Stromerzeugung eingeschränkt Die Hitze bringt sogar die AKW ins Schwitzen

Von Andreas Fischer

19.7.2022

Das AKW Beznau muss die Leistung derzeit um bis zu 50 Prozent drosseln, um in der Hitzewelle die Aare nicht zu stark mit dem eigenen Kühlwasser zu erwärmen.
Das AKW Beznau muss die Leistung derzeit um bis zu 50 Prozent drosseln, um in der Hitzewelle die Aare nicht zu stark mit dem eigenen Kühlwasser zu erwärmen.

Es ist zu warm für das AKW Beznau, das momentan weniger Strom produziert. Verschärft sich jetzt der Strommangel? Wie gut sind die Schweiz und ihre Kernkraftwerke eigentlich für die Hitze gerüstet?

Von Andreas Fischer

19.7.2022

Mehr Hitze, weniger Strom: In Frankreich zeigt sich derzeit deutlich, wie abhängig die Stromerzeugung vom Wetter sein kann. Die Atomkraftwerke der Grande Nation sind für die Hitzewelle nicht gerüstet. Die Kühlung macht Probleme: Das warme Kühlwasser würde ohnehin zu warme Flüsse wie Rhône und Gironde weiter aufheizen. Derzeit sind insgesamt sechs Atomkraftwerke unter erhöhter Aufsicht, bei denen es in künftigen Hitzeperioden zu Problemen kommen könnte.

Eigentlich bliebe Frankreich nur die Drosselung der Leistung (oder die komplette Abschaltung) von Reaktoren. Das allerdings hatte gravierende Auswirkung auf die Stromversorgung des Landes: Auch ohne Hitzewelle sind im Atomstromland Frankreich nur etwa die Hälfte der oft altersschwachen Reaktoren am Netz. Für die Stromversorgung ist das katastrophal.

Ist die Aare zu warm, wird die Leistung reduziert

Die Hitzewelle macht freilich an der französisch-schweizerischen Grenze nicht Halt. Wegen der anhaltend hohen Temperaturen muss das Atomkraftwerk Beznau die Leistung reduzieren.

Der Grund: Die Reaktoren werden von der Aare gekühlt. Wegen der anhaltenden Hitze ist deren Wasser zu warm. Das AKW Beznau ist verpflichtet, die Leistung zu reduzieren, wenn die Temperatur des eingeleiteten Kühlwassers in die Aare 32 Grad erreicht. Andernfalls könnte sich die Aare auf über 25 Grad Wassertemperatur erwärmen: Laut Schweizerischem Fischerei-Verband ist dies die oberste Grenze, die Fische über längere Zeit aushalten können.

Die Schweiz geht damit einen anderen Weg als Frankreich, das allerdings auch stärker abhängig vom Atomstrom ist. Dort ändert man einfach die Vorschriften: Einige Kernkraftwerke dürfen die Gewässer mit einer Sondergenehmigung neuerdings deutlich stärker erwärmen, als bisher. «Nicht cool» befand die französische Tageszeitung «Liberation». Zumal die Wissenschaft davon ausgeht, dass es in Zukunft häufiger zu extremen Wetterereignissen aufgrund des Klimawandels kommt – zum Beispiel zu häufigeren und längeren Hitzeperioden.

Nuklearaufsicht definiert Extrem-Ereignisse neu

Auch auf die Schweiz kommt einiges zu. «Wetterextreme werden sich weiter häufen, das können wir in den Daten schon sehen», erklärte Klimaphysiker Erich Fischer von der ETH Zürich angesichts der Rekordhitze im Mai in einem Gespräch mit blue News. Insbesondere bei der Hitze sei der Trend zur Häufung von Extremwetterereignissen an sehr vielen Messstationen in der Schweiz nachweisbar.

Das für die Aufsicht der Kernkraftwerke zuständige Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat (Ensi) hat deshalb vor Kurzem die Gefährdungsannahmen für Extremwetter-Ereignisse für die drei Schweizer Kernkraftwerke Beznau AG, Gösgen SO und Leibstadt AG neu definiert. Darin geht es um Tornados, extremen Wind, hohe und tiefe Wassertemperaturen, Starkregen, Schneelast und Hagel. Aber es geht auch um hohe (und tiefe) Lufttemperaturen: So müssen die AKW beispielsweise grosser Hitze von über 42 Grad standhalten.

Auf Nachfrage von blue News heisst es in einer schriftlichen Antwort vom Ensi: «Die Kernkraftwerke in der Schweiz sind ausreichend gegen die Auswirkungen von extremen Temperaturen in Luft und Wasser, Starkwinden, Niederschlägen und weiteren Wetterphänomenen geschützt.» Man sei für durch den Klimawandel bedingte Extremwetterereignisse gerüstet

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Beznau liefert bis zu 50 Prozent weniger Strom

Die extreme Hitze, wie sie aktuell und in den nächsten Tagen in der Schweiz herrscht, sei für die AKW beherrschbar. «Steigen die Flusstemperaturen an, sinkt die Kühlleistung», erklärt Ensi-Mediensprecher Christoph Trösch. «Die Kernkraftwerke in der Schweiz haben nachgewiesen, dass sie Wassertemperaturen bis über 28 Grad Celsius beherrschen. Da die Temperaturen nicht plötzlich steigen, können die Reaktoren rechtzeitig die Leistung reduzieren oder ganz abgefahren werden. Somit stellen hohe Flusstemperaturen sicherheitstechnisch keine besondere Gefahr dar.»

Welchen Einfluss leistungsreduzierte oder gar abgeschaltete Reaktoren auf die Stromversorgungslage in der Schweiz haben, konnte das Ensi nicht beantworten. In der Vergangenheit haben die mit Flusswasser gekühlten Atomkraftwerke, neben Beznau auch das inzwischen abgeschaltete AKW Mühlberg, immer wieder bei Hitze ihre Leistungen reduziert. So drosselte das AKW Beznau im August 2018 die Leistung wegen hoher Temperaturen um 30 Prozent und ist seit 2019 verschärften Richtlinien unterworfen.

Der Nachrichtenagentur Keystone-SDA teilte Mediensprecher Noël Graber von der Betreiberfirma Axpo mit, er könne nicht sagen, wie gross die aktuelle Leistungsreduktion des Kernkraftwerks Beznau in Prozent ausgedrückt sei. Das Werk reagiere laufend auf die Temperatur der Aare und auch auf die Abflussmenge des Flusses: «Es wird dynamisch auf die Entwicklung reagiert.» Die Leistung werde derzeit um bis zu 50 Prozent verringert.

Klimawandel macht sich bemerkbar

Der Frage, ob man erwarte, dass vorsorgliche Drosselungen der Reaktoren in Zukunft häufiger zu erwarten sind, weicht das Ensi aus: «Der Wissensstand bezüglich Klimawandel entwickelt sich stetig weiter. Die Extremwetter-Gefährdungsannahmen und die entsprechenden Sicherheitsnachweise für die Schweizer Kernkraftwerke müssen daher regelmässig aktualisiert werden.»

blue News hat bei den drei Schweizer Kernkraftwerken nachgefragt, inwieweit sie auf den Klimawandel vorbereitet sind. Beznau-Sprecher Noël Graber äussert sich klar: «Wenn wir davon ausgehen, dass Hitzeperioden in Zukunft häufiger vorkommen, dann wird es auch häufiger solche Leistungsreduktionen geben.»

Dabei würde das Kernkraftwerk Beznau entsprechend den Vorgaben die Leistung reduzieren, «im Tagesverlauf je nach Wassertemperatur. Das ist eine Routinetätigkeit im Kraftwerksbetrieb. Für Axpo heisst das: Wir müssen jeweils für den Strom, der nicht bei uns produziert wird, am Markt Ersatz beschaffen».

Im Winter fehlen potenziell Kapazitäten

Solange nicht auch noch ausländische Kraftwerke aufgrund von Hitze und Trockenheit in grösserem Stil Leistung reduzieren müssten, habe die Leistungsreduktion des AKW Beznau keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Stromversorgung der Schweiz, teilt die Eidgenössische Elektrizitätskommission ElCom auf Nachfrage mit. «Die fehlende Energie des KKW Beznau wird durch andere Produktion kompensiert, entweder durch inländische Speicherseen oder – in der aktuellen Marktlage wahrscheinlicher – durch fossile Kraftwerke im europäischen Ausland», so Antonia Adam.

Die Mediensprecherin gibt allerdings zu bedenken: «Alles, was jetzt zusätzlich mittels schweizerischer Speicherkraftwerke oder ausländischer Gaskraftwerke produziert wird, fehlt potenziell im Herbst und Winter in den Wasser- beziehungsweise Gasspeichern. Dies könnte die angespannte Lage im Winter verschärfen. Sollte natürlich Russland doch weiterhin genügend Gas liefern, wäre diese Thematik entschärft.»

Beim Bundesamt für Energie ist derweil eine neue Studie zur Versorgungssicherheit in Arbeit. Dabei wird bei den Modellierungen auch der Einfluss von trockenen, heissen Jahren berücksichtigt.

Kernkraftwerke sind für den Klimawandel gerüstet

Die Sicherheit der Schweizer Kernkraftwerke ist durch die Hitze nicht beeinträchtigt. «Das Kernkraftwerk Beznau und auch alle anderen Schweizer Kernkraftwerke können anhaltende Hitzewellen mit hohen Luft- und Wassertemperaturen problemlos bewältigen», so Noël Graber.

Auch in Gösgen sieht man sich gut gerüstet für Hitzewellen. «Das Kernkraftwerk Gösgen verfügt über einen Kühlturm und deckt seinen Kühlbedarf hierüber», antwortet Mediensprecherin Barbara Kreyenbühl schriftlich. Man sei – anders als flusswassergekühlte Anlagen – von Aussentemperaturen weitgehend unabhängig: «Die hohen Temperaturen schränken den Betrieb nicht ein, fordern keine Sondermassnahmen, und es besteht kein Sicherheitsrisiko.»

Das Kernkraftwerk Leibstadt bezieht für die Kühlung im Normalbetrieb Wasser aus dem Rhein, heisst es von der Medienstelle. «Auch bei einem sehr tiefen Wasserstand im Rhein entspricht die entnommene Wassermenge im Normalbetrieb weniger als ein Hundertstel der ganzen Flusswassermenge.»

99 Prozent der Abwärme des Kraftwerks würden über den Kühlturm in die Luft abgeführt. «Nur das Wasser der Nebenkühlsysteme wird wieder in den Rhein zurückgeführt. Die Wassertemperatur des Rheins wird dadurch praktisch nicht beeinflusst.»

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