StartseiteMagazinKulturGerhard Richter: Landschaften entdecken

Gerhard Richter: Landschaften entdecken

«Gerhard Richter. Landschaft» ist die erste Einzelausstellung des bedeutenden zeitgenössischen Künstlers im Zürcher Kunsthaus. Zu sehen sind rund 140 Arbeiten, die meisten davon erstmals in der Schweiz.

Landschaften sind grundsätzlich positiv besetzt. Auch Gerhard Richters Landschaftsbilder entsprechen unserer Vorstellung von «schön». Er selbst sagte 1981: «Solche Werke zeigen meine Sehnsucht, sie sind ein Traum nach klassischer Ordnung und heiler Welt.» Doch als er damit begann, malte er gegen den Trend. Kunstströmungen wie Pop Art, Konzeptkunst und politisch motivierte Kunst waren tonangebend und Richters Malerei hatte eine subversive Qualität.

Gerhard Richter, Vierwaldstätter See, 1969, Öl auf Leinwand. Daros Collection, Schweiz. Foto: Robert Bayer.

Es wurde auch behauptet, die Landschaftsmalerei habe ausgedient, und trotzdem bearbeiten sie die Künstler. Gerhard Richter beschäftigt sich seit den späten 1950er Jahren mit Landschaften als Motiv in vielfältiger Manier: Gemälde, Druckgrafiken, Zeichnungen, Fotocollagen, Fotoeditionen, übermalte Fotografien, Künstlerbücher, sogar ein dreidimensionales Objekt gehört zu seinem Oeuvre. Der Berliner Gastkurator Hubertus Butin und Kuratorin Cathérine Hug vom Kunsthaus Zürich realisierten die Ausstellung in Kooperation mit dem Kunstforum Wien in fünf Kapiteln.

Gerhard Richter, Waldhaus, 2004. Privatsammlung.

Landschaft aus zweiter Hand heisst das erste Kapitel der Ausstellung. Die Bilder dieser Kategorie basieren nicht auf der unmittelbaren Wahrnehmung einer realen Landschaft, sondern auf der Grundlage einer medial vermittelten Wirklichkeit. Denn für zahlreiche Landschaftsgemälde oder -zeichnungen verwendete Richter Fotografien als bildnerische Vorlagen aus dem eigenen Fundus des Atlas der Fotos, Collagen und Skizzen oder auch persönliche Fotos. Dabei bleibt die spezifisch fotografische Ästhetik des Ausschnitts sowie der Bildaufbau deutlich sichtbar. Unschärfen unterscheiden die Gemälde mitunter von der Vorlage, wie im Ölgemälde Waldhaus. Hier erscheint das Angestelltenhaus des berühmten Hotels in Sils Maria im Engadin stark angeschnitten und an den Rand gedrängt. In einer klassisch-künstlerischen Komposition würde das auffällige Detail kaum in dieser Weise dargestellt.

Im zweiten Kapitel Romantisierende Bilder als «Kuckuckseier» bezieht sich Richter auf die Malerei der Romantik. Er sieht sich als «Erbe einer ungeheuren, grossen, reichen Kultur der Malerei» und fühlt sich verpflichtet, seine Arbeit nicht einzig aus sich selbst heraus zu schaffen, sondern sich auch der Kunstwerke der Vergangenheit zu besinnen.

Gerhard Richter, Landschaft bei Hubbelrath, 1969. Ludwig Forum für Internationale Kunst Aachen, Leihgabe der Peter und Irene Ludwig Stiftung. Foto: rv.

1974 entdeckte Richter für sich Caspar David Friedrich (1774-1840), der in der profanen Landschaftsmalerei die religiöse Andacht suchte; die Sehnsucht, das Endliche mit dem Unendlichen zu verbinden. Friedrich erzielte stimmungsvolle Effekte durch einen weiten Himmel und tiefen Horizont, durch Sonnenuntergänge, Wolkengebilde und Regenbögen, auch Dunst und Nebel schaffen atmosphärische Unschärfen und verwischen Details.

Da die Landschaft nach Richters Ansicht heute nicht mehr mit Religion assoziiert werden kann, relativiert er seine romantisch wirkenden Motive mit dem Einsetzen von Zeichen der modernen Zivilisation, etwa einer Autobahnbrücke oder dem Strassenschild und den schwarz-weissen Leitpfosten entlang der Asphaltstrasse in Landschaft bei Hubbelrath. Trotzdem wirken viele seiner Landschaftsbilder romantisch, deshalb bezeichnet er sie als «Kuckuckseier».

Parkstück, 1971, Öl auf Leinwand, 3-teilig. Nanette Gehrig. Foto: rv.

Landschaften in der Abstraktion, ein weiteres Kapitel, zeigt vorwiegend in den 1960er- und 1970er-Jahren entstandene stark abstrahierte Gebirgs-, Park- und Stadtbilder. Diese Werke loten die Möglichkeiten einer fotografisch basierten Abstraktion malerisch weiter aus. Die abbildhaft dargestellten Landschaftsmotive zeichnen sich durch breite, energische Pinselstriche und pastos aufgetragene Farbmaterialität aus. Die schwarz-weissen Gemälde der Stadtlandschaften mit städtebaulichen Strukturen gehen auf Luftaufnahmen zurück, ohne dass sie durch die Titel zu identifizieren wären. Der Malprozess wird hier selbst visualisiert und zum Thema gemacht.

Gerhard Richter, Sankt Gallen, 1989, Öl auf Leinwand, 2-teilig 250 x 680 cm, Universität St. Gallen, St. Gallen. Foto: rv.

Das monumentale Werk mit dem Titel Sankt Gallen ist ein abstraktes Gemälde, das eine Landschaft assoziiert. Es entstand 1989 als Auftragsarbeit für die Universität St. Gallen. Richter stellte es ohne fotografische Vorlage in Rakeltechnik her. Mit einer langen, schmalen Kunststoffleiste zog er das Farbmaterial über die Bildfläche und meinte, bei einem abstrakten Gemälde forme sich das Bild allmählich zu einer Landschaft, die er nicht kenne.

Gerhard Richter, Seestück (See-See), 1970. Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie. Foto: bpk / Nationalgalerie, SMB / Jörg P. Anders.

Landschaften als fiktionale Konstrukte produzierte Richter in den 1970er- und 1990er-Jahren. Anhand von Ölgemälden, Druckgrafiken und Fotocollagen stellte er Landschaften und monumentale Räume dar, die es in der Wirklichkeit nicht gibt. Meeres-, Berg- und Wolkenbilder setzte er motivisch so zusammen, dass sie aufgrund ihrer Grösse oder Anordnung jede reale Erfahrung übersteigen. Für das schwarz-weisse Seestück von 1970 montierte er zwei Fotos zusammen. Sowohl die Collage als auch die Version als Ölgemälde zeigen eine Meereslandschaft, deren Himmel durch ein um 180 Grad gedrehtes Meeresbild ersetzt wurde. Damit entspricht dieser Bildraum nicht mehr einem realen Landschaftsraum, und trotzdem nehmen wir das obere Meeresmotiv als Himmel wahr.

Gerhard Richter, Piz Surlej, Piz Corvatsch, 1992, Öl auf Fotografie. Sammlung Peter und Elisabeth Bloch. Foto: Christoph Schelbert, Olten.

Übermalte Landschaften heisst das letzte Kapitel der Schau. Übermalungen von Landschaftsmotiven entstanden ab den 1980er-Jahren in Techniken wie Abklatschen, Abschaben, Aufspachteln und Überrakeln. Dabei verzahnte Richter zwei Wirklichkeitsebenen: Die Fotografie vermittelt eine reale Landschaft als gegenständliches Motiv, darüber appliziert er Farbmaterie in abstrakter Form. Die zwei unterschiedlichen Ebenen erscheinen als Einheit und gehen eine spannungsreiche Verbindung ein. Die meisten dieser Werke tragen einen Titel, sei es eine Ortsangabe oder einfach ein Datum.

Bis 25.07.2021
«Gerhard Richter. Landschaft» im Kunsthaus Zürich, mehr Infos hier.

Ausstellungskatalog, Hrsg. Lisa Ortner-Kreil, Hubertus Butin, Cathérine Hug, mit Abb., Hatje Cantz Verlag, Berlin 2020, CHF 48.00.

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