeigneten Platz braucht, musste auch ein neues Gebäude auf dem Vitra-Gelände her. Das Schaudepot sollte ja nicht nur die passende Lagerung der kostbaren Gegenstände, sondern auch die Besichtigung durch das interessierte Publikum ermöglichen. Licht, Raumklima und natürlich auch die Optik – es gab viel zu beachten. Schon das Vitra Design Museum wurde bereits im Jahr 1989 von Frank Gehry als Sammlungsbau entworfen. Da in diesem Gebäude aber bis heute die stets wechselnden Ausstellungen untergebracht sind – seit der Eröffnung 1989 waren das schon mehr als 50 an der Zahl – wurde ein neuer imposanter Bau geplant.

Das fensterlose, zehn Meter hohe rote Haus, das nun als Schaudepot dient, scheint von außen ein ganz schlichtes Gebäude zu sein. Aus der Nähe betrachtet erkennt man, dass die Ziegel anders verarbeitet wurden als es sonst üblich ist. Die Bruchkante der Steine zeigt bei diesem Bauwerk nämlich nach außen. Unter dem Dach laufen sie sogar in einer Zickzacklinie – alltäglich und einfach ist das eher nicht. Die Baseler Architekten Herzog & de Meuron kombinierten bei diesem Bau traditionelle, alt her gebrachte Formen und Materialien mit einigen Kniffen und durchdachten Ideen zu einem modernen Gebäude. Unaufdringlich und doch beeindruckend – man möchte einfach hineingehen und schauen, was sich darin verbirgt. Einladend und etwas geheimnisvoll – passend also, wenn man daran denkt, dass es im Inneren so viel zu entdecken gibt. Herzog & de Meuron waren übrigens nicht das erste Mal für Vitra tätig. Die Architekten aus Basel bauten bereits das imposante Vitra-Haus, das 2010 eröffnet wurde. Beim Betreten des Schaudepot möchte man vielleicht zuerst einmal kurz die Luft anhalten. Man befindet sich in einer großen Giebelhalle, die nach oben hin ganz in Weiß gehalten ist. Farbe und Leben bringen die vielen Objekte mit, die das Möbeldesign „lebendig“ machen. Eine spannende Zeitreise wartet hier auf Sie – Design aus vergangenen Zeiten und kühlen Materialien sind hier genauso zu finden wie witzige, bunte Möbel, die einfach Lust auf mehr machen. Möbeldesign von 1800 bis heute – und das alles in einem einzigen Gebäude. Was darf es denn sein? Ein Stuhl aus dem 18. Jahrhundert oder doch lieber ein Modell, das einem 3D-Drucker entsprungen ist?

Die Design-Sammlung stammt ursprünglich von Rolf Fehlbaum, dem ehemaligen Vorsitzenden von Vitra. Er übergab diese an das Designmuseum. Und nun gibt es dank des neuen Schaudepots auch endlich Platz, um die umfassende Möbelsammlung passend zu präsentieren. Zusätzlich zu der Ausstellung gibt es in dem neuen Gebäude auch ein unterirdisches Lager. Allerdings ermöglichten die Architekten Herzog & de Meuron durch einen horizontalen Wandaufbruch eine außergewöhnliche Sichtverbindung zwischen der Haupthalle und dem Untergeschoss. Auf verglasten Regalen können Sie viele weitere Werke bestaunen. Durch große Fensterscheiben hat man auch die Möglichkeit, unter anderem den Nachlass von Charles und Ray Eames zu besichtigen, und man kann Restauratoren bei der Arbeit zusehen. Während man das eigentliche Depot im Untergeschoss nur visuell entdecken kann, bietet die große Materialsammlung die Möglichkeit, so manchen Rohstoff auch einmal anzufassen und so das eigene Möbelwissen anzureichern. Wer schon immer einmal sehen wollte, wie sich das Alltagsgdesign verändert und entwickelt hat, wird hier auch fündig, denn Teile der Bestände dokumentieren genau diese Entwicklung. Mit dem neuen Vitra Schaudepot gibt es nun nicht nur eine weitere Attraktion auf dem Vitra Campus, sondern auch einen zweiten Eingang. Somit wird Vitra noch besser zugänglich – sowohl von Weil am Rhein als auch von Basel aus. Und die Entwicklung wird weitergehen – der Vitra-Campus ist immer einen Besuch wert!