Pionier Spreadshirt: "Stasi 2.0"-Shirts erst nach Protesten

Erst nahm sie keiner ernst. Heute verkauft die Firma Spreadshirt erfolgreich individualisierte T-Shirts im Netz. Und wird mit neuen Problemen konfrontiert - von Betriebsräten bis Lohas.

Das Hemd des Anstoßes: die Schäublone auf Baumwolle. Bild: spreadshirt.net

Die Geburt dauert nur 10 Sekunden. Es zischt ein wenig, es wird warm, und dann ist es vorbei. Wenn sich in der Produktionshalle der Deckel einer Dampfpresse hebt, ist ein neues „Spreadshirt“ geboren. Dieses hier ist orange und trägt ein chinesisches Zeichen auf der Brust. Ordentlich gefaltet und in einen Karton verpackt reist es zu seinem Bestimmungsort, dorthin, wo es keine 48 Stunden zuvor von einem Kunden per Mausklick gezeugt wurde.

T-Shirts mit den eigenen Motiven bedrucken – die Idee ist nicht neu, trotzdem hat die Leipziger Firma Spreadshirt sie revolutioniert. Auf deren Website können Kunden im "T-Shirt-Designer" zunächst ihr Wunsch-Shirt selbst gestalteten. Die Bestellung schickt der Hobby-Modedesigner online ab, nach spätestens 2 Tage soll das individualisierte T-Shirt laut Spreadshirt in der Post sein - und zwar egal ob ein Exemplar oder zwanzig Stück. Wer selbst Motive entwirft oder die anderer auf schicke Klamotten drucken lasst, kann damit auch Geld verdienen: Bei einem Verkauf geht der Hauptanteil an Spreadshirt, das dafür Abwicklung, Produktion, Versand und Kundenbetreuung übernimmt. Der Motivdesigner bekommt eine selbst festgelegte Provision – maximal 15 Euro.

Ein "unrealistisches Geschäftsmodell" sei das, bekamen die Gründer Lukasz Gadowski und Matthias Spieß bei einem Business-Wettbewerb im Jahr 2002 zu hören. Sie mussten die Firma ohne Startkapital gründen. Inzwischen ist das Unternehmen auf weltweit 250 Mitarbeiter angewachsen und produziert in Leipzig, Polen und den USA. Aus der GmbH ist die Sprd AG geworden, 2006 hat eine Investmentfirma einige Anteile erworben. Gerade haben die Shirt-Macher eine neue Firmenzentrale in Leipzig bezogen. Büros und Produktionshalle sind jetzt unter einem Dach. Die inzwischen aufgetauchte Konkurrenz fürchte das Unternehmen nicht, sagt Sprecherin Eike Sievert. "Die machen ihre Sache sicher auch gut, aber wir haben einfach Jahre Vorsprung."

Die große Fertigungshalle im Leipziger Fabrikgebäude strahlt zwar Startup-Atmosphäre aus, doch der Traum, mit einer Web-2.0-Idee reich zu werden wird offenbar auch bei Spreadshirt nur für wenige Realität. Als sich vor Jahren erstmals die Arbeiter in der Fertigung über zu niedrige Löhne und zu hohe Überstunden beschwerten, kam das für die Web-2.0-Unternehmer überraschend. Im Jahr 2006 kam es unter der Belegschaft zu einem "Aufschrei", so Spreadshirt-Vorstand Michael Petersen im Wirtschaftsmagazin Brand Eins. "Die Leute forderten plötzlich einen Betriebsrat. Dies war eine Entwicklung, mit der niemand gerechnet hat." Einen Betriebsrat gibt es inzwischen, außerdem hat Spreadshirt eine "Lohnevaluation" durchgeführt. Im Anschluss daran seien, so Pressesprecherin Eike Sievert, die Löhne "angeglichen" worden.

"Wir sind auf einem sehr guten Weg", sagt Thomas Stephan. Er ist seit der Gründung im Betriebsrat dabei, seit einer Woche ist er dessen Vorsitzender. Die Mitarbeiter der Produktion arbeiten bis auf die Aushilfen in einem Angestelltenverhältnis, einen Lohn auf Tarifniveau erhalten sie jedoch nicht. "Natürlich existiert ein Betriebsrat nicht ohne Grund", sagt er. In der rasanten Weiterentwicklung des Konzerns sei teilweise der "Faktor Mensch" vernachlässigt worden. "Jetzt sind wir aber aus dieser Phase raus", so Stephan.

In der Spreadshirt-Sprache heißt das: "remember, it’s all about people" und hängt, natürlich auf T-Shirts gedruckt, als Teil der Firmenphilosophie an den Wänden der Büroräume. "be focused and efficient" mahnt ein blaues Shirt daneben. Jeden Tag laden Nutzer im Internet mehrere Hundert neue Motive hoch. Bei etwa 20 Prozent gibt es Beanstandungen, meist, weil die Motive technische Voraussetzungen nicht erfüllen oder das Urheberrecht verletzen.

Andere Motive werden abgelehnt, weil sie verbotene Symbole enthalten oder gegen firmeneigene Ethikgrundsätze verstoßen. In einigen Fällen ist die Lage aber nicht eindeutig. Etwa beim von Gegnern der Vorratsdatenspeicherung in Umlauf gebrachte Konterfei von Innenminister Schäuble mit der Unterzeile "Stasi 2.0". Dieses Motiv wollte Spreadshirt erst nicht drucken. Erst als die Empörung von Bloggern und Internet-Aktivisten darüber nicht abebbte, lenkte das Unternehmen ein: "Wir haben uns daraufhin mit unserem Ethikrat aus Mitarbeitern und Management zusammengesetzt und das noch mal diskutiert", so Andreas Schröterer aus dem Spreadshirt-Management. Anschließend konnte das Shirt mit der "Schäublone" endlich in den Druck gehen.

Die Macht der Konsumenten bekam das Unternehmen auch in Puncto soziale Verantwortung zu spüren. Im Sommer sorgte die Hamburger Bloggerin und Journalistin Kirsten Brodde für einen Eklat: Sie nutzte eine Shirtdruck-Aktion von Tchibo, die der Kaffeeröster und Gemischtwarenladen gemeinsam mit Spreadshirt anbot, um mit dem Schriftzug "gefertigt für Hungerlöhne" auf die Herkunft der T-Shirts aufmerksam zu machen. Die Shirts lieferte Spreadshirt zu Broddes eigener Überraschung auch aus. Auch wenn sich Broddes Anschuldigungen nicht nur auf die T-Shirts von Spreadshirt bezogen, sondern auf die Arbeitsbedingungen in der Herstellung billiger Textilien im allgemeinen, lenkte es die Aufmerksamkeit auf die Produktionsbedingungen der T-Shirt-Firma.

Inzwischen hat Spreadshirt einen "Social Code of Conduct" entwickelt, den alle Zulieferer und Produzenten unterschreiben müssen. Unter anderem verpflichten sich diese darin zu "fairen Arbeits- und Produktionsbedingungen", eine Herstellung ohne Kinderarbeit und zu gerechten Löhnen. Ein Nebensatz höhlt die Selbstverpflichtung aber gleich wieder aus: Alles soll "im Rahmen der Möglichkeiten" geschehen. Immerhin: Ein Teil der verwendeten Textilien stammt vom US-Unternehmen American Apparel, das in L.A. statt in Billiglohnländern produziert und unter Lohas als hip gilt. Die Mehrheit der Textilien, auch die der Eigenmarke, werde in der Türkei und Bangladesch unter guten Arbeitsbedingungen produziert, gerade habe eine Überprüfung einiger Werke stattgefunden, so Sprecherin Sievert. Die Ergebnisse lägen allerdings noch nicht vor.

Produkte aus Bio-Baumwolle finden bei der Kundschaft noch mäßigen Anklang – der Verkaufsanteil liegt bei fünf Prozent. Das liegt am höheren Preis - oder daran, dass Existenz und Sinn von Bioshirts vielen Kunden nicht ganz klar sind, ergab eine Umfrage unter den Spreadshirt-Kunden. Die Mützen und Handschuhe, diesen Winter neu im Sortiment, sind denn auch aus Kunstfaser.

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