Kochkunde

Myriam Zumbühl

Geheimes Rezept

So gelingt der perfekte Kartoffelstock

Myriam Zumbühl Kochkunde
Die entscheidende Frage: Wie viel Butter im Verhältnis zu Kartoffeln muss in den Stock? (Bild: Getty Images)

Die entscheidende Frage: Wie viel Butter im Verhältnis zu Kartoffeln muss in den Stock? (Bild: Getty Images)

Sorgfältig zubereitet ist Kartoffelstock das samtigste Gericht der Welt. Und das mit gerade einmal vier Zutaten – plus viel Geduld.

Wenn Sie mich fragen, ist Kartoffelstock seit je das beste Essen der Welt. Gibt es etwas Schöneres, als in einen Haufen Stock eine grosse Mulde zu formen, damit das cremige Zürigschnätzlete darin seine Heimat findet? Und man dann, Gabel für Gabel, den Stock absticht und durch das Saucenseeli zieht, bevor es in den Bauch spediert wird? Kartoffelstock mit Seeli, das waren die kulinarischen Träume meiner Kindheit. Das Gericht hat bis heute nicht an Strahlkraft verloren.

Mittlerweile aber hat mich das Leben gelehrt: Stampf ist nicht gleich Stampf! Nie einem Löffel Kartoffelstock abgeneigt, sass ich in den Niederlanden vor grobem Stomp mit Lauch und Rauchwurst, vor trockenen Mashed Potatoes mit Gravy in den USA bis hin zu samt-buttrigem Kartoffelstock in Paris.

Es war natürlich ein Franzose, der den weltbesten, weil Michelin-gekrönten Kartoffelstock zubereitete: der verstorbene Jahrhundertkoch Joël Robuchon. An seinem Namen kommt man nicht vorbei auf der Suche nach dem besten Purée de pomme de terre. «In Frankreich ist es kein Stampf, es ist ein Püree. Es muss samtig sein», erklärt der 2-Sterne-Koch Olivier Jean, Executive Chef im Atelier de Joël Robuchon im «The Woodward» in Genf.

Er kennt das Robuchon-Rezept in- und auswendig, um das sich die wildesten Gerüchte ranken; zum Beispiel, dass der Meister ein Pfund Butter unter die 1 Kilogramm Kartoffeln gemischt haben soll. Olivier Jean schüttelt den Kopf: «So einfach ist das nicht, das ist abhängig von der Konsistenz der Butter und der Kartoffeln.»

Doch welche Kartoffeln für den besten Kartoffelstock?

Olivier Jean hat reichlich Erfahrung mit dem Rezept von Joël Robuchon, er kocht es schon seit über 15 Jahren. «Er wird jedes Mal anders. Aber ich kann mittlerweile von weitem sagen, ob er aromatisch gelungen ist oder nicht», sagt Olivier Jean. Entscheidend für den Geschmack seien die richtigen Kartoffeln. «Fingerling-Kartoffeln sind die besten. Sie haben ein leicht nussiges Aroma und sind mit ihrer kleinen, knorrigen Grösse gut in der Schale zu kochen», so die Empfehlung des 2-Sterne-Kochs.

In Taiwan habe er dank der hohen Luftfeuchtigkeit mit sehr feuchten Kartoffeln gekocht. «Die haben alles wie ein Schwamm aufgesogen, da war ein guter Kartoffelstock eine Herausforderung.» Hierzulande sind Aroma und Konsistenz abhängig von der Bodenbeschaffenheit und der Saison.

So wird der Kartoffelstock zubereitet

Und dann geht’s an die Töpfe. Kartoffeln, Salz, Milch und Butter sind die einzigen Zutaten, die Olivier Jean verwendet. Die Kartoffeln werden mit der Schale erst für 30 Minuten im gesalzenen Wasser geköchelt. «Dann mit der Rundung eines Hakens, keinesfalls mit einem Messer, die Garprobe machen», sagt der Koch. Das Messer schlitze die Schale auf, dadurch dringe Feuchtigkeit in die Knolle.

Anschliessend die Kartoffeln gut ausdampfen lassen, bevor sie geschält erst durchs Passe Vite und ein Mal durch ein feines Sieb gestrichen werden. Bei mittlerer Hitze in einen Topf geben und unter kräftigem Rühren austrocknen, bevor erst die Butter in kleinen Stückchen und dann die heisse Milch (2–3 dl bereithalten) mit dem Schneebesen luftig eingerührt werden.

Wie viel Butter braucht der Kartoffelstock?

Aber wie viel Butter denn nun? «Je mehr Stärke, desto weniger Butter brauchen wir. Oder umgekehrt: Hat die Kartoffel wenig Stärke, müssen wir die Textur mit der Milch und Butter wieder ausbalancieren», erklärt Olivier Jean. Beim Abschmecken solle man sich aufs Mundgefühl und sein Auge verlassen. «Die Konsistenz muss seiden sein, der Kartoffelstock aromatisch.»

Ganz grundsätzlich rät er: auf 1 Kilogramm Kartoffeln ungefähr 300 Gramm Butter bereitstellen. Und noch eine wichtige Regel: Hände weg vom Pürierstab. Er macht aus einem samtenen Stock einen klebrigen.

Für einen samtenen Kartoffelstock braucht es Geduld. (Bild: Getty Images)

Für einen samtenen Kartoffelstock braucht es Geduld. (Bild: Getty Images)

Ohne Geduld geht es nicht

«Im Restaurant halten wir den fertigen Kartoffelstock bei ca. 50°C und wärmen ihn vor dem Servieren nochmals auf», sagt Olivier Jean. Bis da sind gut 1,5 Stunden vergangen, und es scheint, als sei die fünfte und offenbar wichtigste Zutat für einen perfekten Kartoffelstock Geduld. Der britische Koch Tom Aikens, der Anfang der 90er Jahre für Joël Robuchon arbeitete, sagte einmal, dass die Zubereitung zwei Stunden dauerte und mehr Butter als Kartoffeln enthielt.

Im Internet findet sich ein Video von Robuchon, wie er einen armen Untergebenen mit einem Schneebesen bedrängt und sagt: «Encore du beurre, du beurre, du beurre». Böse Zungen behaupten, dass der Kartoffelstock den Sternekoch Joël Robuchon berühmt und alle anderen fett gemacht hat. Auf jeden Fall aber glücklich.

4 Rezepte mit möglichen Variationen

«Wenn der Kartoffelstock gut gemacht ist, dann ist er der Star auf dem Teller. Da braucht es nichts dazu», ist 2-Sterne-Koch Olivier Jean vom The Woodward Genf überzeugt. Für alle, die trotzdem experimentieren möchten: vier Variationen für den Kartoffelstock

  1. Mont d'Or: In der Schweiz auch als Ofenguck bekannt. Dabei wird Kartoffelstock mit Käse und Ei (wahlweise auch mit Schinken und Speck) vermischt und im Ofen gratiniert.
  2. Kartoffelspoom: Dabei wird ein sehr flüssiger Kartoffelstock in einen Kisagbläser gefüllt, aufgespritzt und frischer Trüffel darübergehobelt.
  3. Pommes Duchesse: Kartoffelstock wird mit Ei angereichert und mit einem Spritzbeutel rosettenförmig aufgespritzt und dann bei hoher Temperatur im Ofen goldgelb und knusprig gebacken.
  4. Mashtini: Quasi der salzige Cocktail. Kartoffelstock wird in kleine Gläschen abgefüllt und mit Oliven, Roastbeefröllchen, Wachteleiern usw. zum Apéro serviert.