Felicia Mäder aus Basel pflückt die Blumen am liebsten direkt auf auf dem Feld. (Bild: Yves Bachmann)

Felicia Mäder aus Basel pflückt die Blumen am liebsten direkt auf auf dem Feld. (Bild: Yves Bachmann)

Vom Hof in die Vase

Die jungen Wilden

Nicole Althaus Blumen
Farbenfroh, nachhaltig und naturnah – der Slow-Flower-Trend aus den USA hat auch die Schweiz erreicht. Dufte Wiesenblumen zieren jetzt unsere Wohnung. Wir haben mit Floristen über die neue Bewegung gesprochen und einen blühenden Strauss aus Wissenswertem rund um die bunten Stengel geschnürt.

Die gemeine Margerite von der Wiese, der hohe Rittersporn aus dem Garten und der zarte Klatschmohn, der am Strassenrand wächst, sind neuerdings an Hochzeiten gern­gesehene Gäste. Locker arrangiert in simplen Glasvasen, zieren sie die weiss gedeckten Tische im Park. Da und dort ist ein leuchtend rotes Blatt der filigranen Knitterblüte heruntergefallen und verleiht der Festtafel den nostalgischen Charme eines Bildes von Clara von Sivers.

Die berühmte deutsche Blumen­malerin des 19. Jahrhunderts , die lange Zeit bloss Auktionatoren und Stillleben-Liebhabern ein Begriff war, feiert auf Instagram gerade ein Comeback. Zusammen mit den einheimischen Sommer­blumen, die ebenfalls ein Mauerblümchendasein fristeten. Zu gewöhnlich waren sie, zu alltäglich. Gerade genug für einen hübschen Wiesenblumenstrauss. Aber als Dekoration für ein Fest oder eine elegante Hotellobby? Da musste ­bisher etwas Besonderes her. Callas etwa, zumindest aber rote Rosen.

Felicia Mäder aus Basel liebt es, auf dem Feld zu stehen und Blumen zu suchen, die «­knackige und starke Stiele haben und die im idealen Schneidestadium stehen». (Bild: Yves Bachmann)

Felicia Mäder aus Basel liebt es, auf dem Feld zu stehen und Blumen zu suchen, die «­knackige und starke Stiele haben und die im idealen Schneidestadium stehen». (Bild: Yves Bachmann)

«Unsere Philosophie ist es seit der Gründung im März mit Selma ­Bausinger und Lilli Schaugg, lokale und regionale Blumen zu luftigen Sträussen zu binden. Früher musste ich ständig diese Blätter, die aussehen wie Plastic, verarbeiten. So etwas kommt mir nie mehr in den Laden! Die Menschen ­lechzen nach Natürlichem und ­lieben die naturnahe Floristik. Ich schneide meine Blumen selber, daran wird sich auch nichts ändern, wenn ich das Geschäft nach der Sommerpause selbständig weiterführe.»Felicia Mäder, Blütezeit, Basel, Sommerpause bis 11. August.
(Quotes – Redaktion: Nadine Willi)

Die florale Revolution

Das Comeback der heimischen Blumen kommt einer floralen Revolution gleich. Allein schon in stilistischer Hinsicht haben die Sträusse, die man heute in meist kleineren und noch jungen Blumengeschäften in vielen Schweizer Städten ­findet, einen Paradigmenwechsel eingeläutet: Locker gebunden und luftig arrangiert, bringen sie jede einzelne Blume zur Geltung.

Was für ein Unterschied zu den Arrangements der achtziger Jahre, als die Lieblinge der Dekade, eine einzelne Calla oder Strelizie, von grossen exotischen Blättern umzingelt und mit Draht gefangen gehalten wurden – mehr Pop-Objekt denn Blumenstrauss. Oder zu den dichten ­Gestecken der Neunziger, in denen bloss perfekt gewachsene Blüten gewählt und in Form gezwungen ­wurden; so dicht band man sie ­aneinander, dass sie kaum Luft zum Atmen bekamen und mit ihren ­Köpfen knapp den Rand der Vase erreichten. Das Rohmaterial war jahrzehntelang so saisonal und natürlich wie ein Gericht aus ­Hors-sol-Tomaten und Erbsen aus der Dose. Der Vergleich hinkt nur auf den ersten Blick.

Florist Urs Bergmann vor seinem Blumenladen an der Zürcher Marktgasse. (Bild: Yves Bachmann)

Florist Urs Bergmann vor seinem Blumenladen an der Zürcher Marktgasse. (Bild: Yves Bachmann)

Saisonaler Strauss von Bergmann. (Bild: Yves Bachmann)

Saisonaler Strauss von Bergmann. (Bild: Yves Bachmann)

«Slow Flower ist nichts anderes als der Anspruch, der Blume die ­Aufmerksamkeit zu geben, die sie verdient. Sie soll Raum bekommen, um sich zu entfalten und zu riechen. Dafür müssen Blumen möglichst frisch sein. Insofern ist Slow Flower nichts Neues. Ich habe meine Blumen, wenn möglich, schon immer bei regionalen Händlern bezogen und auf kurze Transportwege geachtet. Aber natürlich kostet diese Art der Berufsausübung Zeit und gibt viel Arbeit. Genau wie selbstgemachtes Brot und schön gereifter Käse. Ich bin in einer Gärtnerfamilie aufgewachsen und gebe mir Mühe, möglichst nachhaltig zu konsumieren.»Urs Bergmann Florist, Zürich.

Regional und saisonal

Tatsächlich nämlich ist die neue Floristikbewegung demselben Nachhaltigkeits­gedanken verpflichtet wie die Slow-Food-Bewegung. Vom Hof auf den Tisch gilt neuerdings auch für ­Blumen. «Slow Flower» nennt sich die neuentdeckte Liebe zum regionalen und saisonalen Gebinde denn auch. Die Bewegung kommt aus den USA, wo die Floristin und mittlerweile erfolgreiche Buchautorin Debra Prinzing zusammen mit Gleichgesinnten 2012 «American grown flowers» zu propagieren begann und einer neuen Generation von Blumenhändlerinnen den Weg zum Erfolg ebnete – und so ein Revival traditioneller Blumengärtnereien einläutete.

Sträusse ohne Chichi

Auch in der Schweiz beginnt die Slow-Flower-Bewegung Fuss zu fassen. «Eine Mehrheit der Floristen, wenn auch nur eine kleine, bestätigt eine verstärkte Nachfrage der Kunden nach regionalen und damit saisonalen Blumen», sagt Urs Meier, Geschäftsleiter des Schweizerischen Floristenverbandes. Statt Importrosen und Papageien­blumen bindet Felicia Mäder heute Färberdisteln, Margeriten, Himbeerzweige oder Kamille zu lockeren Sträussen. Sie ist Leiterin und Inhaberin des Blumenladens ­Blütezeit in Basels «Unternehmen Mitte», das vor vier Monaten mit der erklärten Absicht eröffnet wurde, saisonale und regionale Blumen zu verarbeiten. Nachhaltigkeit, davon ist sie überzeugt, ist längst kein Trend mehr, sondern ein Lebensstil. Dafür geht die gelernte Floristin auch gern selbst auf das Feld, um Blumen zu pflücken: «Meine Kunden wünschen sich möglichst natürliche Sträusse ohne Chichi», sagt Mäder.

Annina Rohrer hofft, dass Slow Flowers nicht bloss ein vorüber­gehender Trend sind. (Bild: Yves Bachmann)

Annina Rohrer hofft, dass Slow Flowers nicht bloss ein vorüber­gehender Trend sind. (Bild: Yves Bachmann)

«Ich finde es wichtig, dass sich die Konsumenten nicht nur beim Essen fragen, woher die Produkte stammen und wie sie produziert wurden. Ich hoffe, dass der Slow-Flower-Trend nachhaltig das Verständnis und das Bewusstsein der Leute prägt. Regionale, saisonale Blumen sind ein wichtiger Bestandteil unseres Konzeptes. Bereits vor drei Jahren war eine wachsende Nachfrage nach natürlichen Feld- und Wiesensträussen zu spüren.» Annina Rohrer, Blumerei Kalkbreite, Zürich.

Im Sommer ist dieser Kundenwunsch bedeutend einfacher zu erfüllen als im Winter, wo auch Mäder nicht ohne Zukauf von Blumen aus Europa auskommt. Denn Schweizerinnen und Schweizer gehören zu den Weltmeistern im Blumenkaufen. 2016 wurden knapp 22 000 Tonnen Blumen verkauft, so viel wie seit 2003 nicht mehr. Rund zehn Prozent stammten aus heimischer Produktion. Trotz der gewachsenen Nachfrage stagniert diese. Seit 2017 nämlich gibt es ­keinen Grenzschutz mehr für die Inlandproduktion, was noch stärker auf den Preis drückt. «Mit Schnittblumen», sagt Meier, «ist hierzulande kaum mehr ein Auskommen zu machen.» Bei einem Generationenwechsel schlössen deshalb viele Gärtnereien ihre Tore. Meier will deshalb den Unter­nehmer­­verband Schweizer Gärtner, «Jardin Suisse», zu einer «Schweizer kaufen Schweizer Blumen»-Kampagne bewegen, um die heimische Produktion zu stärken.

Das Interesse an naturnaher, ­heimischer ­Blumendekoration ist gewachsen. (Bild: Yves Bachmann)

Das Interesse an naturnaher, ­heimischer ­Blumendekoration ist gewachsen. (Bild: Yves Bachmann)

Auf diese ist schliesslich angewiesen, wer nicht selbst Land besitzt, um Blumen anzubauen. So wie Susanne Ellenberger und Ursi Fuhrimann, die zusammen die gleichnamige Blumengärtnerei an der Herrengasse in Bern führen und von Februar bis Anfang November von der Eigenproduktion leben.

Mauerblümchen im Blitzlicht

Dass das Interesse an naturnaher, heimischer Blumendekoration gewachsen ist, spürt Ellenberger deutlich: «Vorab viele junge Menschen fühlen sich vom Slow-Flower-Trend angesprochen. Nicht nur der Blumenstrauss für die gute Stube soll saisonal sein, die neue Ästhetik ist auch an Hochzeiten immer mehr gefragt.» Die beiden Frauen übernahmen das Geschäft vor 30 Jahren und lebten das Prinzip Slow Flower schon damals, als es dafür noch keinen ­englischen Namen gab.

Vier Tipps, damit Ihre Blumen länger frisch bleiben

Blumen mit ­hölzernen ­Stielen

1 — Blumen mit ­hölzernen ­Stielen wie Sommerflieder oder Freiland­rosen benötigen vergleichsweise viel Wasser. Daher sollte man eine hohe Vase wählen und viel Wasser einfüllen.

Blumen mit fleischigen Stielen

2 — Blumen mit fleischigen Stielen wie Fett­hennen (auch Mauerpfeffer genannt) oder Dahlien genügt es, wenn sie bis zur Hälfte ihres Stiels im Wasser ­stehen, das sie in ihren ­fleischigen ­Stielen Wasser speichern.

wasser sauber halten

3 — Wasser bleibt in der Vase ­deutlich länger frisch, wenn es nicht durch Blätter verschmutzt wird. Befreien Sie also die ­Blumenstiele so weit von allfälligen Blättern, wie der Stiel ins Wasser ragt.

vase gut auswaschen

4 — Wechseln Sie alle ­zwei Tage das ­Wasser in der Vase, und spülen Sie diese mit Seifenwasser aus. Das vermeidet die Bakterienbildung und beugt einem schlechten Geruch des Blumen­wassers vor. (Nadine Willi)

Doch erst mit Insta­gram hat sich der Charme der Mauerblümchen in Windeseile verbreitet. So konnte sich auch eine neue Fangemeinde finden. Einmal mehr entpuppen sich die digitalen Medien als ultimative Propagandamaschine für einen analogen Lebens- und Genussstil aus längst vergangenen Zeiten.